Fr / 05. Oktober 2012
ab 09:00 Registration
5
// 09:30 - 11:30 Panels
5.1
Workshop „Medien|Industrie|Spekulation“
HZ11
Moderation: Patrick Vonderau
Alexander
Zons (Konstanz): Pre-Production – Zur
kulturwissenschaftlichen Analyse der Filmindustrie
Skadi
Loist (Hamburg): Filmfestivals – Vermittler oder Player
der Filmindustrie?
Alexander
Zahlten (Dongguk/Harvard): Industrielle Strukturen und filmischer
Text in Japan
Patrick
Vonderau (Stockholm): „Unblock Us“: Strategien des
Digitalvertriebs in Europa
Abstract:
Der geplante Workshop macht aktuelle Fragen und Probleme der
Medienindustrieforschung für den Austausch des Gründungstreffens produktiv. Er
berührt das Konferenzthema der Spekulation dabei einerseits im
ökonomisch/finanziellen Zusammenhang kommerziell ausgerichteter
Medienindustrien, andererseits im Blick auf die Rolle projektiver Strategien
und prognostischer Verfahren, die in die Produktion und den Vertrieb von Medien
intervenieren. In den Beiträgen werden "Stationen der Produktgenese"
abgeschritten, sowohl zeitlich am front-end und back-end der Produktion als
auch räumlich über Hollywood, Europa und Asien. Alexander Zons widmet
sein Augenmerk der Produktwerdung des Films in der Preproduction- Phase. An
Arbeiten zur Genese von Märkten anschließend, soll der Prozess der
Qualifizierung (Callon et al.) von Filmen im Blick auf ihren Entstehungsprozess
dargestellt werden. Der Begriff der Qualifizierung erlaubt es, den Film als
Produkt einer Reihe von Aushandlungsprozessen zu konzipieren, die entscheidende
Bedeutung für die weitere Form seiner Zirkulation haben und damit erst den
bestimmten, historisch konkretisierbaren Mediensachverhalt ‚Film’ schaffen. Daran
anschließend betrachtet Skadi Loist neue Entwicklungen im
institutionellen Kontext: Filmfestivals und ihre Märkte. Von ursprünglichen
Präsentationsorten sind Festivals zum Vermittler zwischen Industrieakteuren
geworden (Rüling) und avancieren derzeit selbst zu Playern der Filmindustrie (De
Valck; Ross). Alexander Zahlten zeigt am Kontext der Filmindustrie
Japans, wie die Medienindustrie nicht nur Diskurse über sich selbst produziert (Caldwell),
sondern homolog zu den filmischen Texten auch selbst diskursspezifische Strukturen
ausbildet. Patrick Vonderau schließlich widmet sich dem Hype, der von
Seiten der Studios gegenwärtig mit Strategien des ‚connected viewing’ verknüpft
wird, und den Problemen, die für sie aus der Umsetzung dieser Strategien in
Europa entstehen.
5.2
Medien des Politischen zwischen
gegenwärtiger Zukunft und zukünftiger
Gegenwart
HZ12
Moderation: Nanna Heidenreich
Ulrike
Bergemann (Paderborn)/Karin Harrasser (Braunschweig):
Was wird politisch gewesen sein? Medien, Magie und eine Renaissance der
Einbildungskraft
Abstract:
Eine
Reihe von Theoretikerinnen haben in letzter Zeit versucht, ein neues Vokabular politischen
Handelns in Anbetracht allgegenwärtiger TINA-Hypothesen zu entwerfen: Feminismus
als inaugurale Freiheitspraxis (Linda Zerilli), Kosmopolitik als Konsequenz materialer
Relationalität (Isabelle Stengers), politisches Handeln als Treue zum Problem (Donna
Haraway). Den Vorschlägen ist gemeinsam, dass sie die vermittelnden/medialen Elemente
der Konstitution politischer Subjektivitäten und Kollektive nicht als instrumentell
und damit nebensächlich verstehen. Im Gegenteil versuchen sie,
Vermittlungsprozesse mit mit Begriffen wie „radikale Einbildungskraft“, „Magie“
oder „spekulativer Materialismus“ auf überraschende Weise neu auszuleuchten.
Die Frage einer stets fragilen Basis des Politischen wird damit von Wissens-
und Identitätsfragen abgerückt und mediale Praxen (des Zeigens, des Erzählens,
der Bildproduktion, der Konstruktion von Räumen) treten in den Vordergrund. Den
Ansätzen ist weiterhin gemeinsam, dass sie Handeln als teilsouveräne Operation
im Futur II auffassen: Aus einer kontingenten Geschichte heraus entsteht die
(politische) Akteurin als eine, die in einem Kollektiv handelt, welches anerkennt,
dass sie nur begrenzt weiß, was sie tut. Der Vortrag untersucht zentrale Vokabeln
einer so gelagerten Idee des Politischen und destilliert daraus Anregungen für
eine Konturierung und Erweiterung
von Begriffen des Medialen.
Michael
Andreas (Bochum): Spekulation und Faktualisierung –
Mediale Formen illegalisierter
Migration
Abstract:
Illegalität und Illegalisierung von Migration bewegen sich
in einem Spannungsfeld von Ideal und Möglichkeit einerseits, von
Sichtbarmachung und Unsichtbarkeit andererseits. Legislativen stellen einen
spekulativen Idealzustand im Futur her, das Gesetz entwirft die Utopie eines
So-wird-es-sein. Diesen Setzungen beigeordnet sind Modalformen, die den
Institutionen der Exekutive Spielräume zur Auslegung des Gesetzes und für
Reaktionen auf Eventualitäten lassen. Beispielhaft heißt es im Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung in der BRD vom 30.07.2004: »Die
Ausländerbehörden können die [illegal eingereisten] Ausländer
verpflichten, sich zu der Behörde zu begeben, die die Verteilung [auf temporäre
Unterkünfte bis zur Entscheidung über einen Antrag auf Asyl] veranlasst.«
Besonders eindrücklich zeigt sich das Spannungsfeld aus Ideal und Möglichkeit,
aus Regierbarkeit und Widerstand an den medialen Formen, die illegale Migration
begleiten: Ist Klandestinität darstellbar, und umgekehrt, greift
Repräsentationskritik bei der visuellen Darstellung illegalisierter Migration
noch? Wie tragen künstlerische Formen zur Visualität von illegalisierter
Migration bei? Und welche Widerstände erzeugen Kunst und die medialen Praxen
von Aktivismus?
Martin
Doll (Luxembourg): Module einer anderen sozietären
Ordnung: Charles Fouriers utopische
Architektur – medientheoretisch reflektiert
Abstract:
Nicht erst seit den sogenannten arabischen Revolutionen wird
bestimmten Medientechniken und -praxen eine eigene emanzipatorische Kraft
attestiert. Ob es sich dabei um einen »onto-technologischen Trick« (Rancière),
tatsächliche Effekte oder wirkmächtige Zuschreibungen eines »democratic
mechanism« (Hardt/Negri) handelt, ist letztlich schwer zu entscheiden. Der Vortrag
möchte daher einen historischen Beitrag zum Verständnis solcher Deutungen
leisten und der – so die These – ähnlich gelagerten utopischen
Architekturauffassung Charles Fouriers nachgehen. Zunächst soll kurz skizziert
werden, wie Architektur überhaupt als Medium verstanden werden kann. Vor diesem
Hintergrund wird dann die von Fourier geplante Siedlungsarchitektur, das
sogenannte Phalanstère genauer betrachtet und gefragt, wie dieses, verstanden
als operativer Raum, zur Bildung einer zukünftigen globalen emanzipatorischen
sozialen Ordnung beitragen sollte. Thematisiert werden soll insbesondere, wie
die Verhältnisse innen/außen, privat/öffentlich, Arbeit/Freizeit bzw.
Bewegung/Ruhe baulich neu organisiert werden sollten.
Drehli
Robnik (Wien): Messing with messianism – vom
Ressentiment zur res: Atopische
Film- und Geschichtstheorie nach
Kracauer
Abstract:
Wenn es
darum geht, filmische Inszenierungen wieder – und über ›Ideologiekritik‹ hinaus
– auf politische Dimensionen hin zu befragen, dann ist es wichtig, das
Verhältnis zu theoretischen Positionen zu klären, die sich versuchsweise unter
dem Aspekt des ›Messianischen‹ zusammenfassen lassen. Gemeint ist die Art, wie
einige gegenwärtige radikale (wenn auch nicht unbedingt durchwegs
›radikaldemokratische‹, sondern vielleicht unter der Klammer ›postfundamentalistisch‹
subsumierbare) politische Theoriebildungen sich auf eine Erkenntnis- oder
Versinnlichungsfunktion von Film berufen. Das geschieht auf mehr oder minder
explizit messianische Weise mit apokalyptischem Akzent bei Agamben, mit
heroisierendem Akzent bei Zizek; ein dem Film zugedachtes Pathos der ›Evidenz‹
bei Nancy oder der ›Reinigung‹ bei Badiou wären hier auch zu erwähnen.
Aufschlussreich sind dabei die Stellen, an denen erstere beiden Autoren sich in
problematischem Verständnis auf Siegfried Kracauer beziehen; aufschlussreich
nicht bloß im Sinn der Exegese, sondern: An diesen Stellen lässt sich ein
Unterschied betonen – zwischen Spieleinsätzen von Film in politischen Theoriebildungen,
die Gesten des Ressentiments gegenüber als defizient verstandener Politik
implizieren, und solchen, die aus weniger großen Fallhöhen
auf Spielräume politischer
Handlungsfähigkeit schauen. Konkret geht es darum, wie sich in Kracauers
Verflechtung von Film- und Geschichtstheorie eine Verschiebung vollzieht: von
einem Blick, der gesellschaftliche Verdinglichung als sinnentleert verwirft,
hin zu einer am Film orientierten Perspektive, die am Utopischen nicht eine
Offenbarungslehre von Heil oder Unheil starkmacht, sondern Momente des
›Atopischen‹: der Störung/Entgründung gegenüber gesellschaftlichen
Platzzuweisungen. Der Begriff Atopie ist aus film- und medientheoretischen
Schriften von Rancière entlehnt und dient mit zur Rahmung von Filmbildern einer
Politik, die nicht von Erhebung oder Empörung über die Welt der Waren und Dinge
ausgeht.
5.3
Techné / Mechané: Medienphilosophische Spekulationen II
HZ13
Moderation: Dieter Mersch, Georg Christoph Tholen,
Rainer Leschke
Abstract:
Medien und Techniken sind weder bloße Prothesen oder
Projektionen des Menschen noch Instrumente oder Apparaturen, die immer
schon vorentschiedenen Zwecken dienen. Der landläufige Begriff des Technischen,
der in seinem bipolaren Schema (Mittel und Zweck, Natürlichkeit versus
Künstlichkeit) entweder anthropologisch oder mechanistisch verengt wurde,
übersieht die eigenartige List der Techné, die erst etwas erscheinen lässt, und
sei es die Welt der Instrumente, Apparaturen und Technologien. Anders wird die
Techné der Technik und die Mechané der Maschinen lesbar, wenn sie als
unvordenkliches oder unbedingtes Ereignis bzw. Enteignis jenseits des
kategorialen Geltungsbereichs von Subjekt und Objekt (M. Heidegger, J. Derrida)
lesbar gemacht wird. Die Zwischenwelt der ‚Transmissionen ohne Mission‘ (H.D.
Bahr), in der sich die Technik- und Mediengeschichte von den Kraftmaschinen über
die Werkzeugmaschinen bis zu den digitalen Symbolmaschinen als paradoxales
Dispositiv von Verwendungen und Entwendungen, von Normierungen und
spielerischen Distanznahmen, begreifen lässt, spricht von einer unbestimmbaren Offenheit
des Technischen, über deren dissimulative Eigenart noch nicht genug spekuliert
wurde.
Jan-Henrik
Möller (Potsdam): Materialitätsvergessenheit und
Begründungsdefizit bei Kittler
Andreas
Beinsteiner (Innsbruck): Techné und Offenheit bei Heidegger
Jochen Venus (Siegen): Vom Milieu zum Instrument und zurück. Überlegungen zur Vorläufigkeit der Medientechnik
Jochen Venus (Siegen): Vom Milieu zum Instrument und zurück. Überlegungen zur Vorläufigkeit der Medientechnik
Seline
Hippe (Friedrichshafen): Software als Medium und Technik
struktureller Kopplung
5.4
Workshop. Zwischen Präzision und
Spekulation: Filmgeschichte schreiben
HZ14
Moderation: Chris Wahl
Elisabeth
Büttner (Wien): Filmgeschichte als Motivgeschichte
Joseph
Garncarz (Köln): Filmgeschichte als
Aufführungsgeschichte
Alexandra
Schneider (Amsterdam): Filmgeschichte als Heim- und
Heimatdiskurs
Michael
Wedel (Potsdam): Filmgeschichte als Krisengeschichte
Abstract:
Die Idee
zu diesem Workshop ist aus einer von Vinzenz Hediger auf dem letzten Treffen
der AG Film während der GfM‐Tagung in Potsdam angestoßenen Diskussion
entstanden. Die zentrale Frage dieser Diskussion war es, ob es nicht an der
Zeit sei, eine mehrbändige deutsche Filmgeschichte zu erarbeiten und zu
publizieren. In der Tat scheint es hier eine große Lücke zu geben: Die bei
Metzler erschienene Geschichte des Deutschen Films aus dem Jahr 1993 kann mit
ihren rund 500 Seiten keineswegs als umfassend bezeichnet werden und bewegt
sich mit ihrer klassischen Einteilung in eine weitgehend nach Jahrzehnten
unterteilte chronologische Abfolge sowie in die drei voneinander getrennten
Kategorien Spielfilm, Dokumentarfilm und Experimentalfilm auf einem methodisch
nicht mehr ganz aktuellen Level. Ähnliches gilt für die deutsche Fassung (2004)
von Sabine Hakes 2002 erschienenem Band German National Cinema, der sicherlich
eine ansprechende Einführung ins Thema darstellt, aber eben nicht mehr. Die
Aufgabe des Workshops, dessen Titel an das Tagungsthema des Jahres 1988 der damaligen
Gesellschaft für Film‐ und Fernsehwissenschaft (GFF) angelehnt
ist, soll es sein, die Notwendigkeit und Umsetzbarkeit eines solchen
Unternehmens zu erörtern sowie verschiedene Strategien und Praktiken, Themen
und Motive des zeitgemäßen filmhistorischen Arbeitens (mit dem Plenum) zu
diskutieren. Hier einige Fragestellungen, die als Leitgedanken dieser
Diskussion dienen sollen: Was für eine Leserschaft soll angesprochen werden?
Ist die Filmgeschichte nur etwas für Spezialisten? Tragen die Möglichkeiten der
neuen Medien zu einer Geschichtsvergessenheit bei, der es etwas
entgegenzusetzen gilt? Wie kann man die junge Generation für Filmgeschichte
begeistern? Wie muss heutzutage das Verhältnis von Text und Bild in einer
Filmgeschichte aussehen? Sollte das Bewegtbild für die Illustration mit
einbezogen werden? Ist eine mehrbändige Printausgabe überhaupt anzustreben oder
doch eher ein E‐Book oder eine Online‐Version? Müssen sich Filmhistoriker für
die Freigabe von urheberrechtlich geschütztem Filmmaterial für Wissenschaft und
Bildung einsetzen? Wie muss man „Film“ definieren? Inwiefern ist der Wandel des
Verhältnisses von „Film“ und seiner Aufführungsdispositive zu thematisieren?
Wie muss die Einbettung von „Film“ in die jeweiligen historischen
Medienverbünde aussehen? Sollten die Bedingungen von Filmgeschichtsschreibung
(z.B. Archive, Verfügbarkeit) stärker in den Vordergrund gestellt werden? Wäre
es vernünftig, einen traditionelle, chronologische Erzählung der deutschen
Filmgeschichte als Einstieg zu wählen und sie dann durch motivische, stilistische
usw. Perspektiven zu erweitern / zu konterkarieren? Inwiefern sollte eine
Filmgeschichte deutlich herausarbeiten, dass es neben Weiterentwicklungen auch
Konstanten und Wiederholungen gibt? Ist es überhaupt noch sinnvoll, eine nationale
Kinematographie zu beschreiben und zu beschwören? Gibt es Vorbilder, an denen
man sich orientieren kann (z.B. aus Italien oder den USA)? Ist in einer
deutschen Filmgeschichte auch die Rezeption fremdsprachiger Filme im deutschen
Staatsgebiet zu beachten? Wie viele Autoren muss ein solches Projekt
versammeln? Wer soll es leiten? Wie soll es finanziert und organisiert werden?
5.5
Workshop. Konstitutive Unsicherheiten des Fernsehens
HZ15
Ralf
Adelmann (Paderborn): Keine Experimente? Unsicherheiten des
Fernsehens im Internet
Christina
Bartz (Paderborn): Unsichere Zuschauer
Judith
Keilbach (Utrecht): Was könnte Fernsehen sein?
Fernsehhistorische Experimente mit einem unsicheren Medium
Thomas
Waitz (Wien): Wahrscheinlich guckt wieder kein
Schwein
5.6
Medien des Regierens – Auf den Wandel spekulieren
HZ10
Moderation: Mladen Gladic
Samuel
Sieber (Basel): Disziplinierung,
Regierung, Subjektivierung. Macht und Politik einer ‚medialen
Gouvernementalität‘
Abstract:
Das gegenwärtige,
digitale „Zeitalter der Gouvernementalität“ (Foucault) ist von medialen Spekulationen
genauso geprägt wie von spekulierenden Medien: Verdatungspraktiken und Modellierungsstrategien
in Suchmaschinen und sozialen Netzwerken entwerfen nicht nur individualisierte,
partizipierende Nutzerinnen und Nutzer, sondern spekulieren auch auf politische
Modelle eines emanzipierten und demokratischen Bürgers. Politik und Macht
dieser Spekulationspraktiken liegen in den disponierenden Strategien medialer
Diskurs- und Sichtbarkeitsordnungen, die „Wahrheitsspiele“ und „Wissensregime“
(Foucault) konstituieren, diese aber zugleich problematisieren, transformieren
und – nicht zuletzt – in sie intervenieren. Mediale Spekulationen sind so Teil
flexibler, aber dennoch stabiler und kontrollierbarer (Macht- )Beziehungen, die
für die „Gouvernementalität“ (Foucault) und „die Kontrollgesellschaft“ (Deleuze)
gleichermassen programmatisch sind. Das zeigt sich besonders in den
fortwährenden medialen Transformationsprozessen und intermedialen Bezugnahmen,
brechen hier doch tradierte Diskursordnungen und Sichtbarkeitsregime auf,
richten sich neu aus oder werden abgelöst. Dabei lösen sich die Normierung von
Wahrnehmungsfeldern und die Strukturierung von diskursiven Formationen, wie sie
in Konzepten einer Disziplinargesellschaft oder einer „Aufteilung des
Sinnlichen“ (Rancière) zu fassen sind, nicht einfach auf. Die Macht- und
Subjektivierungsstrategien medialer Dispositive erfahren aber eine Ergänzung
durch flexiblere Praktiken der Selbst- und Fremdsteuerung, durch spezifische
Subjektivierungsstrategien gouvernementaler Regierungs- und Selbsttechnologien.
Der Beitrag widmet
sich dieser gegenwärtigen Transformation und Persistenz medialer Machtbeziehungen,
ihren politischen Zügen und Interventionsmöglichkeiten. Der Schwerpunkt liegt
dabei auf der „Regierung des Selbst und der anderen“ (Foucault) durch mediale
Dispositive.
Christoph Engemann (Weimar): 'Citoyen?! there is an app for that!'
Abstract:
Programme
wie der in den USA von der Sunlight Foundation aufgelegte Wettbewerb 'Apps for America'
fordern Individuen auf Code für den Staat und die Gesellschaft zu schreiben. In
diesen werden die Formen der Staatsbürgerlichkeit und ihrer Implementierung
unter neuen medialen Bedingungen artikuliert und kompetitiv ausgetragen. Der
Beitrag wird ‘Apps for America’ und vergleichbare kontinentale Programme anhand
der Prozeduren und Siegerapps der letzten Jahre vorstellen. Dabei soll gezeigt
werden, dass die Re-Medialisierung von Staatlichkeit mit einer teilweisen Verschiebung ihrer
Implementierung von öffentlich bestellten Institutionen hin zu gesellschaftlichen
Akteuren und Individuen einhergeht. In dieser gouvernemedialen Praxis etablieren
sich die neuen Medien der Staatlichkeit als und über ihre partizipativen
Potenzen, die Bürger zum Mitschreibern am Code der gesellschaftlichen
Organisation machen sollen. Daran anschließend lässt sich im Sinne des CFP
‘Spekulation’ die theoretische Frage aufmachen, inwieweit Formbegriffe wie der
des Citoyen der spekulativen Philosophie, hier nicht als ideelle Konstrukte,
sondern als medienmaterialistische Emanationen vorzuliegen beginnen. Also relationale
Verhältnisbestimmungen wie sie in der idealistischen Philosophie Hegel als auch
in der materialistischen Fassung von Marx ausgestellt werden, nicht mehr
Konstruktionen sind, die sich in und durch die Denkbestimmungen der Individuen
als ihre Medien konstituieren, sondern sozusagen 'real' werden, da sie Code
werden. Ist also der zeitgenössische Citoyen demnach ein medialer Akteur, der
die Veräußerung der als spekulativen Begriffe nicht positivierbaren gesellschaftlichen
Strukturmomente in lesbare Zeichen und lauffähigen Code unternimmt? Markus Stauff (Amsterdam): Medienwechsel
als Technologien des Selbst
Abstract:
Dass Medien die Rationalitäten des Regierens verändern,
basiert nicht zuletzt darauf, dass sie die Herausbildung von ‘Praktiken des
Selbst’ provozieren: Sie ermöglichen und erzwingen die ständige Re-Organisation
des eigenen Lebens durch einen systematischen Gebrauch von tools, apps etc. Die
staatlichen oder industriellen Regierungstechnologien können die
Verhaltensmuster und Wissensformen dieser medialen ‚Praktiken des Selbst’
aufgreifen und dienstbar machen, sie können diese aber auch bekämpfen oder
schlicht ignorieren. Die medialen ‚Praktiken des Selbst’ lassen sich zum einen
in konkreten, einzelnen medialen Formen finden – in Reality TV-Sendungen, die
Vorschläge für die Gestaltung des eigenen Lebens machen, oder in
Computersoftware, die das Management des eigenen Alltags strukturiert. Besonders
kennzeichnend für die gegenwärtige Entwicklung ist aber, dass die ‚Praktiken
des Selbst’ eben nicht durch die Logik eines bestimmten Mediums und auch nicht
durch ein reibungsloses Zusammenspiel mehrerer Medien gekennzeichnet sind,
sondern vor allem durch die ständige Ablösung der verwendeten tools. Deshalb
plädiert der Beitrag dafür, den forcierten Medienwechsel selbst auf seinen
Beitrag zur Ausbildung von Regierungstechnologien zu befragen. Die
Notwendigkeit, das eigene Verhalten fortlaufend an ein neues Interface und neue
Steuerungsoptionen anzupassen, und das Versprechen, durch eine künftig
optimierte Medientechnologie auch das eigene Leben optimieren zu können,
verändern die Medienpraxis in ein auf Dauer gestelltes ‚Üben’. Charakteristisch
für dieses Üben ist, dass es immer schon die Spekulation auf künftige
Medienentwicklungen, die die aktuellen Möglichkeiten überbieten, beinhaltet.
Der Vortrag wird diskutieren, wie sich in der Verschränkung von Einüben der
gegebenen und Spekulieren auf die künftigen medientechnischen Möglichkeiten,
Technologien des Selbst ausbilden, die nicht deckungsgleich sind mit den
Funktionen eines gegebenen Mediums.
Benjamin
Seibel (Darmstadt): Regierungsmaschinen – Zur Genese
technomorpher Staatsmodellierungen
Abstract:
Folgt man
Michel Foucault in seiner Definition von „Regierung“ als Inbegriff von Verfahrensweisen,
„die den Zweck haben, das Verhalten der Menschen zu steuern“1, so gelangt man
zu einer Konzeptualisierung von politischer Praxis als einen im Kern
technischen Handlungszusammenhang, weshalb es nur folgerichtig erscheint, dass
Foucault durchgängig von einer Analyse von Regierungstechniken spricht. Ebenso
wenig kann überraschen, dass sich in der Geschichte politischer Rationalität
ein kontinuierlicher Zug technomorpher Modellierung identifizieren lässt, nach
dem der Staat – offenbar in enger Beziehung zum jeweiligen technischen Entwicklungsstand
einer Gesellschaft – als mechanisches, thermodynamisches oder informationsverarbeitendes
System erscheint. Nicht nur sind mediale Techniken also ein fester Bestandteil
von Regierungsprozessen, sie wirken durch ihren Einsatz zugleich prägend auf
Gesellschafts- und Staatsvorstellungen zurück. Diverse historische
Untersuchungen, etwa von Otto Mayr, Philip Mirowski oder jüngst von John Agar, haben
sich der eigentümlichen Gleichzeitigkeit von technischem und politischem Denken
angenommen, die von Thomas Hobbes geometrisch-mechanischer Staatsphilosophie
bis zur politischen Kybernetik des 20. Jahrhundert reicht und die in den
gegenwärtigen Diskussionen um netzwerkförmige Organisationsformen eine erneute
Aktualisierung erfährt. In der Vergangenheit wurde zumeist versucht, das
Phänomen technomorpher Staatsmodellierung entweder metapherntheoretisch zu
deuten oder als spezifische Ausprägung „technischer Rationalität“ zu
interpretieren. Dagegen möchte der Vortrag dafür plädieren, Foucaults Konzept der
„politischen Technologien“ beim Wort zu nehmen und eine dem Regieren immanente Technizität
herauszuarbeiten, die sich auch in den „diagrammatischen“ Strategien der Macht niederschlägt. Mediale Techniken
strukturieren demnach die Möglichkeitsräume, in denen Regierungen über die
Mittel, Zwecke und Grenzen ihres Handelns spekulieren. 5.7
Schwingung, Schwankung, Kalkulation
NG 1.741a
Moderation: Ulrich Meurer
Daniela
Olek & Christine Piepiorka (Bochum):
Spekulation als Spektakel – Gossip als
plakativ spekulatives Spiel im TV
Abstract:
Gegenstand dieses Beitrags soll eine spezielle Form der
Spekulation sein, der Gossip: zu deutsch ‚Klatsch’, der mit Lust in das
Privatleben eindringt, hinter die Kulissen sehen und Geheimnisse aufdecken
will, feststellen und öffentlich machen, wer was warum für sich behalten möchte
(vgl. T h i e l e -Dohrmann 1995, 145). Und so lässt sich Gossip in der
Serie GOSSIP GIRL (USA, The CW 2007-) sehr treffend beschreiben: Im
Handlungsraum der fiktiven New Yorker ‚Upper Eastsider’, einer Gruppe mehr oder
minder gut situierter Heranwachsender, berichtet und kommentiert die anonymer
Bloggerin Gossip Girl von deren Privatleben, deckt ihre pikanten
Geheimnisse auf oder streut Gerüchte. Über Voice-Over und mediale Vermittler –
Visualisierungen von der Internetseite des Blogs und Textmitteilungen, in denen
fotografische Elemente als Verstärkung bzw. Verifizierung der Spekulation fungieren
– wird die Faszination für und die Lust am Spekulativen in dieser Serie zum Hauptgegenstand;
zumal auch die Figur des Gossip Girl, deren Identität unbekannt ist,
Teil der Spekulation ist. Ganz der in unserer Kultur verbreiteten negativen
Konnotation von ‚Klatsch’ bzw. ‚Tratsch’ entsprechend, wird anhand
gegenwärtiger Kommunikationsinfrastrukturen, welches fast schon als Persiflage
gelesen werden kann, eine basale Funktion von (spekulativen) Narrationen
entfaltet: zerstört das Spekulieren auf inhaltlicher Ebene die bestehenden und
gefundenen Beziehungen, so stört es auf der strukturellen Ebene das Equilibrium
der Narration. Das „tastende Moment der Unsicherheit“, das der Spekulation
eingeschrieben ist, wird in dieser Serie als ausschlaggebender Faktor instrumentalisiert,
der durch die Zerstörung bestehender Strukturen ein Feld indefiniter
Möglichkeiten zur Hypothesenbildung öffnet. Spekulationen fungieren somit als
entscheidende handlungsvorantreibende Elemente. Ausgehend vom
neoformalistischen Ansatz Bordwell/ Thompsons soll in diesem Vortrag diskutiert
werden, inwieweit die Serie GOSSIP GIRL durch den Einsatz des Voice-Overs und
diegetischer Medien (Handy/Internet) das Konzept von story und plot sowie
die Hypothesenbildung als plakativ spekulatives Spiel betreibt, so dass
Spekulation sowohl zur Struktur als auch zur inhaltlichen Basis der story wird.
Stefan
Werning / Reinhard Kunz (Bayreuth):
Vernetzung von Medienunternehmen als
Form ‘gelenkter
Spekulation’ – Zur Vereinbarkeit
medienwissenschaftlicher und medienökonomischer Konzepte
Abstract:
Die
gegenwärtige medienwirtschaftliche Situation ist geprägt durch vielfältige
Unsicherheiten, welche traditionelle Praktiken und Strukturen als in hohem Maße
spekulativ erscheinen lassen. So sind Implikationen der anhaltenden
Finanzkrise, wie etwa die strukturellen Implikationen globaler Spekulationsgeschäfte
auf regionale content provider (Zademach), aus medienwissenschaftlicher Sicht
bislang wenig aufgearbeitet worden. Als Folge davon sind immer häufiger
granulare, vernetzte Geschäftsmodelle – im Folgenden als micro business models
(MBMs) bezeichnet – zu beobachten, die aus vergleichender Perspektive als
‚Simulation’ möglicher Mediennutzungspraktiken und Wertschöpfungsansätze
erscheinen. Diese Entwicklung lässt sich etwa mit den Methoden der production
studies (Caldwell) sowie der software studies (Kitchin and Dodge)
näherungsweise erfassen. Allerdings erfordert die neuartige Wechselbeziehung
zwischen ökonomischen und technologischen Faktoren die Erweiterung produktiver
Modelle wie des der sozio-technischen Systeme (Niederer and van Dijck) um eine ökonomische
Komponente. Das Ziel des vorliegenden Vortrags besteht darin, zu erproben,
inwieweit medienwissenschaftliche und medienökonomische Konzepte hierbei
fruchtbar aufeinander bezogen werden können. Ein zentrales Beispiel ist dabei
die augenscheinliche Kongruenz zwischen dem ökonomischen Wertnetzwerkmodell
(Stabell & Fjeldstad), Formen ‚vernetzter Nutzung’ von MBMs sowie dem zunehmend
zur Regel werdenden Ansatz der „transmedia storytelling“ (Bolin) als Anlage
eines narrativen Netzwerks. Dezentralisierung als Form der ‚gelenkten Spekulation’
wird dementsprechend auf verschiedenen Ebenen zum strategischen Paradigma, um
in einem unsicheren Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben.
Diese Ausgangssituation verweist
auf die Notwendigkeit, ökonomische Konzepte im Rahmen des medienwissenschaftlichen
Diskurses zu berücksichtigen. Daher soll der Vortrag Ansatzpunkte für eine
mögliche Synthese medienwissenschaftlicher und medienökonomischer Konzepte
bieten und Möglichkeiten sowie Grenzen einer trans-disziplinären Perspektive
zur Diskussion stellen.
Bernd Leiendecker (Bochum): Der
Saugnapf Gottes? - WM-Krakenorakel Paul im Spannungsfeld des medialen Diskurses
Abstract:
Wie kaum ein anderer Sport ist in Deutschland der Fußball
Gegenstand von Spekulation. Fans, aber auch medial inszenierte Experten
(zumeist ehemalige Spieler, Trainer oder Sportjournalisten) versuchen im
Vorfeld jedes wichtigen Spiels Vorhersagen über den Ausgang zu treffen und
selbst die ausgemachtesten Fachleute haben dabei eher wechselhaften Erfolg. Im
Rahmen der Fußball-WM 2010 in Südafrika bekamen die sogenannten Experten
unerwartete Konkurrenz. Paul, ein Kraken aus dem Oberhausener SeaLife-Aquarium,
tippte alle sieben Spiele mit deutscher Beteiligung und das Finale richtig und
wurde so zum heimlichen Star der WM. Eine Analyse des medialen Diskurses rund
um das Phänomen erklärt nicht nur seinen kometenhaften Aufstieg von einer
Fußnote auf der letzten Sportseite zu einem weltbekannten "Star", den
Spaniens Ministerpräsident Zapatero unter Polizeischutz stellen möchte und dem
Argentiniens Fußballidol Diego Maradona ins Grab hinterher twittert "Es
ist Deine Schuld, dass wir die WM verloren haben." Der mediale Diskurs
offenbart auch große Unsicherheit im Umgang mit Pauls Leistung, die häufig eine
Flucht in ironische Distanz hervorruft, während der Diskurs dabei immer wieder
zwischen verschiedenen Polen oszilliert. So sind Pauls Vorhersagen gegen Ende
der WM plötzlich wichtig genug, um Gegenstand von Live-Übertragungen zu sein,
gleichzeitig werden sie niemals wirklich Ernst genommen. Nicht genehme Vorhersagen
werden von Experten und Fans wegerklärt, nur um im Anschluss an die
tatsächliche Niederlage den Kraken sogar als Ursache für das negative Ergebnis
zu verdammen. Auch die "Erklärung" für Pauls Tipps schwankt gewaltig,
Ist er nun Orakel und somit nur das Medium, über das "der
Fußballgott" befragt wird? Ist seine Fähigkeit nun ein Handwerk, in dem er
nach der WM einen Nachfolger ausbilden soll? Oder hat er schlichtweg ein
besonderes Talent, wie die Durchführung eines – erfolglosen – Castings zur Ermittlung
von Pauls Nachfolger im Rahmen der Frauen-WM 2011 nahelegt? Womöglich ist Paul
jedoch vor allem eines: die Entlarvung des medialen Fußballexperten als mäßig erfolgreichem
Spekulanten.
Ulrich Meurer (Wien): Are you there? Von
Edison und der Obsolenz des Lebendigen
Abstract:
Im Oktober 1920 teilt das American Magazine mit,
Thomas Edison entwickle eine Maschine zur Kommunikation mit dem Jenseits. Der
Bericht treibt spekulative Blüten – bald ist von geheimen Geisterexperimenten
die Rede – und gibt zuletzt 2006 Anstoß für George Bonillas Trash- Horrorstreifen
Edison Death Machine. Dabei wird in den zahlreichen Medienwechseln vom illustrierten
Artikel über das ‚Spirit Phone’ zur technischen Erweckung von Verstorbenen im postmodernen
Zombiefilm der Topos des Kontakts mit den Toten selbst als Wiedergänger kenntlich,
der diverse Medienpraxen und -theorien durchzieht. Jenseits des Metaphorischen
ließe er sich fassen als das Konzept einer Übermittlung von Information, ohne
dass dabei die Anwesenheit zweier konkreter bzw. lebensweltlicher Aktanten
sichergestellt oder auch nur notwendig wäre: Alle mediale Kommunikation
bestünde so im Austausch mit einem bestenfalls imaginären Sender oder Empfänger
– eine doppelte Spekulation, zum einen auf die unsichere Existenz eines
geisterhaften Gegenübers, zum anderen auf seine nach dem eigenen Bild vorgestellte
Beschaffenheit. Während dies, die Obsolenz eines kommunizierenden Subjekts,
schon seit Alfred Vail und spätestens Shannon/Weaver für jedes
Übertragungsmedium gilt, stellt sich die Frage in Bezug auf den Aufzeichnungs-
und Abspielapparat des Films in neuer Weise. Einerseits scheint er als Speichermedium
kaum für die Öffnung eines Kanals geeignet (es sind Telephon, Funksender und
Fernsehen, die in filmischen Narrativen an seiner statt die Verbindung zum
Jenseits herstellen). Andererseits
erinnert Robert B. Ray daran, „that the Russian word for a film showing, céanc,
not only sounds like the word séance, but also may be etymologically
linked to it [...], a communion with the dead.“ So nimmt der Film –
zwischen dem ‚Tod als Präsens’ im Übertragungsmedium und dem ‚Leben als
Vergangenheit’ im Speichermedium – eine eigentümliche Stellung ein und wird
durch das Verblassen eines Senders und die Hoffnung auf den Empfänger vielleicht
zum Bild des Medialen schlechthin ...
Silke
Fürst (Münster):
Der Zuschauer als Spekulationsobjekt – Berechnende
Kommunikation über das Medienpublikum
Abstract:
Medien berichten nicht nur über Dinge und Geschehnisse in
der Welt, sondern werden zugleich immer auch als Projektionsfläche für das
genutzt, was sich der direkten Beobachtung entzieht: ‚die öffentliche Meinung‘
und das, was erwartbar ‚in aller Munde‘ ist (vgl. Luhmann 1997). So ist
es vor allem die Vorstellung von starker Verbreitung und Publikumswirksamkeit,
die Medien ebenso streitbar wie attraktiv macht (vgl. z.B. Brichta 2010). Vorstellungen
von der unterschiedlichen Verbreitung der Medien sind keinesfalls der reinen Spekulation
überlassen. Die einst für Werbepreise aufbereiteten Nutzungskennzahlen haben längst
Eingang in den Medienjournalismus gefunden und leiten die Kommunikation über Medienangebote
(vgl. Stauff/Thiele 2007; Wehner 2010; Fürst 2011 und 2012). Der quantifizierende
Vergleich (vgl. Heintz 2010) räumt aber nur auf den ersten Blick jedwede Form der
Spekulation aus. Berichte über Quoten, Klicks und Auflagen zeigen nicht allein
die Fakten aktueller Reichweiten auf. Sie verweisen auf ein vorhandenes
Aufmerksamkeitspotential, das sich beständig neu auf die konkurrierenden
Kommunikationsofferten verteilt. So mischen sich in die scheinbar harten Fakten
allerlei Spekulationen, über instabile, tendenziell schwindende Publika oder
solche, die exponentielles Wachstum ‚versprechen‘. Selbst über die
sozial-dynamischen Effekte solcher Kommunikationen lässt sich spekulieren: Die
Produktvermarktung setzt längst auf die Strategie des Erfolgs durch Erfolg (am
Beispiel des „Bestsellers“ vgl. Fischer 1999: 770ff.). Gesteigert werden diese
Tendenzen bei der Konstruktion einer Zuschauerschaft, die sich erst in der
Zukunft formiert. Spekulationslust und -kritik entzünden sich hier an der
Vorstellung einer berechnenden self-fulfilling prophecy. Diese Argumentation
soll im Vortrag am Beispiel der vorausgesagten Zuschauer der jüngsten Hochzeit
im britischen Königshaus veranschaulicht und diskutiert werden. Die vielfach kommunizierte
Erwartung eines Publikums von weltweit zwei bis drei Milliarden Zuschauern nutzte
die Evidenz statistischer Zahlen zur Konstruktion eines globalen Events und
ließ zugleich die herkömmlich angenommene Kluft zwischen Fakt und Spekulation
fragwürdiger erscheinen.
11:30 - 12:00 Kaffee
12:00
- 13:30 Treffen der Arbeitsgruppen
13:45 - 15:00 Mittagessen
6
// 15:00 - 17:00 Panels
6.1
Panel: Spekulation in der Rekonstruktion von Filmgeschichte und Filmerfahrung
HZ11
Moderation: Barbara Flückiger
Anna
Bohn (Berlin): Produktive Spekulationen.
Hypothesen
in der Filmrestaurierung und Filmedition: authentische Anmutung, originale
Fassung, Rekonstruktion, Ergänzung Abstract:
Mein Vortrag
geht der Frage nach, inwiefern Filmrestaurierungen und Filmeditionen häufig
Anteile des Spekulativen aufweisen. Anhand von Fallbeispielen aus der
Filmrestaurierung zeige ich aus interdisziplinär vergleichender Perspektive den
hypothetischen Anteil von Konzepten wie „authentische Anmutung (look)“,
„originale Fassung“, „Restaurierung“. „Rekonstruktion“ bzw. „virtuelle
Rekonstruktion“, „Ergänzung“ und „synthetische Fassung“ auf. Die
Filmrestaurierung zielt in der Regel auf die Wiederherstellung einer „Originalfassung“
oder eines „originalen Zustands“ eines Filmwerks. Dieser kann allerdings in
vielen Fällen nur hypothetisch und nicht mit Exaktheit bestimmt, sondern als
ursprünglicher Zustand lediglich angenommen werden (Cherchi Usai 2001: 33).
Laut der Charta von Venedig, die Grundprinzipien der Ethik der
kunstwissenschaftlichen Restaurierung definiert, findet die Restaurierung „dort
ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt“ (Petzet 1992: 69). Dennoch
weisen Rekonstruktionen notwendigerweise einen Anteil des Spekulativen auf. So
beinhaltet die virtuelle Rekonstruktion als Modellierung virtueller Realität
stets einen interpretatorischen und hypothetischen Anteil. Dmitrij Lichačevs
(1971: 311) für die Textologie getroffene Definition der Rekonstruktion von
Texten lässt auf die Filmrekonstruktion übertragen: auch Rekonstruktionen von
Filmen sind notwendigerweise spekulativ, die Gestalt der Rekonstruktion ist
immer eine Hypothese, deren Wahrheitsgehalt nur auf eine Weise nachgewiesen
werden kann: durch das Auffinden einer neuen „Originalkopie“. In so einem Fall
entfiele die Notwendigkeit zur Rekonstruktion überhaupt, als Film kann die neu
aufgefundene Originalkopie ediert werden. In der Praxis werden die Materialien
aber in der Regel ergänzt und komplettiert, so dass „synthetische Fassungen“
entstehen, die wiederum einen – mitunter stark – spekulativen Anteil aufweisen.
Wolfgang
Fuhrmann (Zürich): Frühe deutsche ethnographische Filme:
Eine ‚ungewollte’ historische Edition?
Abstract:
Dr. Wolfgang Fuhrmann, Seminar für
Filmwissenschaft, Universität Zürich
Frühe deutsche ethnographische Filme gehören zu den
besterhaltesten und dokumentiertesten Beständen des frühen ethnographischen
Films (Oksiloff 2001, 4). So auch die Filme des Völkerkundlers Theodor
Koch-Grünberg (1872-1924), die er 1911 auf seiner Reise in das Amazonasgebiet
in Brasilien/ Guyana drehte. Sie zählen heute zu den ersten Aufnahmen ihrer Art
aus dem Amazonasgebiet. Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, dass es sich bei
der Überlieferung seiner Filme um Fassungen aus der Frühzeit der
Kinematographie handelt. Vielmehr wurde das Filmmaterial in den 60er Jahren einer
gründlichen „wissenschaftlichen“ Bearbeitung unterzogen. Das gilt nicht nur für
KochPanel: Grünbergs Filme, sondern für eine Vielzahl von Filmen, die
lange Zeit im Bestand des IWF Missen und Medien, Göttingen zur Verfügung
gestellt wurden. Wie der Vortrag zeigen wird, war der ursprüngliche Bestand der
wiederentdeckten Filme Koch- Grünbergs seiner Zeit umfangreicher als das, was
heute erhalten ist. Man fragt sich, was war auf dem ursprünglichen Material zu
sehen, bzw. was wollte man nicht überliefern? Am Beispiel der Filme von
Koch-Grünberg wird im Vortrag das Verhältnis von Ethnographie und Film sowie
das Verhältnis von ethnographischem Film und dessen Überlieferung diskutiert.
Frühe deutsche ethnographische Filme mögen zu den besterhaltenen und
bestdokumentierten Beständen gehören, sie sind aber zuallererst Zeugnis eines
spezifischen ethnologischen Wissenschaftsverständnisses. Der Vortrag lädt zur
Spurensuche und Spekulation ein, was ein ethnographischer Film früher war bzw. heute
ist.
Franziska Heller (Zürich): „Facts of the past or historical facts“? Der
Ausschluss der digitalen Spekulation in der Film-Rekonstruktion
Abstract:
Fakten
der Vergangenheit oder Tatsachen der Geschichtsschreibung? Nach der basalen
Unterscheidung von Carr (1961) werden Ereignisse der Vergangenheit erst dann
‚historisch’, wenn sie absichtsvoll selektiert und in eine historiographische
Narration eingebaut werden. Seit der New Film History mit ihren
methodologischen Konsequenzen ist die Reflexion der Perspektiven- und
Gegenstandsvielfalt der Filmgeschichte(n) Usus, die Offenlegung der
unterschiedlichen (disziplinären) Interessen der jeweiligen historiographischen
Autoren etabliert. Obwohl diese methodische Reflexionsebene in der Filmwissenschaft
mittlerweile zum Konsens gehört, wird im Kontext der digitalen Distribution von
neuen, aktuellen Filmfassungen und –rekonstruktionen allerdings genau die
„imaginäre Dimension“ (Sorlin 1996) von Geschichtsschreibung meist weitgehend
ausgeschlossen bzw. über Zuschreibungen an die digitale Domäne auf ein
positivistisches Fundament gestellt. Dies geschieht vor allem zu Gunsten der
affirmativen Konstruktion von einzigartigen, unveränderlichen filmischen
Kunstwerken, die es gilt in ihrer Exklusivität – endlich die definitive Fassung
zu sein –, „neu“ zu vermarkten. Dies ist umso pikanter, da die Bearbeitungs-
und Eingriffsmöglichkeiten in das filmhistorische Material sich durch digitalen
Technologien exponentiell gesteigert haben: fast „alles ist möglich“. In der
Praxis entsteht so ein schwieriger Balanceakt aus historisierender Spekulation
und philologischer editorischer Versicherung. Die vorgestellten Überlegungen
problematisieren an konkreten Beispielen aktueller Film-Editionen jene
marktorientierten Strategien, die Spekulationen in der Film-Rekonstruktion
rhetorisch und argumentativ ausschliessen und vermeintlich negieren. Über diese
Vermarktungsstrategien wird die massenmediale Wahrnehmung von Film- und
Mediengeschichte verändert. Dies hat wiederum Einfluss auf unser Verständnis
von den Qualitäten und Potentialen digitaler Medientechnologien.
Barbara Flückiger (Zürich): „It has to be a guess, but an informed guess.” Zur
Rekonstruktion von Filmfarben im frühen Film
Abstract:
In unserem Gedächtnis und in der öffentlichen Wahrnehmung
ist der frühe Film schwarz-weiß. Vor allem die applizierten Filmfarben –
Tonung, Beiztonung, Virage, Schablonen- und Handkolorierung – sind mehrheitlich
verschwunden. Teilweise konnten sie mit photo-chemischen Verfahren nicht
repliziert werden, teilweise sind die eingefärbten Kopien verloren oder
zerstört. Mit den digitalen Technologien stehen seit einigen Jahren
Möglichkeiten zur Verfügung, dem frühen Film seine Farbe zurückzugeben. Eine
Methode ist das sogenannte „Digital Desmet“, welche das von Noël Desmet
vorgeschlagene Verfahren aufgreift. Dabei werden die in schwarz-weiß gescannten
Filme szenenweise im Stil der Virage uniform digital eingefärbt. Andere
Techniken werden derzeit entwickelt und getestet. Tatsächlich haben meine
Recherchen gezeigt, dass die sehr viele frühe Farbprozesse hervorragend dokumentiert
sind. Nach dem Studium von mehreren hundert Primärquellen sowie
Archivrecherchen zu den verschiedenen Materialien zeigt sich ein sehr
differenziertes Bild der verschiedenen Techniken und Ästhetiken. In einzelnen
Fällen, zum Beispiel in einem Korpus des italienischen Film d’Arte der zweiten
Periode, wurden die Farben sogar mit einem strikten Code notiert, der eine
ziemlich genaue Rekonstruktion ermöglichte (Mazzanti 2009). Es stellt sich nun
die Frage, wie sich diese Einsichten in konkrete Ansätze zur digitalen
Rekonstruktion von frühen Filmfarben entwickeln lassen. Inwiefern können digitale
Verfahren die Ästhetiken überhaupt replizieren und wo ist die sinnliche
Anmutung unmittelbar an die materielle Beschaffenheit des Films geknüpft? Anhand
eines Korpus von Einzelbildern aus standardisierten Musterbüchern der
verschiedenen Farbprozesse von Eastman Kodak und Pathé diskutiert die
Präsentation die Eigenheiten der Farbverteilung und der charakteristischen
Zerfallsprozesse im Vergleich mit digitalen Restaurierungen, mit dem Ziel, die
schwierige Frage nach dem Verhältnis von authentischer Erfahrung und deren
Nachbildung zu reflektieren. Und schließlich geht es auf einer höheren Ebene
darum, das Verhältnis zwischen Authentizität, Spekulation und Rekonstruktion
mitzudenken.
6.2
Finanzkrise
HZ12
Moderation: Jens Schröter
Miriam
Drewes (München/Wien): Spekulationen?
Kapitalismuskritik als Medienkritik
Abstract:
„Niemand ist mehr Sklave, als der sich
für frei hält, ohne es zu sein“. Als mit diesem Goethe -Zitat ein Vertreter der
Occupy‐Wall‐Street-Bewegung
während eines Protestmarsches am 28. September 2011 aufwartete, bündelten sich
darin mehrere Aspekte: Es handelte sich nicht allein um eine durchaus auch als
schlicht zu interpretierende Kapitalismuskritik. Kritik am als entfesselt
wahrgenommenen Gebaren der Finanzspekulationen Spekulationsgeschehen des an
Welthandels der Finanzmärkten. Es wurde vielmehr virulent, dass
Kapitalismuskritik und Kulturkritik eine enge Verbindung aufweisen, die sich,
darüber hinaus, durch eine lange historische Tradition auszeichnet. Dabei
stellen sich angesichts der jüngsten auch in den unterschiedlichsten Medien
anzutreffenden Renaissance der Kapitalismuskritik zwei Fragen: In wieweit ist
die Kapitalismuskritik – als Kulturkritik begriffen – wenn nicht länger oder
vielmehr nicht allein ein „Modell der Reflexion“ (Georg Bollenbeck), selbst ein
Modell der Spekulation? Zum anderen stellt sich die Frage nach der Verbindung
von Kapitalismuskritik und Medienkritik heute. Die Spekulation als Modus der
Fiktion, der Annahme, der Antizipation oder auch der falschen Vermutung, ist,
so die These, Teil der Medienkritik, die den Schein nicht länger, wie in der
herkömmlichen Medienkritik von Rousseau bis zur Performance-Theorie der
Gegenwart, als Verblendungszusammenhang begreift, sondern als produktives
Moment, die Ambivalenz zwischen Kritik und ihrer Negation auszuagieren. Der
Tagungsbeitrag will dementsprechend die Zirkularität von Kapitalismuskritik
Kapitalismuskritik als Medienkritik nicht allein diskurshistorisch erläutern,
sondern, darüber hinaus, an einem konkreten Beispiel aus dem Medium Film zur
Anschauung bringen. Am Beispiel von Peter Weirs „The Truman Show“ (1998) soll
gezeigt werden, dass nicht allein der Inhalt des Films Medienkritik und darüber
hinaus Kapitalismuskritik über sämtliche Spielarten der Fiktionalität zum Thema
macht. Zudem soll gezeigt die These formuliert und belegt werden, dass der Film
als Medium der Spekulation schlechthin in einem System beheimatet ist, das die
Kapitalismuskritik je immer schon mit ihrer Negation, also der Affirmation des
kapitalistischen Prinzips, vereinte.
Sophie
Rudolph (St. Gallen): Boxende Banker und Geisterstädte: Traders und Cleveland versus Wall Street
von Jean-Stéphane Bron
Abstract:
Der Film
Cleveland versus Wall Street (CH/F 2010) des Westschweizer Regisseurs Jean Stéphane
Bron dokumentiert ein fiktives Gerichtsverfahren, das nie stattgefunden hat,
aber hätte stattfinden können. Am 11. Januar 2008 klagen der von der Stadt
Cleveland, Ohio, beauftragte Anwalt Josh Cohen und seine Partner gegen 21
Banken, die für die Zwangsversteigerung von Immobilien verantwortlich gemacht
werden, welche die Stadt Cleveland ruinieren. Die Banken der Wall Street
verhindern diesen Prozess jedoch mit allen Mitteln, der Film stellt ihn daher
nach. Das Projekt, das sich eindeutig auf die Seite der Opfer stellt, lotet die
Grenzen zwischen Spielfilm und Dokumentation aus und präsentiert sich als
"allgemeingültige Fabel über den Kapitalismus" (swissfilms.ch). Zwar
ist der Prozess fiktiv, der Hintergrund, die Protagonisten und die Zeugenaussagen
sind jedoch real. Der Titel Cleveland versus Wall Street betont den Kampf
zwischen der mit den Vermögenswerten anderer Leute spekulierenden, abgehobenen
Finanzwelt und den Bewohnern einer Kleinstadt, die als Folge der Subprime‐Krise zusehen müssen, wie ihre ehemaligen
Wohnquartiere zu Geisterstädten werden. Der ein Jahr zuvor entstandene Film
Traders (Bron, 2009) über die „Wall Street Charity Boxing Championship“ die am
14. September 2008 stattfand, der Tag an dem die Bank Lehman Brothers Konkurs
machte, konzentriert sich hingegen auf ritualisierte Kämpfe in zwei Arenen: dem
Boxring und dem „trade floor“. Der Vortrag untersucht Cleveland versus Wall
Street als Spekulation über die Wirklichkeit und die Fernsehdokumentation
Traders als Inszenierung des Spekulativen. Hierbei gilt es im Sinne Bruno
Latours Zirkulationen zu folgen und Realität und die Praktiken ihrer
Inszenierung zueinander in Beziehung zu setzen. Das nüchterne Reizwort „Wall
Street“ ist dabei der Ausgangspunkt eines riskanten Berichts, der die Unterscheidung
zwischen Fakten und Fiktionen zunehmend verschwimmen lässt und Raum für
Spekulationen öffnet.
Jan
Distelmeyer (Potsdam): Krisenfest. Spekulationen zum Untergang
und seiner Vermeidung
Abstract:
In den Kommentaren und öffentlich verhandelten Bildern zu
den Entwicklungen der Bankenbranche, der Finanzmärkte und der „Weltwirtschaft“
genannten Ökonomiebeziehungen dominieren seit 2008 Bilder der Katastrophe und
Apokalypse. Die Vokabeln dieses internationalen Katastrophen-Diskurses (hier:
in den USA und Deutschland) werden immer wieder ähnlich gefügt: Der „Untergang“
der US-Investmentbank Lehman Brothers, auch als „Lehman-Katastrophe“
bezeichnet, mit der „die Finanzkrise“ ihren Anfang genommen habe, führte in
eine „globale Wirtschaftskatastrophe“. Zeitschriftencover zeigen einen
brennenden Planeten, alles verschlingende Malströme, stürzende Flugzeuge – „Gelduntergang“.
Die Rhetorik zur „Euro-Rettung“ operiert mit der Abwendung der „ökonomischen
Apokalypse “, die Kapitalismuskritik des Manifests Der kommende Aufstand konstatiert
die stattfindende „Katastrophe“ und das allgemeine „Gefühl des bevorstehenden Zusammenbruchs“.
Vor diesem Hintergrund möchte ich zeitgenössische Katastrophen-Filme wie z.B.
THE HAPPENING, 2012, CONTAGION, MARGIN CALL, HELL, MELANCHOLIA und PERFECT
SENSE daraufhin untersuchen, welche Bedrohung von dem dort verhandelten
Desaster je ausgeht. Dabei geht es mir nicht etwa darum, Spuren oder Effekte
politischer und sozialer Entwicklungen im populären Kino zu verfolgen, wie das
im Hinblick auf „9/11“ so oft versucht worden ist. Mich interessiert
stattdessen das Verhältnis von Präsentationsstrategien: Ähnlichkeiten und
Differenzen der Filme untereinander und in ihrer Beziehung zum ökonomischen
Katastrophen-Diskurs. Hilfreich ist dabei der Rückblick auf die 1970er Jahre,
die sowohl die bedeutende Hollywood- Hochzeit des Disaster Films (von AIRPORT
bis METEOR) als auch des Verschwörungs- Thrillers (von KLUTE bis WINTER KILLS)
hervorgebracht haben. Wie sich in den gegenwärtigen Katastrophen-Filmen beide
Strömungen der 1970er – Disaster & Conspiracy – verbinden, ist nicht
unwichtig für die Beziehung zu den verbreiteten Bildern der „ökonomischen
Katastrophe“. So richtet sich die von Fredric Jameson zum Conspiracy Plot aufgeworfen
Frage nach dem Verhältnis von Innen und Außen auch an die zeitgenössischen Filme.
Anders gefragt: Ist ein Jenseits des Untergangs vorstellbar?
Jens
Schröter (Siegen): Spekulation mit dem und über das
Medium Geld
Abstract:
Eine GfM-Jahrestagung zum Thema ‚Spekulation‘ zu machen
dürfte sich nicht unwesentlich der Krise des globalen Kapitalismus seit 2008
verdanken. Dabei werden im Abstract der Tagung erst die von Marx gestellten
Fragen als überholt verworfen und vorgeschlagen sie durch eine ‚Analyse der
Signal- und Zeichenlogik der Finanzmärkte und der symbolischen Formen virtueller
Wertschöpfung‘ zu ersetzen. Diese wird im zweiten Schritt allerdings auf die ‚kommunikativen
Tricks, die Täuschungsmanöver und das wahre Ausmaß der Ruchlosigkeit der
Spekulanten‘ reduziert. Im Hintergrund der Krise stehen offenbar ruchlose
Spekulanten. Diese Form der Reduktion der Krise auf personale Urheber ist
allerdings problematisch (schon wegen der gefährlichen historischen
Konnotationen). In dem Vortrag soll hingegen auf Marx rekurriert werden, der
nicht nur keineswegs überholt ist, sondern in gewisser Weise jetzt erst aktuell
wird und daher nicht zufällig in den letzten Jahren eine erneute Konjunktur erlebt.
Nach Marx ist die Krise keiner Verschwörung von Spekulanten geschuldet, sondern
ein strukturelles Problem. Dieses kann mit einem auf eine spezifische
Weise neu gelesenen Marx v.a. deswegen beschrieben werden – und das macht seine
Anschlussfähigkeit an heutige medienwissenschaftliche Fragestellungen aus -,
weil das Geld (als Ausdruck des Werts) als ein Medium mit einer Eigendynamik
erscheint. Dies unterscheidet Marx’ Ansatz von der heute hegemonialen
neoklassischen VWL, wo Geld als bloß funktionales und transparentes Mittel der
eigentlichen Tauschhandlungen erscheint, also als Medium gerade neutralisiert
wird. Bei Marx hingegen verselbständigt es sich als ‚Fetisch‘ zu einem
‚automatischen Subjekt‘ (Kapital, Bd. 1, MEW, S. 169). Aus dieser Beschreibung
kann man eine eskalative Krisendynamik ableiten, die sich mit den heutigen
Beobachtungen zu decken scheint. Der Vortrag plädiert letztlich dafür die Marxsche
Wertformanalyse als eine Art Medientheorie des Geldes zu lesen.
6.3
Dokumentarische Spekulationen: Mediale Aufklärungsversuche der
Finanzkrise 2008/2009 in Fernsehen, Film und Internet
HZ13
Moderation: Angela Keppler
Am Anfang
war die Pleite. Das Aus der renommierten Investmentbank Lehmann Brothers im Herbst
2008 wird gemeinhin als der Startschuss für eine der gewaltigsten Finanzkrisen
seit der Einführung der Börse genannt. Die massiven Einbrüche auf den
globalen Finanzmärkten katapultierten Informationen aus und über die
Finanzwelt auf die medialen Agenden. Dort sollte informiert, aufgeklärt und
insbesondere auch erklärt werden, was kaum noch jemand zu verstehen schien.
Dies geschah auf sämtlichen Kanälen: im Fernsehen, in Zeitungen, im Internet,
im Radio und im Kino. Hauptangeklagte sämtlicher medialer Aufklärungsversuche
ist die Spekulation. Mit der Spekulation, als ein Hybrid aus Expertenwissen und
demokratischer Chance für Jedermann, steht gleichzeitig eine grundlegende
Handlungsmaxime kapitalistischer Gesellschaften am Pranger: der Zweck heiligt
die Mittel. Auf Basis dieser Überlegung stellt das Panel folgende Fragen: Wie
verfahren die Medien bei ihrer Anklage? Wie inszenieren die Medien die Spekulation?
Welche Alternativen zeigen Sie auf? Wie verfahren die Medien mit der Kontingenz
der Spekulation? Die Frage nach der medialen Inszenierung von und Aufklärung über
die Spekulation birgt zudem einen besonderen Clou: Denn die Erklärungsangebote
selbst stellen letztlich auch wiederum nur weitere Spekulationen über den
Hergang der Dinge dar. Die Montage der Bilder im Rahmen eines Dokumentarfilms
hat selbst Züge einer Spekulation darüber, wie es gewesen sein könnte und
insbesondere auch darüber, wie es in Zukunft sein sollte. Die narrativen
Strategien des Dokumentarischen spekulieren dabei stets auch auf ihre Überzeugungskraft,
wenn sie ihre Weltdarbietungen inszenieren. Dieses Spekulieren über die eigene
Form ist dabei mit dem Erstellen von Versuchsanordnungen verbunden, die die
jeweils behandelten Krisen erklären könnten. Auch seriöse Aufklärungsversuche
wie beispielsweise Charles
Fergusons Dokumentarfilm Inside Job werfen daher nicht nur die Frage nach einem
gerechten Markt auf, sondern auch nach der Rolle der Medien und der
Verantwortlichkeit jedes Bürgers. Diesen Fragen möchte das Panel
„Dokumentarische Spekulationen: Mediale Aufklärungsversuche der Finanzkrise
2008/2009“ nachgehen. Im Fokus stehen verschiedene dokumentarische Verfahren
wie beispielsweise die Chartanalysen ebenso wie die aufwendigen
Aufklärungsversuche im Rahmen von Dokumentarfilmen (Inside Job, Capitalism A
Love Story), Spielfilmen und Fernsehmagazinen. Damit verortet sich das Panel insbesondere
in zwei von den im Call der GfM vorgeschlagenen Themengebiete: Zum einen „Spekulative
Erzählungen, spekulative Strukturen: Fakten, Fiktionen“ und zum anderen „Spekulation
und Observation von Märkten: Medien und Semantiken der Finanzkrise“.
Jens
Eder (Mannheim): Finanzfilme: Spekulation und
Dokumentation
Abstract:
In den letzten Jahren sind mehrere erfolgreiche
Dokumentarfilme entstanden, die sich auf unterschiedliche Weise mit den
aktuellen Problemen und Krisen des Finanzsystems auseinander setzen. Im
Vergleich von Filmen wie Let’s Make Money (2008), Capitalism-A Love
Story (2009) und Inside Job (2010) arbeitet der Vortrag deren je
spezifische Ziele und Schwerpunkte, ihre Strategien der Kritik, Rhetorik und Ästhetik
heraus. Eine Schwierigkeit, mit der alle Dokumentarfilme über das Finanzwesen
konfrontiert sind, besteht darin, überaus komplexe und abstrakte Vorgänge mit
audiovisuellen Mitteln in kurzer Zeit darzustellen. Wie kann dies gelingen? Wie
gehen die Filmemacher - meist keine Finanzexperten - mit dieser Herausforderung
um, welche kreativen Lösungen finden sie?
Ralf
Adelmann (Paderborn): Im Netz der Spekulationen:
Interdependenzen
zwischen Finanzsystem und Internet
Abstract: -
Kathrin
Lämmle (Mannheim): Spekulation im Spiegel – der spekulative Charakter der
Fernsehmagazine Alexander Kluges und die Darbietung des Spekulativen in ihnen
Abstract: -
Anja
Peltzer (Mannheim): The Good, the Bad and the Broker – Die Inszenierung des
Spekulanten im Gegenwartskino Abstract: -
6.4
Spiel als Medium der Spekulation II:
Das Spiel und seine SpielerInnen als
Spekulationsobjekte
HZ14
Moderation: Markus Rautzenberg
Thomas
Klein (Mainz): Turing Heroes: Die spielerische
Überwindung der Spekulation in komplexen
Täuschungsmanövern
Abstract:
Im Zuge der Digitalisierung der
Filmproduktion ist eine Zunahme filmischer Dramaturgien festzustellen, die eine
nahezu digitale Logik des Handlungsablaufs simulieren, obwohl es um eigentlich
hoch spekulative, weil spielerische Vorgänge geht. Nicht zuletzt Heist-Movies
demonstrieren eine algorithmisch funktionierende Planbarkeit von komplexen
Handlungszusammenhängen, die, da nur interaktiv und interpersonell planbar, in
hohem Maße störanfällig sind. In den Ocean‐Filmen
von Steven Soderbergh wird diese Vorgehensweise reflexiv auf die Spitze
getrieben. Zum einen spielen die Filme in Las Vegas, wo die ludische
Spekulation in Form des Glücksspiels ihre Zentrale hat. Zum anderen werden an
diesem Ort nicht nur handlungsfähige (was ohnehin typisch für den Hollywoodfilm
ist), sondern den Verlauf eines komplexen Plans souverän beherrschende
Protagonisten inszeniert, als seien sie die Spieler eines algorithmisch bereits
vorprogrammierten Computerspiels. So wird am Ort des Zockens (Spielcasino)
genau das Gegenteil, die Hybris des perfekten Planspiels simuliert, deren
lediglich temporäre Störungen wie letztlich stets überwindbare Hindernisse in
einem Computerspiel organisiert sind. Hinzu kommt, dass die Planung und
Durchführung des 'heist' mittels modernster digitaler Technik geschieht und das
heist-Team aus Computerspezialisten besteht, die jeden Star-Programmierer auf
dem Softwaremarkt vor Neid erblassen lassen. So entsteht nur eine scheinbar
durch Täuschungsmanöver des Zuschauers spekulative Erzählung (im Übrigen auch
in Inception), die eigentlich eine vom Risiko befreite algorithmische
Planbarkeit komplexer Handlungsabfolgen suggeriert.
Judith
Ackermann, Katrin Bache (Bonn): Shooting Gamers –
spekulative Momente in der filmischen Darstellung von ComputerspielerInnen
Abstract:
Computerspiele sind vom Nischenphänomen
zum Alltagsmedium geworden. Doch lange vor diesem Wandel übten sie bereits eine
enorme Faszination auf die Gesellschaft aus, die sich auch im Film wiederfinden
lässt. Produktionen wie Tron (Steven Lisberger, USA 1982) oder WarGames (John
Badham, USA 1983) sind Zeugnisse dieses Interesses. In der fiktionalen
Darstellung der NutzerInnen wird ein ganz spezifisches Bild des
Computerspielers konstruiert, welches in erster Linie spekulativ als
faszinierter Blick von außen auf diese neue subkulturelle Gruppierung
eingestuft werden kann. Hierdurch bildet sich ein Klischee darüber aus, wie die
RezipientInnen sich Computerspiele und ihre NutzerInnen vorzustellen haben. Zu
fragen bleibt jedoch, inwiefern dieses Bild der ComputerspielerInnen der
Realität entspricht. Der Vortrag setzt zu Beginn der 1980er Jahre ein, dem
Zeitpunkt des Einzugs des Computer‐
und Videospiels in das häusliche Umfeld. Es werden unterschiedliche „Zeitalter“
der Computer‐ und
Videospielentwicklung identifiziert und die fiktionale Darstellung des
„typischen“ Computerspielers im Film den jeweiligen technischen
Neuentwicklungen und dem Stand der Wissenschaft der jeweiligen Zeit
gegenübergestellt. Hierzu werden unter anderem mithilfe von Figurenanalysen
verschiedene Kategorien der filmischen Repräsentation von ComputerspielerInnen
erarbeitet. Der Vortrag geht der Frage nach, ob sich die Darstellung von
ComputerspielerInnen im Film mit zunehmender Verbreitung, Akzeptanz, kritischer
Diskussion und Vertrautheit mit dem Medium wandelt, oder ob diese nicht immer
noch spürbar durch das ursprüngliche spekulative Moment der frühen
Darstellungen beeinflusst ist.
Felix
Raczkowski (Bochum): Gamification, Serious Games und die
Spekulation am Spiel
Abstract:
‚Gamification‘ bezeichnet eine
disparate Gruppe von (populären) Ansätzen, die seit ca. drei Jahren in
Zusammenhang mit Videospieltheorien, aber auch Optimierungsdiskursen und Game‐Design
Konzepten in Erscheinung tritt. Der Begriff steht dabei für die ‚Ver‐Spielung‘
nichtspielerischer Vorgänge mit dem erklärten Ziel, sich spezifische
Eigenheiten des digitalen Spiels und seiner Spieler zunutze zu machen, um einen
Zweck zu verfolgen, der außerhalb des eigentlichen Spiels liegt. Die Ziele
dieses zweckorientierten Spielens (oder dieser spielerischen Zweckorientierung)
reichen dabei von der Unternehmensoptimierung über die Mitarbeitermotivation
bis hin zu Werbestrategien und Selbsttechniken. Zusammen mit dem in den 70er
Jahren erstmals aufgekommenen Diskurs um den systematischen, pädagogisch
zielgerichteten Einsatz von Spielen im Bildungswesen, sogenannten ‚Serious
Games‘, entwerfen die verschiedenen Facetten der Gamification eine Perspektive
auf das (digitale) Spiel, die als stark spekulativ bezeichnet werden kann. Grundlage
sowohl des Projekts der Gamification wie auch der aktuellen Serious Games sind
implizite Annahmen und Hypothesen über die Natur digitaler Spiele. Die
spekulativen Zuschreibungen charakterisieren digitale Spiele als
behavioristische Konditionierungsapparate sowie als kybernetische Systeme,
welche die ihnen eigenen künstlichen Anforderungsstrukturen derart für ihre
Spieler naturalisieren, dass diese Spielmechaniken wiederum von ihren Spielen
entkoppelt als Mittel für die oben erwähnten Zwecke Verwendung finden können.
Als spekulativ erweist sich in diesem Kontext nicht nur die Reduktion von
digitalen Spielen (bzw. ihre Zuspitzung) auf kybernetische Strukturen, sondern
in gleichem Maße auch die damit verknüpften Aussagen zum Verhältnis des
Menschen zu seinen Spielen (und ihren Medien). Das Ziel des Beitrags besteht
darin, durch ein Herausarbeiten des von Gamification und Serious Games
implizierten Spielbegriffs die spekulativen Risiken dieser Ansätze offen zu
legen und sie gleichzeitig historisch zu klassischen pädagogischen und
entwicklungsphysiologischen Theorien ins Verhältnis zu setzen. In diesem
Zusammenhang wird auch über die Differenzen und Relationen zwischen Spiel und
spielen zu sprechen sein.
Rolf
F. Nohr (Braunschweig): Die Einübung der Spekulation.
Ökonomische Rationalität im
Unternehmensplanspiel der 50er Jahre
Abstract:
Das Unternehmensplanspiel (UPS)
entsteht nach dem Zweiten Weltkrieg an einem Umbruch der Steuerungslogik der
Gesellschaft am Schnittpunkt von Unternehmensführung und ökonomischen
Paradigmen. Gleichzeitig ist das UPS eine Kulturtechnik, die durch das Medium
Computer und über Informatik und Medialität, Kriegswissenschaft und Operation
Research auch über die Grenzen einer reinen Führungsausbildung oder Unternehmensprognostik
in die Gesamtgesellschaft hinein wirkt. In den computergestützten Planspielen
der 50er Jahre werden Handlungssteuerung, Wissenstransformation sowie die
Adaption an ein neues Medium und einen veränderten Rationalitätsbegriff
›gespielt‹. Das UPS ist somit eine ›Maschine‹ der Wissenstransformation und der
Herausbildung von Adaptionsvorlagen für das »unternehmerische Selbst« (Ulrich
Bröckling), die primär ›Führungspersonal‹ adressiert. Die Vorstellung der
auszubildenden Führungspersonen (oder genereller Spieler) als ›pädagogisierbare
Einheiten des Produktionsprozesses‹ soll einer steigenden Spezialisierung und
Scientifizierung der Wirtschafts‐
und Unternehmensordnung Rechnung tragen und trägt zur Implementierung einer
spezifischen ökonomischen Rationalität bei. Das UPS wird so als eine diskursive
›Verdichtung‹ erkennbar, die verschiedene dispositive Konstellationen vereint
Maßgebliches Mittel einer solchen ›operativen Pädagogik‹ ist die konstatierte
Probehandlungsfunktion des UPS; also das ›konsequenzfreie‹ Ausagieren von
Führungsentscheidungen in Modellsituationen mit dem Ziel, das eigene Handeln
vermittelt durch die algorithmisch quantifizierte Bewertung der Spielleistung
zu optimieren und an ökonomische Parameter zu adjustieren. Paradigmen von operation
research, scientific managment und Kybernetik greifen – befeuert von
Versprechen einer spezifischen Rationalität der frühen Computerkultur – über
die Idee des Probehandelns, des Simulierens und des Spielens auf das Subjekt
zu. Die Spekulation verbirgt sich dabei – zumindest in der ersten Phase der
Planspielspielgeschichte – im Paradigma der Modell‐
und Simulationstheorie: UPS setzen auf das ›Durchspielen‹ von modelrationalen
Szenarien auch um prognostisch und stochastisch Aussagen über zukünftige
Szenarien zu ermöglichen. Die ›Führungspersönlichkeit‹ des Managers adaptiert
sich damit nicht nur an Figuren der externen Beratung, der Modellierbarkeit von
Entscheidungsprozessen (oder den Wunschkonstellationen des Computers), sondern
auch an ein spezifisches, als scientizistisch‐rational
ausgewiesenes Modell ökonomischer Spekulation.
6.5
Das Gewisse und das Ungewisse – Spekulieren als Spannung zwischen
Bildform und Körpererleben
HZ10
Moderation: Herman Kappelhoff
Jan-Hendrik
Bakels (Berlin): Die Ästhetik des Spekulativen.
Auslassung, Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit in den Filmen Darren Aronofskys
Abstract:
Auf den aktuellen filmtheoretischen
Diskurs zum unzuverlässigen Erzählen angewandt, birgt der Begriff der Spekulation
das Potential, die Frage nach dem Verhältnis von Film und Zuschauer zu
vertiefen: Begreifen wir den Film als eine Anordnung audiovisueller Bilder, die
sich repräsentativ zur Alltagswelt verhält? Oder vielmehr als eine imaginäre
Tätigkeit des Zuschauers, die an die leibliche Empfindung von Bildern, Tönen,
Farben und Bewegungen gebunden ist? Im Eingangs erwähnten Kontext scheint die
Idee der Spekulation diesen theoretischen Überlegungen nahezustehen, ist
doch das Konzept des zuverlässigen Erzählens eng an die Vorstellung einer
intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, einer Evidenz des Faktischen gebunden.
Damit liegt der Gedanke nahe, tendenziell zwischen einem objektiven und einem
spekulativen Erzählen im fiktionalen Kino zu unterscheiden. Doch ist die Idee
einer objektiven Referenzgröße überhaupt mit dem Konzept des fiktionalen
Erzählens vereinbar? Kann Fiktion spekulieren? Oder muss die Domäne des
Spekulativen im fiktionalen Kino vielmehr abseits der Leinwand gesucht werden –
im Dunkel des Kinosaals, im Körper des Zuschauers? Auslassungen, Unbestimmtheit
und Mehrdeutigkeit bilden Konstanten im Werk des Regisseurs Darren Aronofsky.
Seine Filme erscheinen somit als Gegenstand einer filmanalytischen Reflektion
der Ästhetik des Spekulativen prädestiniert. Aronofskys Film The Fountain realisiert
sich als die Erfahrung eines komplexen Spiels aus Doppelfiguren,
Wiederholungen, Analogien und Verweisen, deren zeitliche Anordnung mitunter
sprunghaft und unbestimmt wirkt. Lässt man jedoch die Kontrastfolie eines
zuverlässigen, eindeutigen Erzählens bei Seite, lässt sich dieses Spiel
filmanalytisch als eine ästhetische Strategie fassen, die – dem Horror, der
Action oder dem Suspense gleich – ihre Struktur der Adressierung einer
spezifischen Erfahrungsweise verdankt. In diesem Fall: der Selbst‐Erfahrung
des Zuschauers als spekulierendes Subjekt.
Sarah
Greifenstein und Hauke Lehmann (Berlin): Poetiken des Suspense
– Erwarten, Vorausahnen, Spekulieren (doppelvortrag 40 min.)
Abstract:
Suspense ist in der Filmwissenschaft
ein gut erforschtes Phänomen; die Ansätze reichen von kognitivistischen über
bildtheoretische Ansätze bis hin zu wahrnehmungspsychologisch orientierten
Perspektiven. Ein Großteil der theoretischen Zugänge konzeptualisiert mit dem
Begriff Suspense eine Form der Zuschaueraktivität in enger Abhängigkeit von
filmischen Strukturbildungen. Meist wird diese Aktivität als eine rein
kognitive Angelegenheit beschrieben, die auf Informationserwerb, logisches
Verstehen, Hypothesenbildung und bewusste Antizipation ausgerichtet ist – der
Zuschauer als Spekulant. Begreift man jedoch Spekulation nicht als eine
entkörperlichte Tätigkeit, sondern als einen Vorgang, der den Zuschauer in
seiner Leiblichkeit ganzheitlich einbezieht, verschiebt sich auch die
Perspektive auf den Begriff des Suspense: so wird es nun möglich, mit dem
Suspense eine Art und Weise der Wahrnehmungsgestaltung zu fassen, die auf der
Ebene kinematographischer Bildformen über detaillierte Analysen beschreibbar
wird. Damit ist die Dramaturgie der plotbezogenen Informationsvergabe nurmehr
ein Faktor unter vielen, welche mit der Wahrnehmungstätigkeit des Zuschauers
interagieren und die Intensität seiner emotionalen Einbezogenheit über die
Dauer des Films hinweg strukturieren. In den Vordergrund tritt währenddessen das
filmische Zusammenspiel von Zeitgestaltung und Bewegungsanordnung, wie es ein
wörtliches Verständnis von »Suspense« als »Aufhebung« oder »Aufschiebung«
nahelegt. Dieses Zusammenspiel resultiert in der spezifischen Empfindung eines
spannungsreichen In‐ der‐Schwebe‐Gehalten‐Seins,
wie es sich für unterschiedliche Filmpoetiken analytisch nachweisen lässt. Der
Vortrag verfolgt das Ziel, das Ineinander von kognitiver und leiblich‐affektiver
Aktivität des Zuschauers zum einen theoretisch zu konzeptualisieren und zum
anderen an ausgewählten Filmbeispielen anschaulich nachvollziehbar zu machen.
Moritz
Schumm (Berlin): Spekulierende Lebenswelten in den
Filmen Joel und Ethan Coens
Abstract:
Dass es den Brüdern Joel und Ethan Coen
gelungen ist, eine Eigenständigkeit und Originalität des Stils zu kultivieren,
scheint schon durch die Kreierung des Attributs coenesk verbürgt. Zur Klärung
des spezifisch Gemeinsamen ihrer Filme bildet der einfache Verweis auf die
Autorschaft jedoch einen nur sehr vagen Rahmen. Mit dem Begriff der
Spekulation, verstanden als Vertrauen auf und Bauen von Annahmen, denen keine
letztgültige Gewissheit zuerkannt werden kann, scheint sich jedoch eine
inszenatorische Strategie aufweisen zu lassen, die, mit weitreichenden
Konsequenzen für Ästhetik und Rezeption, den Filmen der Coens gemein ist. So
verkehren die Coens das gewohnte Verhältnis von filmischer Welt und den ihr
eingeschriebenen Figuren. Denn mit dem deutlichen Schwerpunkt auf letzteren und
ihren konkreten bis karikierenden Ausformulierungen zu je eigenen
„Lebenswelten“ bilden sie erst in ihren Begegnungen und Konflikten die
filmische Welt und deren Entwicklungen. Eine vermeintliche Objektivität der
filmischen Welt, der die Zuschauer Vertrauen schenken zu können glauben, wird
hierdurch zum reinen Spiel der Intersubjektivität. Und in gleicher Weise werden
auch Sehen und Denken zu spekulativen Tätigkeiten mit je eigenen Prämissen und
nicht bestimmbaren Konsequenzen. Was für die Protagonisten ein immer wieder neu
inszeniertes Scheitern provoziert, eröffnet dem Zuschauer auf diese Weise eine
veränderte Sicht auf den Film und seine Darstellungen. Auch er muss sich, durch
Brüche mit Konventionen, falsche Fährten und fortgeführte Unbestimmtheiten, auf
ein je eigenes „Zur‐Welt‐Sein“
einschränken. In gleicher Weise eröffnen die Bilder aber durch diesen
Multiperspektivismus auch ein kalkuliertes Auffächern der vermeintlichen
Bestimmtheit der filmischen Welt in ihre unterschiedlichen lebensweltlichen
Intentionen, Auslegungen und Aneignungen – und erlaubt so einen Einblick in die
Gemachtheit und Wandelbarkeit ihrer Zustände.
6.6
Bildgrenzen und Wahrnehmungsprozesse
HZ15
Moderation: Matthias Christen
HZ15
Moderation: Matthias Christen
Margret
Hoppe (Offenbach): Raumwahrnehmung und Materialität bei
analoger und digitaler Fotografie
Abstract: -
Tania
Ost (Offenbach):
Spekulation
in Langzeitprojekten der Porträtfotografie
Abstract:
Gegeben
sei: Ein Fotograf, ein Gesicht, zwei Bilder, viele Betrachter und dazwischen
Zeitraum für Spekulation. Ausgangspunkt sind zwei Fotografien und drei
Tätigkeiten1 – operator, spectrum, spectator. Zunächst stellt sich die Frage,
ob der Fotograf über die lange Zeit zwischen den Aufnahmen dem Gesicht näherkam
oder dessen Medienfähigkeit wuchs. Im Wechsel – wie in der Gleichzeitigkeit –
von Authentizität und Inszenierung beträgt die Entstehungszeit der zwei Bilder
vermutlich mehr als nur die reine Belichtungszeit. Über die Zeit
lichten die Fotografen überwiegend vertraute Gesichter ab, denn Familie und
Freunde sind meist allzeit verfügbar, während andere Modelle eine feste
Verabredung voraussetzen. Hingegen der Gesichtsausdruck schwankt immer zwischen
Natürlichkeit und Pose. Während im Entstehungsprozess der zeitlich weit auseinanderliegenden
Bilder der Fotograf seinen Blick für das sich wandelnde Gesicht wahrscheinlich
ändert, und sich damit Raum für Spekulation öffnet, weitet sich das Feld der
Spekulation entscheidend, sobald der Betrachter auf den Plan tritt: Zählen die
zwei Bilder zu einem privaten Familienalbum, so sind Fotograf, Modell und
wenige, ›vertraute‹ Betrachter die Hauptrezipienten und Erinnerungen werden
wach. Zählen die zwei Bilder hingegen zum künstlerisch angelegten
Langzeitprojekt in der Porträtfotografie, so sind ›fremde‹ Betrachter die
Hauptrezipienten. Der ›fremde‹ Betrachter wird zwischen Vorher und Nachher die Bilder
wie Suchbilder vergleichen. Wonach er sucht, ob nach Veränderungen oder nach
dem Gleichbleibenden im Wandel, hängt unter anderem von den zeitlichen
Abständen zwischen den Aufnahmen ab: Denn Menschen, denen wir selten begegnen,
können wir besser Entwicklungen ablesen, als ihr direktes Umfeld es vermag –
und genauso scheinen wir für diejenigen, die uns täglich sehen, nie zu altern.
Es geht etwas unmerklich vor, das erst über die Zeit merklich wird. Der
›fremde‹ Betrachter entwickelt bzw. hypostasiert vielleicht auch nur –
ausgehend von den einzelnen Momentaufnahmen, der implizierten Zeit und der
eigenen Lebenserfahrung – eine dazwischenliegende ›Erzählung‹, oder er setzt
diese gleichsam voraus. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Anteil des
Hypothetischen bei den Betrachtungsweisen der Langzeitprojekte in der
Porträtfotografie.
Kathrin
Rothemund (Lüneburg): Out of focus? – (Un)schärfe und Vagheit
als visuelles Spekulieren in Filmbildern
Abstract:
Durch die Veränderungen, die mit digitaler Technik und High
Definition Einzug in die audiovisuelle Gestaltung erhalten haben, scheint in
den letzten Jahren der Bildschärfe und somit auch ihrer Antithese, der
bildlichen Unschärfe, eine besondere Stellung zuzukommen. Bildschärfe ist
jedoch schon lange ein visuelles Phänomen, welches sich über verschiedene
Kunstformen und in der Fotographie ebenso wie beim Film nachzeichnen lässt. Seit
Beginn des Kinos ist die Frage nach der Schärfe des Bildes sowohl apparativ als
auch stilistisch zu verstehen und zeigt in exponierter Weise das wechselseitige
Verhältnis von Technik und Ästhetik, das dem Filmdispositiv grundlegend
inhärent ist. Der Grad der Bildschärfe kann dabei sowohl vom Projektionsapparat
als auch durch die Gestaltung des Filmbildes selbst bestimmt sein. Diesem
doppelten Zugang zur Schärfe liegt ein großer Möglichkeitsraum in Bezug auf Wahrnehmung
und Interpretation zugrunde. Insbesondere in Bildern der Unschärfe, Vagheit
oder Verschwommenheit lassen sich visuelle Unbestimmtheitsstellen aufzeigen,
die in sich immer auch das Potential von Klarheit und Schärfe beinhalten,
welches einerseits durch eine apparative Nachjustierung oder andererseits durch
eine ästhetische Auflösung eingelöst werden kann. Dies lädt somit zum
Nachdenken über die allen Bildern (vermeintlich) zugrunde liegende Schärfe und Klarheit
ein und antizipiert in der Unschärfe und Vagheit das, was nicht vollständig
ist, aber sein kann. Anhand verschiedener Filmbeispiele soll daher über die
verschiedenen Bedeutungen von Bildern der Unschärfe spekuliert und der Fokus
auf die Potentialität der visuellen Vagheit gelenkt werden.
6.7
Das spekulative Potenzial visueller Medien. Sprachliche Evokationen des
Nicht-Sichtbaren in Film, Comic und Computerspiel
NG 1.741a
Moderation: Maike Sarah Reinerth
Julian
Hanich (Berlin): Suggestive Verbalisierungen.
Botenbericht, Mauerschau und andere Formen sprachlicher Evokation im Film
Abstract:
Michel Chion
hat in seinem beeindruckenden Buch Film, a Sound Art (2009) kürzlich an die
evokative Kraft der Worte im Kino erinnert. Dabei berührte er einen Punkt, der
für die Frage nach der Imaginationstätigkeit des Zuschauers von großer und –
ich würde behaupten – weitgehend unterschätzter Bedeutung ist. Häufiger als es
uns Zuschauern bewusst ist, arbeiten Filmemacher nämlich mit suggestiven Verbalisierungen
nicht gezeigter Ereignisse und Zustände, die uns zum mentalen Visualisieren herausfordern,
ja uns gelegentlich sogar dazu zwingen, Dinge auszumalen und vor das ‚innere
Auge’ zu rufen. Diese Formen sprachlicher Evokation können sowohl das Schildern
von Handlungen als auch das Beschreiben von Zuständen umfassen. In meinem
Vortrag möchte ich anhand von Beispielen aus Eyes Wide Shut (Stanley Kubrick),
Halloween (John Carpenter) und Weekend (Jean-Luc Godard)
eine Typologie suggestiver
Verbalisierungen vorstellen sowie ihre ästhetischen Funktionen untersuchen.
Markus
Kuhn (Hamburg): Ton vs. Bild. Formen autonomen sprachlichen
und auditiven Erzählens im Film
Abstract:
Sprachliches Erzählen kann im Mehrkanalmedium Film – grob
vereinfacht – komplementär zum audiovisuellen Erzählen angelegt sein oder sich
vom audiovisuellen Erzählen lösen. Während ersterer Fall – besonders im
Mainstreamkino – dominiert und als nicht-markierter Normalfall gelten kann, ergeben
sich in letzterem Fall interessante Konstellationen, weil etwas sprachlich
erzählt wird, das auch visuell repräsentiert werden könnte und ggf. in einem Spannungsverhältnis
zum Visuellen steht. Drei Varianten dieser Konstellation möchte ich in meinem
Vortrag vorstellen: 1. Formen sprachlichen Erzählens auf intradiegetischer
Ebene; wenn also eine Figur zum Erzähler wird, deren Erzählung nicht visuell
unterstützt wird (wie z. B. in Persona von Ingmar Bergman). 2.
Voice-over-Erzählungen, die nicht vom Bild paraphrasiert oder komplementiert
werden, bis hin zu radikalen Formen, in denen ein Voice-over erzählt, während
das Bild monochrom bleibt (wie z. B. in Blue von Derek Jarman). 3.
Formen, in denen sich die auditive Ebene (Dialoge und Sounds) vom Bild löst und
(kurzfristig) eine eigenständige diegetisch-szenische Ebene konstituiert, die
das Visuelle ergänzt oder kontrastiert (wie z. B. in Pierrot le fou von
Jean-Luc Godard). In allen drei Varianten – so die Arbeitshypothese – kommt es
zu erzählerischen Evokationen des Nicht-Gezeigten, wird der Rezipient zur
aktiven Imagination genötigt, gerade weil das Medium auch eine visuelle
Repräsentation erlauben würde. Die erste Variante ist zugleich Ausgangspunkt
meiner Überlegungen und Anschlusspunkt an den Vortrag von Julian Hanich, sodass
seine phänomenologisch grundierten Beobachtungen mit meinen narratologisch geprägten
konfrontiert werden. In der zweiten und dritten Variante kommt es zu einer
scheinbaren Autonomie des Sprachlich-Auditiven, das jedoch immer in einem
zumindest assoziativen Spannungsverhältnis zur visuellen Ebene steht.
Stephan
Packard (Freiburg): Schrift statt Bild statt Bild wie
Schrift. Wenn Comics besprechen, ohne zu zeigen
Abstract:
Comics verwenden nicht nur Bild und Schrift, sondern Bilder
wie Schrift: Auch ›pantomimische‹ Comics, die ohne Sprache auskommen,
serialisieren und linearisieren Bilder, sodass strukturelle Ähnlichkeiten zur
Schrift eine besondere Lesbarkeit herstellen (vgl. immer noch Krafft 1978).
Dass es pantomimische Comics gibt, ist ein Gemeinplatz der Comicforschung; der
umgekehrte Fall, in dem Schrift ohne Bilder im Comic erscheint, rückt erst seit
kurzem in den Blick (vgl. Hertrampf 2012), auch weil er wohl nur gemischt
auftreten kann, wenn es sich denn um einen Comic handeln soll: In bestimmten
Passagen oder in bestimmten Beziehungen reden Comics von ihren Gegenständen,
ohne sie zu zeigen. Dieser Beitrag will an Beispielen aus Mainstream- und aus
avancierten Comics drei der Fragen nachgehen, die sich dann stellen: Wo und
wozu werden Comics avisuell? Was geschieht mit dem Bilder- und dem
Bild-Schrift-Gefüge an diesen Stellen? Und wie wird dabei Sagbarkeit und Sichtbarkeit
in der Aufteilung des Sinnlichen (Rancière 2000) neu verhandelt?
Hans-Joachim
Backe (Bochum): Sprache und narrative Distanz im
Computerspiel. Erzählen – Zeigen – Simulieren
Abstract:
Computerspiele benutzen, genau wie andere audiovisuelle
Medien, gesprochene und geschriebene Sprache für vielfältige Zwecke. Während
sie im Film selbst dann noch eine herausgehobene Position einnimmt, wenn man
wie Peter Verstraten (2009) Seymour Chatmans These ihrer Dominanz über die Bildebene
ablehnt, lässt sich die Bedeutung von Sprache in Spielen nicht so eindeutig
bestimmen. In den letzten zehn Jahren hat sich zusehends Gonzalo Frascas
Sichtweise durchgesetzt, den Simulationsaspekt von Spielen in den Vordergrund
zu stellen, und Konzepte wie Ian Bogosts procedural rhetoric zeigen nachdrücklich,
dass die choreographierte Abfolge von Ereignissen und Handlungen hier die
Sinnstiftung bestimmt. Ungeachtet dieser generellen Medienspezifik lässt sich
gerade in betont filmisch gestalteten Mainstream-Spielen sehr häufig
beobachten, dass Sprache und Schrift punktuell deutlich privilegiert werden.
Der Vortrag geht anhand einer Reihe von Beispielen der Frage nach, welchen
Zwecken diese Hinwendung zur Sprache dient und welche Anwendungsweisen sich
unterscheiden lassen.
17:00 - 17:30 Kaffee & Kuchen
Deatials im PDF Programm
Sa / 06. Oktober 2012
ab 9:00 Registration
7
// 10:00 - 12:00 Panels
7.1
(Un-)erwünschte Zukünfte. Spekulation und Simulation.
HZ11
Moderation: N.N.
Claus
Pias (Lüneburg): Der Problemaffe. Weltraumexperimente
als Spekulation und Simulation
Abstract: -
Martin
Warnke (Lüneburg): Wie Paul Baran einmal wild spekulierte
und dabei das Internet erfand
Abstract:
Als die RAND‐Corporation
im Auftrag der US‐Militärs Studien zu
einem auch durch thermonuklearen Krieg nicht zu zerstörenden Kanal für die Übermittlung
von Befehlen anfertigen lies, lies sich deren Autor, Paul Baran, dazu
hinreisen, bis dato ungekannte Kommunikationsstrukturen ins Spiel zu bringen. Distributed
sollten sie sein, verteilt, vernetzt und voller Redundanz. Um sich
Sicherheit darüber zu verschaffen, dass solcherart Zumutungen an die Telekommunikationsfirmen
und den gesunden Menschenverstand im hoffentlich nie eintreffenden Ernstfall
auch ihren Dienst taten, simulierte er Netz(zer)störungen anhand eines Modells,
das als Vorläufer des Internet aufgefasst werden kann. Nur: das Modell war gänzlich
ungeeignet – wäre das Internet nach seinem Modell von 1964 ausgelegt, hat es
schon Friedenszeiten nicht überstanden, vom Atomkrieg einmal ganz abgesehen.
Simulation von wilden Spekulationen auf Grundlage falscher Annahmen haben die
informatische Realitat des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts begründet.
Sebastian
Vehlken (Lüneburg): Schneller Brüten, oder: Das ‚Atom-Ei
des Columbus’. Simulation, Spekulation und Kernkraft 1970
– 1980
Abstract:
In Robert Jungks Anti‐Atomkraft
Bibel Der Atomstaat wird im Kapitel ›Die Spieler‹ mit dem Physiker Wolf Häfele
einer jener player scharf kritisiert, die mit unerschütterlichem
Zukunftsglauben die Entwicklung technischer Großobjekte für eine hellauf
strahlende Energiezukunft propagierten. Der ≫schwäbische
Pfarrerssohn≪ Hafele (Jungk) gilt
nicht nur als Vater des Schnellen Brüters in Deutschland, sondern leitete von
1973‐1980 auch das Projekt ›Energiesysteme‹
am IIASA‐Think Tank im österreichischen
Laxenburg. Auf Basis der Expertise von Nuklearforschung für Phänomene, die
aufgrund ihrer Komplexität eben nicht mehr als ganzes System experimentell
erforscht, sondern nurmehr in Computersimulationen in den Probelauf versetzt
werden können, propagiert er ausgerechnet diesen Forschungszweig als die
Avantgarde einer Wissenschaft des Unvorhersehbaren. Im Kontext des ›Atomic Age‹
kommt damit jener ≫verwegene spekulative
Forschungsstil≪ (Jungk) der Computersimulation
in radikalisierter Form in den Fokus: Denn spätestens wo mit mythischem
Sendungsbewusstsein ›Plutoniumwelten‹ entworfen werden, wird aus dem spekulativen
Spiel spektakulärer Ernst.
Jan
Müggenburg (Lüneburg): Der Tag an dem wir uns zu Tode
quetschen. Über das Verhältnis von Eskalation
und Spekulation am Beispiel von Heinz
von Foersters ›Doomsday Equation‹
Abstract:
Im Jahr 1960 beunruhigte der österreichische
Kybernetiker Heinz von Foerster die amerikanische Öffentlichkeit mit einer
dusteren Prognose in der renommierten Zeitschrift SCIENCE. Die Anwendung einer
– eigentlich für die Erforschung von Blutzellpopulationen entworfenen –
hyperbolischen Differentialgleichung auf historisch überlieferte Daten zur Welt
Bevölkerung habe ergeben, dass diese nicht nur deren vergangene Entwicklung bis
in die Gegenwart exakt bestätige, sondern dass sich mit ihrer Hilfe auch das zukünftige
Ausmaß der ›Bevölkerungsexplosion‹ mathematisch exakt vorhersagen lasse. Sollte
sich das Wachstum der letzten zwei Jahrtausende in gleicher Regelmäßigkeit
fortsetzen, so werde die Zahl aller Menschen auf der Erde bereits im Jahr 2026
den Wert ›+∞‹ erreichen. Statt Hunger, Krieg oder nukleare Katastrophen, so von
Foerster, warte auf die Menschheit am ›Tag des jüngsten Gerichts‹ also eine
ganz andere Gefahr: ›Death by Squeezing‹. In meinem Vortrag mochte ich das
immanent eskalatorische Moment der Doomsday‐Gleichung
herausarbeiten und mit dem spekulativen Gestus, die jeder Computersimulation zu
Grunde liegt, kontrastieren. Dieses Spannungsverhältnis, so meine These, war dafür
verantwortlich, dass von Foersters mathematisches Gedankenspiel auch außerhalb
seines eigenen Repräsentationsraums ›eskalieren‹ und sich zu einem
internationalen Diskurs Phänomen steigern konnte.
Isabell
Schrickel (Berlin): Thermostat für den Planeten –
Spekulative Ausgänge der Klimaforschung
Abstract:
7.2
Rätselhaftes und Unerklärliches: Medien der Spekulation
HZ12
Moderation: Ute Holl
Eva
Schauerte (Freiburg): „Wie alles du zu rätselhaft und dunkel
sagst!“ Spekulationen zum Rätsel der antiken Beratung
Abstract:
Im achten Jahrhundert v. Chr. wandeln sich Stellung und
Bezugspunkt einer naturphänomenologischen Kultstätte am Südhang des Parnass,
die bisher der Erdgöttin Gaia gilt. Mit der Inthronisierung Apollons durch den
Göttervater Zeus etabliert sich das Orakel von Delphi als soziopolitische Beratungsstätte
und wird zum Zentrum der griechischen Welt. Die außergewöhnliche und überregionale
Berühmtheit des Orakels lässt sich durch einen ausgewiesenen Polis- und
Rechtsbezug seines Gottes erklären. Delphi dient fortan nicht nur als Stätte
der inspirativen Mantik und erdverbundenes Heiligtum, sondern mutiert darüber
hinaus zum Versammlungs- und Repräsentationsort politisch-militärischer
Entscheidungsträger. Es entwickelt sich ein regelrechter Divinationsapparat, in
dem neben der Pythia auch Bohnen-, Los- und vermutlich Astragalorakel konsultiert
werden. Während einfache Besucher in der Regel mit einer binären
Ja-Nein-Antwort abgespeist werden, äußert sich die Pythia in anderen Fällen in
Form von rätselhaften Sprüchen, die ihrerseits ein differenziertes System an
Deutungsinstanzen generieren. Ebenso wie die Hermeneutik der Sprüche war und
ist die erzählerische Rekonstruktion der Vorgänge im Inneren des Tempels auf
die Berichte der anwesenden Priesterinnen und Assistenten angewiesen. So kann nicht
nur das Orakel selbst als Medium der Spekulation im Sinne eines
deutungsbezogenen Zukunftsentwurfs verstanden, sondern muss auch die
rezeptionsästhetische Seite der Orakelpraxis bezüglich ihres spekulativen
Moments untersucht werden. Die Mystik des Orakels liegt nicht nur in dem
Rätsel, das die Pythia den Fragenden als Ratschlag erteilt, sondern gleichsam
in der dispositiven Stätte des Tempels als Blackbox der Weisheit verborgen. Die
ritualisierten Vorgänge und tranceartigen Zustände der Pythia entziehen sich
den Besuchern im Nebel des Spektakels; das Risiko der Fehlinterpretation wird
von der Undurchsichtigkeit dieses Spekulationsraumes und der Dichte des darin
gesponnenen Mediennetzes aufgefangen. Der Beitrag beleuchtet beispielhaft, inwieweit
die oftmals missverstandenen oder trügerischen Rätsel des Orakels dennoch eine
fast tausendjährige Geschichte der Beratung an der Schnittfläche von
Göttlichkeit und Menschlichkeit, Recht und Ordnung und Schicksal und Zufall
befördern.
Kirsten
Wagner (Bielefeld): Das Labyrinth als Medium der
räumlichen Verhaltensspekulation
Abstract:
Im ausgehenden 18. Jahrhundert erlangte eine Reihe von
Versuchen des italienischen Naturforschers Lazzaro Spallanzani einige
Aufmerksamkeit. Bei diesen mehrfach reproduzierten und variierten Versuchen
mussten Fledermäuse mit geblendeten Augen durch verschiedene Räume fliegen: unterirdische
Gewölbe und verwinkelte Gänge von Gebäuden und Minen sowie Käfige, die durch
Stäbe, Fäden und großmaschige Netze labyrinthförmig verstellt worden waren.
Alle Versuche zielten darauf ab, aus dem Flugverhalten der Fledermäuse
Rückschlüsse auf die Orientierungsfunktion der einzelnen Sinne zu ziehen.
Spallanzani selbst nahm über die fünf Sinne hinaus, deren Kanon und Hierarchie
bereits über das gesamte 18. Jahrhundert Erschütterungen erfahren hatten, einen
zusätzlichen sechsten Sinn an. Die Manipulation der Sinne durch Vivisektionen u.Ä.,
die mediale Ausstattung der Räume und die anwesenden Zeugen, die nicht nur der
Beglaubigung der Versuche dienten, sondern mit ihren Körpern selbst Teil des
bzw. Hindernis im Parcours wurden, bildeten zusammen eine spekulative
Experimentalanordnung; spekulativ insofern, als jeder einzelnen von ihnen
Mutmaßungen darüber zugrunde lagen, wie sich die Tiere unter den jeweils
veränderten Versuchsbedingungen im Raum zurechtfinden und sich durch ihn
bewegen würden. Rund hundert Jahre später, auf einem ersten Höhepunkt der
Orientierungsforschung in der Physiologie, wurden die Versuche Spallanzanis von
Élie de Cyon wiederholt. Cyon bestätigte nicht nur dessen Versuchsergebnisse.
Mit der eigenen, indessen umstrittenen These eines im Innenohr lokalisierten
Raumsinnes lieferte Cyon zugleich den postumen Nachweis des von Spallanzani vermuteten
sechsten Sinnes und seiner Richtungs- und Orientierungsfunktion. Über die Physiologie
hielt das zum Medium der räumlichen Verhaltensspekulation gewordene Labyrinth schließlich
Einzug in den Behaviorismus, wo es gleichsam zu sich selbst kam. Anhand dieser
und weiterer Beispiele soll in dem Beitrag gezeigt werden, dass das Labyrinth
Medium nicht nur der Auskundschaftung mutmaßlicher Bewegungen im Raum ist,
sondern diese in seiner Anordnung immer schon vorwegnimmt. Im Prognostischen
von Spekulation liegt zugleich ihr Deterministisches.
Natascha
Adamowsky (Freiburg): Schleier und Dunkelheit – Aspekte
einer spekulativen Naturbetrachtung im 19. Jahrhundert
Abstract:
Der Topos
der geheimnisvollen Natur und die ikonographischen Spuren einer verschleierten
Isis durchziehen die abendländische Ideengeschichte. Im Verlauf des 19.
Jahrhunderts jedoch entwickelt die Rede von dunklen Geheimnissen und
merkwürdigen Rätselhaftigkeiten eine besondere Konjunktur. In der aufkommenden
Meeresforschung finden die Metaphern von Schleier und Dunkelheit, d. h. von
medial beeinträchtigten Sichtverhältnissen und Untersuchungsmöglichkeiten, einen
kongenialen Schauplatz: das Meer mit seinen unvorstellbaren Verborgenheiten.
Was die ‚verschleiernden’ Wellen und lichtlosen Tiefen eröffnen ist ein
Spekulationsraum, der von Autoren wie Jules Vernes, Gustave
Flaubert, oder Victor Hugo aufgespannt wird. Auch in die sich formierende
meeresbiologische Forschung hält die spekulative Dynamik Einzug. Der
Meeresforscher Peter J. Müller (1801-58) etwa ist von der anhaltenden
Rätselhaftigkeit seiner mikroskopischen Präparate fasziniert, die auch nach ihrer
Identifizierung „durchaus dunkel und rätselhaft“ bleiben.2 Die Resistenz des
Rätselhaften und die faktische Dunkelheit der Tiefsee machen das Meer zur
spekulativen Bühne par excellence, auf der man die drängenden Fragen nach dem Ursprung
des Lebens verhandelte. Dabei geraten metaphorische und physikalische
Dunkelheit durcheinander, denn das Licht eines Unterwasserscheinwerfers verhält
sich zur lichtlosen Tiefsee nicht so wie das Licht der Erkenntnis zum Unwissen.
Alles, was wir bis heute von den Meerestiefen wissen, ist das Ergebnis medien-,
tauch- und messtechnischer Operationen, deren Interpretation konstitutiv auf
Spekulation angewiesen ist. Am Beispiel der ersten Tiefseeexpeditionen wird die
Entstehung eines marinen Spekulationsraumes skizziert, in dem sich rätselhafte
Organismen und unfassliche Lebensbedingungen allen Bemühungen eines
Enlightenment widersetzen.
Mira Frye (Berlin): „The Truth is Out There“ – Dynamiken der Spekulation
in The X-Files
Abstract:
Die TV-Serie The X-Files, die insgesamt 202 Episoden
umfasst und von 1993 bis 2002 im USamerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde,
hatte in dieser Zeit neben Star Trek eine der größten Online-Fangemeinden
überhaupt. Die selbsternannten X-Philes tauschten sich in Usenet- Newsgroups
und Mailinglisten aus, diskutierten und spekulierten über den Fortlauf der
Serie. Die Drehbuchautoren griffen die Spekulationen der Fans auf und
berücksichtigten sie zum Teil bei der weiteren Entwicklung des Plots. Die
Dynamik der Spekulation wurde in The X-Files durch narrative Strategien
der Verrätselung und durch die zentralen Motive der Verschwörung und des Paranormalen
vorangetrieben. Zwischen dem Glauben an die Möglichkeit vollständiger
Aufklärung („The truth is out there“ als einer der zentralen Slogans der Serie)
und der letztlichen Unerklärbarkeit der Phänomene öffnete sich der Spielraum
der Spekulation. In der Ermittlungsarbeit der fiktiven FBI-Agenten Mulder und
Scully ebenso wie in der Ermittlungsarbeit der Zuschauer werden
unterschiedliche Modi der Wahrnehmung und Erkenntnis ins Werk gesetzt und
thematisiert. Inszeniert wird ein Wechselspiel von Offenbarung und Verbergung,
von Chiffrierung und Dechiffrierung, das zentrale Fragen nach der Medialität
der Medien im Kern berührt. So wie jedes Sichtbarwerden von Wahrheit auf ein
Unsichtbares verweist, führt in The X-Files jede Enthüllung zu weiteren
Fragen, Vermutungen und Rätseln. Durch die Figur des Rätsels bleiben Aufklärung
und Spekulation eng miteinander verknüpft. Unter Bezug auf
philosophisch-theologische Konzepte des Rätselhaften (etwa bei Emmanuel
Lévinas) lässt sich zudem zeigen, inwieweit The X-Files eine Logik der
Offenbarung und des Apokalyptischen entfaltet. Sowohl auf narrativer Ebene als
auch auf der Ebene der Rezeption wird die Möglichkeit verhandelt, zukünftige
Offenbarungen der Wahrheit zu antizipieren und durch die eigenen Prognosen zu
verändern. Die XPhiles nehmen dieses zukunftbildende Potential der
Spekulation gezielt für sich in Anspruch. So verbreiten sie seit Jahren im
Internet Vermutungen und Gerüchte über einen dritten X-Files- Kinofilm
mit dem vermeintlichen Titel I Believe in the Future, um die Zukunft von
The X-Files gleichsam herbeizuspekulieren.
7.3
Diesseits und Jenseits des ideologieproduzierenden Apparats -
Umbrüche und Perspektiven des
Dispositiv-Begriffes für den
Erfahrungsraum Kino
HZ13
Moderation: Thomas Klein
Florian
Mundhenke (Leipzig): Dispositiv Kino – Vom Menschen im Netz
der Sinnes- und Bedeutungsbezüge.
Anmerkungen zur Aktualität eines
Begriffs
Abstract:
Der
Dispositivbegriff hat für die Erklärung der Wirkung von Kino, seiner
spezifischen Wahrnehmung und der apparativen Ausrichtung von Erfahrung eine
Tradition, die die Institutionalisierung und Ausdifferenzierung der
Filmwissenschaft begleitet hat. Von der psychoanalytisch motivierten
Apparatus-Theorie der 1960er Jahre (Baudry) über die feministische Filmtheorie
der 1970er Jahre (de Lauretis) hin zu neoformalistischen Ansätzen der 1980er
Jahre (Bordwell) hat das Modell viele Adaptionen und Verwandlungen erfahren. Der
Vortrag möchte zunächst die Unterschiede eines engen (der Raum des Kinos als apparative
Struktur) und eines weiten Dispositivbegriffs (Institutionen, Produzenten,
Technik, Gesellschaft) vorstellen. Darüber hinaus soll insbesondere am Verweis
medienfunktionaler Bedingtheiten
des Dispositivs in anderen (medialen) Bedeutungskontexten (z.B. Screenings an
Universitäten, Sendeplätze des Fernsehens wie etwa das Montagskino)
rückbezüglich die Essenz der dispositiven Struktur deutlich gemacht werden.
Damit soll schließlich auf die Spezifik der Filmerfahrung im Kontext des Kinos
rekurriert werden.
Daniel
Kulle, (Hamburg): Dispositive der Bewegungsästhetik
Abstract:
Kinematografische Action ist Bewegung, und Actionfilme
bewegen nicht nur die Körper ihrer Darsteller und Darstellerinnen, sondern auch
die der Zuschauer im Kinosaal. Besonders im Genre des Actionfilms ist daher die
somatische Einfühlung als Rezeptionsparadigma für die Bewegung im Film
herausgestellt worden. Demgegenüber werden in der theoretischen Debatte
statische Repräsentationsstrukturen, universelle psychoanalytische Begierden
oder dynamische, von Mächten und subversiven Kräften durchzogene Diskurse und Körperdispositive
aufgeführt. Auf den ersten Blick stehen hier also zwei unterschiedliche Konzepte,
die des phänomenologischen oder materiellen Leibs und die des diskursiven Körpers
gegenüber, die sich im Kontext des Films als zwei scheinbar distinkte Wahrnehmungsdispositive
formieren. Am Beispiel der Wahrnehmung von Bewegung im Actionfilm stellt der
Vortrag verschiedene Konzeptionen von Leib/Körper vor und untersucht die damit
einhergehenden Rezeptionsweisen. Die vermeintliche Inkommensurabilität beider
Wahrnehmungsdispositive erweist sich dabei auf den näheren Blick als komplexes
Wechselspiel. Zu beobachten sind vielmehr Interaktionen, Konfrontationen,
Spannungen oder Kippbewegungen zwischen leiblichen und diskursiven Aspekten von
Wahrnehmung, die nicht zuletzt auch ein neues Licht auf die Eigenheiten des
Erfahrungsraum Kinos und seiner körperlichen/leiblichen Dimensionen werfen.
Bernd
Zywietz (Mainz): Verbotenes (Gegen-)Kino: Zum Apparatus
des Film-Streamings im Internet
Abstract:
„Nur im
Kino!“ - diese Ankündigung als Teil aktueller Filmtrailer erscheint geradezu trotzig
oder verzweifelt angesichts des Phänomens illegaler Kopien von Spielfilmen, die
sich kurz nach dem Kinostart (oder noch früher) im Internet finden. Ob
Peer-to-Peer, Download von Hosting-Diensten oder Streaming-Angebote, als
DVD-Screener oder Kameraaufnahmen aus dem Kinosaal: Dieses 'verbotene'
(Parallel-, Anti- oder Parakino-)Kino daheim ist als Massenerscheinung nicht
nur juristisch und ökonomisch ein interessantes Problem, sondern stellt auch
für die Forschung zum 'Erfahrungsort Kino' eine mehrdimensionale
Herausforderung dar. Der Vortrag befasst sich mit Filmstreaming-Seiten als
ebenso subversives wie parasitäres Dispositiv zwischen etablierter klassischer
Kinoerfahrung und statthafter und legaler Home-Movie-Unterhaltung. Er widmet
sich den Spezifika der Zuschauerposition, der Nutzungs- und (auch ästhetischen)
Angebotsstrukturen, fragt nach der (Un-)Möglichkeit von Alternativen und
skizziert
Florian
Leitner (Düsseldorf): Dispositiv und Disposition. Zum
wechselseitig konstitutiven Verhältnis von
Medientechnologie und Psyche
Abstract:
Ein zentraler Aspekt des Dispositivbegriffs besteht darin,
dass sich durch ihn Medialität als Dynamik begreifen lässt, die aus dem
Wechselspiel von Technologie und Psyche emergiert. Um dies herauszustellen,
greift der Vortrag Giorgio Agambens (direkt an Foucault anschließendes)
Dispositiv-Konzept auf, und stellt ihm den Begriff der Disposition gegenüber:
Während „Dispositiv” medientechnische Anordnungen hinsichtlich ihrer Subjektivierungsfunktion
beschreibt, bezeichnet „Disposition” die Gesamtheit der psychischen Bedingungen
und Effekte der durch ein Dispositiv ermöglichten Erfahrung. Entscheidend ist
dabei, dass Dispositiv und Disposition nicht in einer linearen Ursache- Wirkungs-Beziehung
zueinander stehen, sondern in einem wechselseitig konstitutiven Verhältnis. Auf
dieser Grundlage soll Mediengeschichte als Prozess akzentuiert werden, in dem
sich technologische und kulturpsychologische Transformationen gegenseitig
bedingen.
7.4
Workshop. Höchst spekulativ – Sexualität und Medien
HZ14
Moderation: Nanna Heidenreich
Marie-Luise
Angerer (Köln)
Andrea
A. Braidt (Wien)
Marc
Siegel (Frankfurt/Main)
7.5
Podiumsdiskussion: Die Medien der „Accountability“ I: Zu den gemeinsamen
Grundlagen von Sozialtheorie und Medientheorie
HZ15
Jörg
Bergmann (Bielefeld)
Christian
Meyer (Bielefeld)
Erhard
Schüttpelz (Siegen)
Tristan
Thielmann (Siegen)
7.6
Automatismen der Spekulation I: (Un)berechenbarkeiten
HZ10
Moderation: Theo Röhle
Andreas
Weich (Paderborn): Profile der Spekulation: Zur (Un)berechenbarkeit von Menschen
Abstract:
Wissen
über Eigenschaften und (potenzielles) Verhalten von Menschen ist von großer
Relevanz für Institutionen der Kontrolle und Überwachung. Das Konzept des
Profils hat diesem Wissen eine spezifische Form gegeben, die ihre Wurzeln vor
allem in den merkmalsbezogenen Kategorisierungen der Physiognomie hat. Durch
deren Mathematisierung seit dem späten 18. Jh. wurde die Überführung von
Persönlichkeit in kalkulierbare Daten etabliert. Am Beispiel der Kriminologie
des späten 19. Jh. soll im Vortrag gezeigt werden, dass bei der Erstellung von
Profilen sowie der auf diesen basierenden statistischen Dia‐ und Prognostik notwendig spekulative
Momente eine Rolle spielen. In computerbasierten Medien, so die These, sind
Profile heute oftmals Grundlage und Produkt von Automatismen der alltäglichen
Generierung von Wissen über Menschen. Anhand aktueller Beispiele wird
abschließend diskutiert, inwiefern dadurch Diskurse und Praktiken der
vermessenden Spekulation in populäre Medienkulturen integriert werden.
Julius
Othmer (Paderborn): Expect the Unexpected: Zum Verhältnis von Risiko und Spekulation in Zeitgenössischer Software
Abstract:
Das
Konzept des Risikos bringt ein auf Zukunft bezogenes Kontrollbedürfnis zum
Ausdruck und formiert damit einen theoretische Alternative zur Spekulation,
welche das selbe Ziel mit anderen Mitteln verfolgt. Im Risiko wird eine zur
Reaktion verpflichtende Gefahr oder Bedrohung durch Prozesse der Berechnung auf
statistischen Daten zum Risiko transformiert, das die Option des proaktiven
Handelns eröffnet. Risiko bedarf neben der statistischen Modellierung auch
einer Sichtbarmachung zwecks Transformation in Wissen und scheint somit wie
gemacht für die Idee des Computers. Mit der kulturellen Erfahrung einer
begrenzten Berechenbarkeit und sich mehrenden Kontingenzeindrücken verändert
sich das Konzept des Risikos. Der Gedanke der Präemption und Grenzziehungen
zwischen sicher und unsicher werden primär, weiterhin nähert sich der Umgang mit
Risiko der Spekulation in Momenten des Imaginären und des Spielerischen an. Der
Vortrag möchte diesen Wandel des Risikos und des Risikomanagements anhand von
Softwarefragmenten aus verschiedenen „kriminalistischen“ Diskursen vorstellen
und bewerten.
Timo
Kaerlein (Paderborn): Verhaltensprognosen in
Kriminalprävention und Science Fiction
– Ein Vergleich
Abstract:
Vorhaben im Bereich der präemptiven
Kriminalitätsbekämpfung wie INDECT in der EU sowie diverse lokale Initiativen
in den USA bringen technische Verfahren der Predictive Analysis und des Relationship
Mining in Stellung, um Straftaten zu verhindern, bevor sie begangen werden.
Dazu werden scheinbar zufällige Verhaltensmuster wie z.B. Bewegungsprofile
ausgewertet und in Kalkulierbarkeiten überführt. Ähnliches funktioniert bereits
weitgehend verlässlich im Science‐Fiction‐Film
Minority Report (USA 2002). Allerdings gibt es einen entscheidenden
Unterschied: Im Film verlassen sich die Behörden auf eine spekulative Instanz,
die sogenannten Precogs, die Vorhersagen über zukünftige Verbrechen treffen,
ohne Einblick in die Genese diesen brisanten Wissens zu geben. Eine Relektüre
des Films im Lichte jüngster Entwicklungen soll Aufschluss darüber geben,
inwieweit er als spektakuläre Spekulation über die notwendigen blinden Flecken
eines „lückenlosen Überwachungssystems verstanden werden kann.
David
Kaller (Paderborn): Geliehene Augen: zur Sichtbarkeit des Raumes in
der Drohnentechnologie
Abstract:
In den letzten Jahren ist in der zeitgenössischen Kunst eine
vermehrte Auseinandersetzung mit neuen militärischen Technologien der
Sichtbarmachung, Ordnung und Kontrolle von Räumen zu beobachten. Eine besondere
Bedeutung erhält dabei die Frage, auf welche Weise der Raum in eine
kalkulierbare Größe überführt wird. Ausgehend von der Videoarbeit Her Face
Was Covered (2011) von Omer Fast soll am Beispiel der militärischen
Drohnentechnologie aufgezeigt werden, welche Prozesse an der Visualisierung von
Territorien und den darin zu identifizierenden Akteuren und Objekten beteiligt
sind. Die Sichtbarmachung folgt dabei dem Bestreben, uneindeutige Informationen
als mögliche Risiken auf operativer Ebene zu reduzieren. Diesen Versuch einer
Berechenbarkeit des Raumes verhandelt die Arbeit Omer Fasts auf inhaltlicher
und ästhetischer Ebene: Sie verweist auf die Grenzen der medialen
Repräsentation des Raumes und zeigt auf, inwiefern die Deutung des Betrachters
an ein Moment der Spekulation gebunden ist.
7.7 „We only know in theory what we are doing“ –
Über Experimente
HZ5
Moderation: Christian Stewen
Bianca
Westermann (Bochum): Warum unsere maschinelle Zukunft
gestern gewesen sein wird oder die Eva
der Zukunft als Medienexperiment
Abstract:
Mit seinem 1886 veröffentlichten Werk L’Ève future schuf
der französische Schriftsteller Auguste de Villiers de L’Isle-Adam nicht nur
einen der ersten Science-Fiction Romane, sondern spekulierte gleich in
mehrfacher Hinsicht über zukünftige Möglichkeiten: Seine durch einen fiktiven
Thomas Alva Edison geschaffene Künstliche Frau, Hadaly, verkörpert sowohl das –
im Kontext seiner Zeit wenig überraschende – Bestreben, eine Maschine zu
erschaffen, die dem Menschen verwechselbar gegenübersteht, als auch die Utopie,
einen Körper zu erschaffen, dessen Materialität und Funktionalität aus
Medientechnologien zusammengesetzt ist. Villiers de Isle-Adams Science-Fiction
eines zukünftigen, technisch realisierbaren Medienkörpers kann somit
gleichzeitig als fiktives Experiment einer technischen Optimierung ‚der’ Frau
gelesen werden wie als Spekulation über zukünftige medientechnische Potentiale.
Geht man mit Dierk Spreen davon aus, dass „Science-Fiction versucht
gesellschaftliche und individuelle Möglichkeitshorizonte zu thematisieren, ohne
den ‚großen’ politischen Gegenentwurf zu formulieren und eine grundlegende
Umwälzung der Verhältnisse, [...] zu fordern. (Spreen 2008: 30)“, so rückt
Technologie als das Mittel zur Lösung zentraler Konflikte in den Fokus. Der
Medienkörper Hadaly ist in diesem Sinne eine ganz im Ursprung des griechischen mechanè
konzipierte, mechanische Maschine. Am Beispiel der zukünftigen Eva, die
genderpolitisch betrachtet gestriger nicht sein könnte, möchte sich der Vortrag
diesem Maschinenkonzept einer „Zukunft von gestern“, das zwischen einer
Spekulation über zukünftige Möglichkeiten und einem gegenwärtigen
Medienexperiment oszilliert, nähern.
Solveig
Ottmann (Bochum): Spekulation als medientheoretische und
medienästhetische Strategie in der experimentellen Rundfunkarbeit von Hans
Flesch und Ernst Schoen (1924-1933)
Abstract:
Hans
Flesch, Künstlerischer Leiter des Frankfurter Radios (1924-1929) und Intendant
des Berliner Rundfunks (1929-1932) und Ernst Schoen, zunächst künstlerischer
Assistent Fleschs (1924-1929), später dessen Nachfolger als Programmleiter
(1929-1933), verstanden das Radio als experimentelles Geräuschradio. Beide
machten den avantgardistisch-experimentellen Umgang mit dem Medium stark, um
einerseits die technischen und ästhetischen Eigenheiten des Mediums zu erkunden
und andererseits seine künstlerischen, sozialen und politischen Funktionen
auszuloten. Und es so, in einem zweiten Schritt, aus seiner historischen
Befangenheit spekulativer Bedrohungsszenarien und aus seinem straffen,
staatlich aufgezwängten Unterhaltungskorsett zu lösen, das jeglichen politischen
und sozialen Bezug des Programms ausschloss. Dabei integrierten Flesch und
Schoen die Spekulationen, die das Radio umrankten (Ätherparadigma, Spiritismus,
Zauberei, etc.) in die Experimente, um gleichzeitig durch das Experimentieren
mit den Eigenschaften und Möglichkeiten des Mediums das Spekulative aus dem
Diskurs auszuschließen. Exemplarisch aufgezeigt werden können diese Strategien
am Beispiel von Hans Fleschs Hörspiel „Zauberei auf dem Sender – Versuch einer
Rundfunkgroteske“ (Südwestdeutsche Rundfunkdienst-AG, Oktober 1924) das von
einer Sendestörung handelt, die das Abendkonzert des 24.10.1924 um 20:30 Uhr
befällt. Plötzlich passieren unglaubliche Dinge, die der Hörer live an seinem
Empfangsgerät zu Hause mitverfolgen kann. Was harmlos beginnt wächst sich
schnell zu einem turbulenten Wahnsinn aus und „Der Leiter“ (Hans Flesch) wird bald
für verrückt erklärt. Und schließlich taucht ein Zauberer auf, der behauptet,
für die Zerstörung der Ordnung im Sender verantwortlich zu sein und auf den
Röhren gezaubert zu haben.
Uwe
Wippich (Bochum): Experimentelle
Apokalyptik
Abstract:
Im Herbst 2011 hielt Ron Fouchier vom Erasmus Medical
College Rotterdam auf einer Konferenz in Malta einen Vortrag über das Potential
des Vogelgrippe Virus H5N5 eine Pandemie auslösen zu können. Fouchier hatte
dazu im Labor gezielte Mutationen erzeugt und damit ein auf dem Luftwege
übertragbares letales Virus produziert. Die Ergebnisse Fouchiers trügen dazu
bei, eine mögliche natürliche Mutation sowie deren Verlauf erkennen zu können, um
wiederum Übertragungswege in gefährdeten Gebieten isolieren und möglicherweise
auch eine Pandemie stoppen oder verhindern zu können. Die geplante
Veröffentlichung der aktuellen Experimente stieß jedoch auf große Bedenken von
Seiten des National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) der USA, da
diese als möglicherweise als potentielle Anleitung für die Herstellung einer
Biowaffe missbraucht werden könnte. Ein Film auf Youtube und auf der Homepage
der NSABB spricht von „Dual Use“ der Forschung und einer Bedrohung, welche
zugleich potentiell und real sei (http://oba.od.nih.gov/biosecurity/ biosecurity.html).
Notwendigkeit und Nutzen derartiger Experimente ebenso wie die Bedenken der
US-Regierung wurden in der Folge vielfach kontrovers diskutiert. Ende Januar 2012
kam es zu einem freiwilligen Moratorium von 60 Tagen, in denen die „Arbeit am Supervirus“
(Spiegel Online) gestoppt wurde. In dieser Zeit sollen Sinn und Zweck
derartiger Forschungen debattiert und transparent gemacht werden. Wie aber
verhält sich eine derartige Zusammenführung des Potentiellen und des Realen zum
Spekulativen und in welcher Weise sind Medien an der Produktion derartiger
Zusammenschlüsse beteiligt? Der Beitrag verfolgt die (fortdauernde) Debatte
unter dem Aspekt der medialen Bedingungen, der Notwendigkeit sowie der
Formationen und der Produktivität des Spekulativen im Spannungsfeld zwischen
den damit verbundenen medialen Konstituierungen von Realem und Potentiellem für
derartige Experimente und setzt diese in Relation zu medialen Inszenierungen
außer Kontrolle geratener Experimente (z.B. der Song Experiment IV von Kate
Bush (1986, Video) oder Filme wie 12 MONKEYS (USA 1995) oder 28 DAYS LATER (GB
2002), etc.).
7.8
„Aufs Spiel setzen. Fallstudien zur Intermedialen Ästhetik“
NG 1.741a
Moderation: Samuel Sieber
Nadja
Elia Borer (Basel):
Postfotografische An-Sichten einer Schweiz
Abstract: -
Naturalisierungseffekte des
Schweizerischen stehen mit den Praktiken der digitalen Fotografie zur
Disposition. Im Rahmen postfotografischer Verfahren werden die Konstruktion
nationaler Identität und die damit einhergehenden Heimatgefühle klischeehaft
und kritisch als Illusion aufs Spiel gesetzt. Diese dadurch ermöglichten
Reflexionen über die je verschiedene Konstruierbarkeit von Medienblicken einer
Schweiz werden in diesem Beitrag befragt.
Bettina
Wodianka (Basel): Zwischen Radiophonie, Literatur und
Theater: Der Zuhörer(/-schauer) im
Spannungsfeld erinnerter Vergangenheit
und erwarteter Zukunft
Abstract: Der
Beitrag diskutiert die seit den 1990er Jahren zunehmend intermedial
ausgerichteten Spielformen und radiophonen Strategien des Hörspiels, die sich im
Dialog mit zeitgenössischen Darstellungsformen des postdramatischen Theaters
entwickelt haben. Dabei stehen die vormals getrennten Räume und Rollen in
Produktion und Rezeption und die daraus resultierenden Konsequenzen für den
Zuhorer(/‐schauer)
im Mittelpunkt.
Constanze
Schellow (Bern): Autor des Spektakels oder
Spekulationsobjekt? Der Zuschauer im aktuellen Tanz-und Performance-Diskurs
Abstract:
In der Performance‐
und Tanztheorie wird der Zuschauer derzeit vom „spectator‐consumer“
(Bailes) zum „Autor des Stücks“ (Siegmund) erklärt, das Auditorium als
„Autorium“ (Ploebst) regelrecht in Szene gesetzt. Anhand von Eva Meyer‐Kellers
Performance‐ und Videoarbeit
„Death is certain“ (2002) wird vor dem Hintergrund dieses Diskurses die
Ambivalenz des Zuschauens in zeitgenössischer Performance verhandelt.
Laura
Amstutz (Basel): Über-setzen.
Eine Spekulative Technik
Abstract:
Der Beitrag unternimmt den Versuch, das
Verhältnis von Virtualität und Übersetzbarkeit (Benjamin) zu beleuchten und mit
diesem Fokus grundsätzlich nach der Medialität der Sprache zu fragen. Das
Übersetzen von einer Sprache in die andere ist eine transformative Wiederholung
des Nichtgleichen (Derrida), die ihre Setzung kontinuierlich aufschiebt und
dementsprechend in eine unabschliessbare Spekulation gerät.
8
// 13:00 - 15:00 Panels
8.1
Lücken und Brücken – Bildspekulationen in den Naturwissenschaften
HZ11
Moderation: Kathrin Friedrich, Christine Hanke,
Lina Maria Stahl
Lina
Maria Stahl (Potsdam): Spekulation – Fragen nach der Referenz
im Bereich der Mikroskopie
Abstract:
Bereits der Begriff der Spekulation weist darauf hin, dass
die Mikroskopie als eine Technologie und Praxis der Spekulation par excellence
betrachtet werden kann. Denn „Spekulation“ stammt vom Lateinischen speculari,
was soviel bedeutet wie Spähen, Beobachten, Erforschen. Im Deutschen Wörterbuch
der Brüder Grimm ist überdies nachzulesen, dass „Spekulation“ in der Bedeutung
von „beschauliche, tiefsinnige betrachtung eines gegenstandes, verhältnisses
u.s.w., zum zweck, die erkenntnis desselben dadurch zu erweitern“ steht.
Diese Beschreibungen ließen sich ebenso gut auf die mikroskopische Praxis
übertragen. Schließlich ist diese durch eine technische Apparatur gekennzeichnet,
in der das Sehen und Beobachten eine zentrale Stellung einnimmt. Das Mikroskop
steht allgemein für eine Erweiterung der sichtbaren Welt, für die Sichtbarmachung
und Erforschung von Dingen oder Strukturen, die mit dem bloßen Auge nicht zu
sehen sind. Es könnte daher auch als Erkenntnismedium bezeichnet werden. Weil
das Mikroskop etwas zu sehen gibt, was außerhalb der mikroskopischen Anordnung in
der Regel nicht gesehen werden kann, lässt es jedoch streng genommen nur Spekulationen
über das Gesehene zu. Aufgrund der medialen Unhintergehbarkeit des Mikroskops
bleibt die Identität oder Übereinstimmung mikroskopischer Ansichten mit einem
‚tatsächlichen’ Gegenstand, oder kurz: die Frage nach der Referenz, letztlich unüberprüfbar
oder paradox. Die Unterscheidung zwischen Fakt und Artefakt oder das Erkennen
sog. Abbildungsfehler ist daher alles andere als trivial. Anhand von Beispielen
aus der Mikroskopiegeschichte: von der Entdeckung von Zellen im 17.
Jahrhundert, über die Entwicklung einer Zelltheorie im 19. Jahrhundert bis hin
zu heutigen Verfahren, in denen die Zelle gleichermaßen als epistemisches Ding als
auch technisches Objekt agiert, werden spekulative Aspekte der Mikroskopie
aufgezeigt, die jedoch als konstitutive Ungewissheiten kein Manko, sondern ein
wesentliches und produktives Moment der Forschung darstellen.
Kathrin
Friedrich (Köln): Taktiken des Spekulierens –
Softwareoperationen und radiologische Diagnostik
Abstract:
‚Durch den linken Lungenflügel rein, und rechts wieder
zurück’- Visualisierungen ermöglichen RadiologInnen den Blick ins Körperinnere,
doch erst im Zusammenspiel mit Softwareprogrammen entfaltet das Bildhafte
seinen diagnostisch-prozessualen Charakter. Im medialen Durchfahren und
‚Auskundschaften’ spezifischer Körperregionen gewinnt nicht nur der
Patientenkörper an Gestalt, auch die Diagnose formt sich in der Interaktion von
Softwaretechnologien und RadiologInnen. Software selbst wird dabei zum Medium
zwischen deterministischen Algorithmen und operativer Ästhetik, welches durch
seine an der Oberfläche wahrnehmbaren „algorithmischen Zeichen“ (Nake, 2001)
das diagnostische Abwägen leitet. Doch welche Werkzeuge und Taktiken ermöglichen
dieses ‚digital-diagnostische Spekulieren’ im Sinne eines iterativen Auskundschaftens
von Bildern und durch Bilder? Der Vortrag nimmt diese Frage zum Anlass, um
grundsätzlicher nach dem epistemologischen Status von Softwaretechnologien und
-operationen in der radiologischen Diagnostik zu fragen sowie bestimmte mediale
Praktiken und Taktiken zu analysieren. Dabei sind es solch alltägliche
Verfahren wie Scrollen oder Drag&Drop, die fast profan scheinen, doch,
ebenso wie z.B. digital codierte Winkelmesser, einen nicht unerheblichen Teil
des radiologischen ‚Handwerkzeugs’ darstellen. In ihnen zeigt sich das
beständige diagnostische Für und Wider bzw. visuelle Hin und Her in den
Bilddatensätzen, welches auf den spekulativen und iterativen Charakter
verweist, der sich in den interaktiven Operationen zeigt. Dies macht ebenfalls
deutlich, das es auch in einer medienwissenschaftlichen Analyse weniger um ‚das
standhafte Bild’ gehen muss als vielmehr um Medien und Taktiken des visuellen
Spekulierens in, mit und zwischen Bildern, die nachhaltig die radiologische
Diagnostik bestimmen.
Christine
Hanke (Potsdam): Ästhetiken naturwissenschaftlicher
Spekulation
Abstract:
Die Praxis naturwissenschaftlicher Datenvisualisierung ist
in doppelter Weise spekulativ. Sie ist an Bild und Blick gebunden, macht also
Unsichtbares ansichtig und verfügbar. Gleichzeitig beinhaltet schon die
datenförmige Generierung von Wissen eine Vielzahl spekulativer Elemente, die
Ambivalenzen, Unentscheidbarkeiten und Unbestimmtheiten in das Wissen
eintragen. Inter- und Extrapolationen zur Ergänzung von Datenlücken, die
Reduktion von Störungen zum Herausschälen von Signalen und andere Strategien im
Spin Doctoring naturwissenschaftlicher Unbestimmtheiten werden zwar
durch statistisch-normalistische Praktiken und die Annäherung an Algorithmen abgesichert,
bleiben im Grunde aber spekulative Setzungen. Im Zuge naturwissenschaftlicher Visualisierung
verschwindet dieser spekulative Gehalt jedoch zugunsten einer Ontologisierung
der sichtbargemachten Objekte, denn die prinzipiell affirmative Logik des
Bildes steht dem Konjunktivischen oder gar Negierenden im Grunde entgegen. Diese
fundamentale Problematik epistemischer Bilder untersuche ich am Beispiel der ‚Visualisierung
von Unsicherheiten’ – einem Diskussionsstrang in Naturwissenschaft und Technik,
der sich um die Einführung und Standardisierung ästhetischer Praktiken zur
Darstellung spekulativen Wissen in Messung, Modellierung und Wahrnehmung bemüht.
An Beispielen u.a. aus Astronomie, Klimaforschung, Geographie diskutiere ich
die Ambivalenzen dieser spekulativen Spekulationen.
8.2
Spekulative Praktiken zwischen Faktualität und Fiktionalität
HZ12
Moderation: Mathis Danelzik
Jan-Noël
Thon/Klaus Sachs-Hombach (Tübingen): Spekulation. Ein transmedialer
Darstellungsmodus jenseits von Faktualität und Fiktionalität
Abstract:
Der Vortrag fragt im Anschluss an einschlägige
Theoriebestände der analytischen Philosophie (vgl. etwa Currie 2010 oder Walton
1990) und Narratologie (vgl. etwa Ryan 1991 oder Walsh 2007) nach der
Medialität und Transmedialität von Spekulation als eines spezifischen
Darstellungsmodus, der die auch in der Medienwissenschaft etablierte
Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion bzw. zwischen faktualer und fiktionaler
Darstellung unterläuft. Dabei wird zunächst die Frage zu klären sein, was überhaupt
unter einer Darstellung zu verstehen ist, wie sich Darstellung zum
Dargestellten verhält, inwiefern sich faktuale und fiktionale Darstellungen
unterscheiden und wie sich diese Unterschiede erkennen lassen, um dann – im
Rahmen einer intentionalistisch ausgerichteten Bedeutungskonzeption – den
spezifischen Referenzanspruch spekulativer Darstellungen in den Blick zu
nehmen, der weder mit dem Referenzanspruch faktualer noch mit dem
Referenzanspruch fiktionaler Darstellungen vollends zusammenfällt (vgl. hierzu
ansatzweise bereits Margolin 1999). Während im ersten Teil des Vortrags vor
allem das spannungsreiche Verhältnis zwischen Darstellung und Dargestelltem
sowie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen fiktionalen, faktualen und spekulativen
Darstellungsmodi im Fokus stehen, widmet sich der zweite Teil anhand
ausgewählter Beispiele der Medienspezifik spekulativer Darstellungsmodi in
verbalen, visuellen, audiovisuellen und interaktiven Darstellungen. Hier wird
dann auch die Frage zu stellen sein, inwiefern sich Spekulation angesichts der
Unterschiede zwischen spekulativen Texten, spekulativen Bildern, spekulativen
Filmen und spekulativen Computerspielen dennoch als transmedialer
Darstellungsmodus begreifen lässt, der gleichberechtigt neben den traditionell
unterschiedenen Modi der faktualen und der fiktionalen Darstellung steht und
dadurch auch die dogmatische Gültigkeit jener Unterscheidung in Frage stellt
(vgl. zum hier zu Grunde gelegten Transmedialitätsverständnis auch Thon 2012).
Susanne
Marschall/Meike Uhrig (Tübingen): Projektionen des
Denkens. Filmische Spekulationen über eine Ästhetik der Innenwelt
Abstract:
Die filmische Inszenierung subjektiver Erfahrungen basiert
auf höchst spekulativen Vorstellungen über die Ästhetik von Träumen und
Gedanken, von Erinnerung und Imagination. Ihre bildliche Darstellung steht
dabei in engem Zusammenhang mit dem Medienwandel von der analogen zur digitalen
Technologie. So versucht bspw. die Forschung im Bereich der Naturwissenschaft,
die Existenz subjektiver Gefühle und Gedanken durch bildgebende Verfahren
sichtbar zu machen und somit empirisch nachzuweisen. Eine Spekulation über eine
mögliche Ästhetik der Innenwelt bleibt jedoch noch immer den Filmschaffenden
vorbehalten. Dabei setzt der Film die Illustration von Innenwelten in einer
Mischung aus individueller Darstellungsweise, die den diversen subjektiven
Projektionen der Filmemacher entspringen, und etablierten filmischer
Konventionen um. Was entsteht ist eine komplexe Mischung aus subjektiver, intuitiver
und kulturell geprägter Vorstellung eines psychologischen Phänomens, das mit
Hilfe filmischer Inszenierungen visualisiert wird. Wiederkehrende Motive (vgl.
Liptay/Marschall 2008 und Uhrig 2012), besondere Licht- und Farbgestaltung
(vgl. Marschall 2005) – wie der Einsatz monochromer Farbräume zur Illustration
von Grenzübergängen, Träumen oder Ängsten – oder das Aufweichen der Kadrierung
werden zur Gestaltung introspektiver Momente angewandt und fungieren als deren
Marker. Doch auch Brüche mit diesen filmischen Konventionen finden sich
vermehrt und fordern eine aktive, reflektierte Rezeptionsweise des Zuschauers.
Denn: Längst herrscht in der Filmlandschaft die Vorstellung eines fließenden
Übergangs zwischen subjektiver Innen- und objektiver Außenwelt vor, und dessen Darstellung
bleibt nicht länger der Inszenierung wahnhafter oder psychisch instabiler
Figuren vorbehalten (vgl. Marschall 2008). Der Vortrag will anhand ausgewählter
Beispiele aus dem Bereich der Film-und Fernsehgeschichte die Darstellungsvielfalt
des Films sowie Konventionen und Konventionsbrüche der Visualisierung von Innenwelten
seiner Figuren beleuchten, und sich so der filmischen Spekulation über die
Ästhetik der Innenwelt nähern.
Hanne
Detel/Bernhard Pörksen (Tübingen): Spekulative Skandale.
Der Verlust der Kontrolle im digitalen Zeitalter
Abstract:
Das digitale Zeitalter hat eine neue Form der medialisierten
Sichtbarkeit hervorgebracht. Unter diesen Bedingungen entwickelt sich –
gleichsam im Schatten der durch die klassischen Massenmedien vorangetriebenen
Skandale – ein neues Skandalschema, das geprägt ist von drei Dimensionen der Ungewissheit
und der Spekulation. Die informationstechnische Voraussetzung für diese
Veränderung ist die Digitalisierung. In digitaler Form lassen sich Daten
beliebig kopieren, speichern, verknüpfen, abändern, remixen – die
physischmateriellen Einschränkungen von Bildern und Tönen, Texten und Filmen
verschwinden. So lässt sich der ursprüngliche Äußerungs- und Handlungskontext
hinsichtlich Raum, Zeit, Publikum, Öffentlichkeit und Modus leicht verschieben.
Die Folge derartiger Kontextverletzungen: Äußerungen und Handlungen werden
skandalisierbar und ihre Effekte spekulativ (Spekulation über die Wirkung des
eigenen Handelns). Was macht nun dieses neue Skandalschema aus (zum
,klassischenʻ Skandal vgl. etwa Burkhardt 2006, Kepplinger 2005, Thompson
2000)? Zunächst kann heute jeder effektiv skandalisieren, nicht nur die professionellen
Gatekeeper. Prominenz und Macht sind keine Voraussetzungen mehr für die Skandalisierung,
sondern jeder kann zum Objekt eines Skandals werden. Auch wird das klassische, massenmedial
vorstrukturierte Themenspektrum erweitert: Nicht mehr ausschließlich die Frage
der gesellschaftlichen Bedeutung ist entscheidend – auch bloße Mutmaßungen oder
manipulierte Daten können Empörungsexzesse hervorrufen (Spekulation über den
Wahrheitsgehalt von Inhalten). Die leichte Verfügbarkeit der Daten, die
Permanenz ihrer Präsenz, die womöglich globale Verbreitung und die schwierige
Identifikation der Verursacher – all diese Merkmale lassen die üblichen,
ohnehin begrenzten Möglichkeiten des Skandalmanagements als vergleichsweise
hilflos erscheinen. Zudem: Man kann als Betroffener nur spekulieren, was andere
von einem wissen, auf welcher Grundlage sie das eigene Ich als digitales Image
rekonstruieren (Spekulation über die eigene Reputation) (vgl. Solove
2007).
Guido
Zurstiege/Tino G.K. Meitz (Tübingen): Strategie. Zur strategischen
Bedeutung eines spekulativen Begriffs im Werbeprozess
Abstract:
In der Werbeagenturszene sowie in der sie reflektierenden
Fachpresse taucht seit einigen Jahren verstärkt der Begriff der ‚Strategieʻ als
zentraler, den Werbeprozess gewissermaßen organisierender Leitbegriff auf.
Agentur-Neugründungen – wie etwa die der Strategieagentur naked auf dem deutschen
Markt sowie die von Amir Kassaei für DDB gegründete Strategieagentur Hubble –
legen in diesem Sinne nahe, dass die gestiegene Bedeutung, die der
Strategiebegriff in den vergangenen Jahren erfahren hat, möglicherweise für
einen Wandlungsprozess im Werbesystem steht. Was Strategie auszeichnet und wie
sich der Strategiebegriff inhaltlich definieren lässt, können Werbepraktiker
dabei freilich in aller Regel nicht erklären. Ungeachtet dieser Unschärfe
gewinnt Strategieentwicklung jedoch im Werbegeschäft ersichtlich an Bedeutung. In
unserem Vortrag wollen wir der Frage nachgehen, welchen Ursachen sich dieser Bedeutungszuwachs
verdankt und welche Rolle vor allem forschungsgestützte Strategieentwicklung im
Prozess der Planung und Produktion werblicher Medienangebote spielt. Wir
stützen uns dabei auf qualitative leitfadengestützte Befragungen von
Entscheidern in der Agenturszene in Deutschland sowie auf die Analyse von rund
600 Dokumentationen von Finalisten des bekannten Werbewettbewerbs ‚Effieʻ, der
als eine Art Leistungsschau der Branche großes Ansehen genießt. Das Feld der
Werbung, so lässt sich zeigen, ist eine Sphäre geteilter Rationalitäten, in der
forschungsgestützte Strategieentwicklung eine vermittelnde Funktion übernimmt –
nicht obwohl, sondern gerade weil es sich dabei um ein inhaltlich nur vage
bestimmtes Konzept handelt.
Jürg
Häusermann (Tübingen): Räume der Wissenschaft. Spekulative
Verfahren der Popularisierung von Naturwissenschaft
Abstract:
Die Popularisierung von Wissenschaft ist bis in die
1950er-Jahre hinein als einseitiger Bildungsauftrag der wissenschaftlichen
Akteure gesehen worden. In den folgenden Jahrzehnten nahmen Konzepte aus dem
Bereich der Unterhaltung einen immer breiteren Raum ein. Inzwischen sind wir in
einer Ära dialogischer Ansätze angelangt, bei denen das Publikum sogar in
aktuelle Forschungsprozesse einbezogen wird (vgl. Phillips 2011). Dies gilt
nicht nur für Aktionen, die von der Wissenschaft ausgehen, sondern auch für
wissenschaftsjournalistische Texte in interaktiven wie traditionellen Medien. Viele
Studien gehen der Effizienz solcher Bemühen nach, „dialogisch“ und
„partizipativ“ vorzugehen oder werfen die Frage auf, welche
Informationsleistungen mit den traditionellen Formen über Bord geworfen werden
(vgl. Kurath and Gisler 2009). Was fehlt, sind Untersuchungen der Meta-Ebene,
in denen von einem medienwissenschaftlichen Gesichtspunkt aus gefragt wird, welche
Art der Wissenschaftskommunikation damit nachgestellt wird. Der Vortrag soll
entsprechend zeigen, wie wissenschaftsjournalistische Texte neue Räume und neue
Formen der Interaktion entstehen lassen, die sich von denen innerhalb des Fachs
klar unterscheiden. Orte, Akteure und Publika, die ad hoc geschaffen werden,
treffen sich zu Szenen, die in erster Linie auf sich selbst verweisen. Was in
der Wissenschaft wirklich geschieht, bleibt offen für Spekulation.
8.3
Automatismen und Spekulation II:
Die Frage der Verfügbarkeit
HZ13
Moderation: Serjoscha Wiemer
Christian
Köhler (Paderborn): Über Automatismen und
Spekulation in Geschichtsphilosophie
und
Mediengeschichte
Abstract:
Schon klassische Positionen der
spekulativen Geschichtsphilosophie beinhalten Modelle, die Strukturentstehung
aus verteilten Systemen beschreiben. Der trotz allem „regelmäßige Gang der
Weltgeschichte" (Kant) wird in ihnen dann auf im Verborgenen planende Instanzen
zurückgeführt (z. B. Kants „planende Natur“ oder Hegels „List der Vernunft“).
Spekulativ ist deren Erkenntnis, da sie auf einen Gegenstand geht, „wozu man in
keiner Erfahrung gelangen kann“ (Kant). Wenn sich Geschichtsschreibung jedoch
dadurch auszeichnet, dass ihr Gegenstand der sinnlichen Anschauung konstitutiv
entzogen ist, sie sinnliche Anschauung in ihren Narrationen vielmehr stiftet,
ist dann nicht jede Form historischer Erkenntnis notwendig spekulativ?
Inwiefern sind also zeitgenössische Mediengeschichten, die Strukturentstehungen
als mikrodeterminierte Prozesse denken, deren Ergebnisse ungeplant und
kontingent sind, ebenfalls spekulativ?
Matthias
Koch (Paderborn): „Spekulative Mediengeschichtsschreibung:
Zum Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität“
Abstract:
Kontinuitats‐
und Diskontinuitätsannahmen unterlegen dem historischen Prozess jeweils
strukturierende Automatismen. Diese entziehen sich in ihrem Wirken, sollen
historiografisch jedoch Gestalt annehmen. Spekulative Automatismen haben
also eine konstruktive Funktion, da sie Kausalität stiften und heterogene
Phänomene bündeln können. Entscheidend ist dabei die theoretische Transparenz
der zugrunde gelegten Annahme: Wird sie in ihrem spekulativen Charakter nicht
reflektiert, nimmt sie als Automatismus der Spekulation bzw. blinder
Fleck historiografischer Praxis selbst ‚automatistische’ Form an. Der Vortrag
skizziert Spekulation anhand von Beispielmodellen als medienhistoriografisches
Verfahren zur Reflexion der Wechselseitigkeit von Kontinuität und
Diskontinuität. Sie schlägt zwischen ihnen – in dezidiert provisorischer Weise
– eine sinnstiftende Brücke.
Lioba
Foit (Paderborn): Ironische Identitätskonzepte – Vom
Spielen und Vergessen der Vielfalt
Abstract:
Dem Dilemma heterogener und konträrer
Erwartungen und Anforderungen wird heute häufig über das Medium der Ironie
begegnet. So lassen sich auf performative Weise polyvalente Bedürfnisse der
Selbstkonstitution realisieren, ohne durch scheinbar widersprüchliche
Rollenvorgaben limitiert zu werden. Spekulationen ob der Wahrhaftigkeit dieser
Inszenierungen entscheiden sich, wenn überhaupt, in der Sicht des Betrachters
und ausgehend von ihrer situativen Adäquatheit. Die Bezüge bleiben dabei – ein
doppelter Twist der Ironieschraube – fixiert auf Konzepte, deren Kontingenz
bereits erkannt wurde. Der/die Handelnde entzieht sich damit einer Festlegung;
der diskursive Raum jedoch erzeugt aus den Signalen Figuren, die die
Anschlussoffenheit der Ironie immer wieder korrumpieren. Ist der/die Handelnde
schließlich (nur noch) Spekulant des eigenen Lebensentwurfs?
Martin
Müller (Paderborn): Die leuchtenden Bäume von Cambridge -
Synthetische Biologie, Hype, Spektakel, Design
Abstract: -
8.4
Film als Bildforschung – Spekulationen über das filmische Bild im
Essayfilm
HZ14
Moderation: Ramón Reichert
Vrääth
Öhner (Wien): Gedächtnis des
Politischen. Zur Umschrift der
Bilder in Chris Markers Le Fond de l’air
est rouge
Abstract:
1977 kommt mit Chris Markers Le Fond de l’air est rouge eine
essayistische Bestandsaufnahme dessen in die Kinos, was von den Idealen der
sechziger Jahre übrig geblieben ist. Drei Stunden lang konfrontiert Marker die
Zuschauer mit Ereignissen, die der jüngeren Vergangenheit angehören, wie dem
Vietnamkrieg, dem Mai ’68 oder dem Prager Frühling sowie mit der Geschichte der
Befreiungsbewegungen in Lateinamerika. Neben der Weitläufigkeit der
Argumentation überraschen aus heutiger Sicht die Ausgangsmaterialien des Films
– sie entstammen überwiegend der militanten Filmproduktion jener Dekade – sowie
deren fiktionaler und poetischer Gehalt. Es ist, als hätte Marker mit Le
Fond de l’air est rouge die aristotelische These von der Überlegenheit der
Poesie über die Historiographie belegen wollen: Zeugt doch die Art und Weise,
in der Marker die Abfolge der Ereignisse in einen spekulativen Zusammenhang
bringt, von einem Grad an reflexiver Durchdringung des Gegenstands, der auch
von der Historiographie nur in seltenen Fällen erreicht wird. In diesem Sinn
soll Le Fond de l’air est rouge zum Ausgangspunkt weiter führender
Überlegungen gemacht werden: Überlegungen, die beispielsweise die Poetik des dokumentarischen
Films mit der Poetik der historischen Wissenschaft vergleichen, den
wechselseitigen Beeinflussungen von Film und Geschichte nachspüren oder sich
schlicht mit der Frage beschäftigen, ob es dieselbe Vergangenheit ist, die in
den Bildern des Films vergegenwärtigt und in den Texten der Historie beschrieben
wird.
Dagmar
Brunow (Hamburg/Halmstad): Filmische
Interventionen ins koloniale Bildarchiv: Der Essayfilm als Bildforschung am
Beispiel des britischen Black Audio Film
Collective
Abstract:
Das Black Audio Film Collective hat in den 1980ern Jahren in
Großbritannien mit Handsworth Songs (Regie: John Akomfrah, 1986) und Twilight
City (Regie: Reece Auguiste, 1989) einige wegweisende Essayfilme gedreht.
Vor allem in ihrem Umgang mit Archivmaterial stellen die Arbeiten des Black
Audio Film Collective eine filmische Versuchsanordnung dar, die auf der Einsicht
beruht, dass sich Geschichte und Gedächtnis ehemals kolonisierter
Bevölkerungsgruppen nicht unproblematisch anhand des überlieferten Foto- oder
Filmmaterials rekonstruieren lässt. Da sich die Entstehung von Bildern nicht in
einem herrschaftsfreien Raum vollzieht, ist ihr Entstehungs- und
Distributionskontext stets mitzubedenken. Ein Film wie Handsworth Songs berücksichtigt
dies durch seine selbstreflexive Verwendung von Archivmaterial und trägt so zu
einer „Erneuerung des Sehens“ (Tode) bei. Durch das Ausstellen des filmischen
Apparates und dem ihm inhärenten Rassismus gerät das Archivmaterial im Film
nicht zum Authentizitätsversprechen, sondern zur Reflexion über die Ontologie
des dokumentarischen Bildes und zu dessen subversiver Resignifizierung.
Maren
Grimm (Wien): Das Gute, das Böse –
und das Häßliche. Eine Spurensuche im Italowestern nach Motiven der
Vergangenheitsbewältigung in postfaschistischen Gesellschaften
Abstract:
In der retrospektiven Analyse der Italowestern läßt sich ein
Gewaltdiskurs skizzieren, der nahelegt, die Popularität dieser Filme im
deutschen Kino der 60er und 70er Jahre als Symptom einer verdrängten Auseinandersetzung
mit der faschistischen Vergangenheit zu erklären. Die Sprache versagt, sowohl
als erzählerisches Mittel der Filme als auch als Mittel der Verständigung
zwischen den Charakteren. Kohärente Handlungen weichen alternierenden Montagen
von scheiternden Dialoge und expliziten Gewaltdarstellungen. Die Städte sind
öde, verwüstete Orte umgeben von leeren Landschaften, die Hauptdarsteller
oftmals traumatisierte Charaktere, die, wie Sergio Leone über seine
Protagonisten sagte, „Männer sind, die mit dem Tod leben.“ Aus der heutigen
Sicht lassen sich die Italowestern als Agenturen des historischen Traumas der
bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft adressieren. Der Vortrag unternimmt
anhand ausgewählter Beispiele den Versuch, Verhandlungsfiguren und Motive zu
bestimmen, betrachtet die Koproduktionszusammenhänge in Italien, Deutschland
und Spanien sowie die Reaktionen des deutschen Publikums und die Rezeption der
Filme in den Feuilletons. Die Frage, inwieweit es sich hier um eine Spekulation
handelt, stellt sich schon allein dadurch, dass es sich um eine Beweisführung
anhand des Fiktionalen handelt, um damit nachträglich die Anwesenheit von etwas
öffentlich Abwesendem zu belegen.
8.5
Ortsspekulationen
HZ15
Moderation: Harald Hillgärtner
Hedwig
Wagner (Weimar): Spekulationen über den Grenzverlauf
Abstract:
In diesem Vortrag wird Spekulationen an
der und zur territorialen Grenze nachgegangen und gefragt, wie Ungewissheiten
über das örtliche Befinden auftreten und wie sich dies in Filmen, die Fluchten
über die ‚grüne Grenze‘ zeigen, ausnimmt. Der Umgang der Filmfiguren mit Geo‐Medien
(Karten, Kompass, z.B.) kann zum einen das spekulative Moment in der
Interpretation der Raumdarstellung des vorfilmischen Territoriums mit sich
bringen, kann zum anderen den filmischen Raum selbst ungewiss werden lassen und
zu Spekulationen über die Beschaffenheit des Filmraums Anlass geben. Die exakte
Ortsbestimmung als die den (Geo‐)Medien
zugeschriebene Medienleistung ist im operativen Raumvollzug ein Spiel der
Überführung der Spekulation in Gewissheit, ein Vorgang, der sich bei jeder
Karten‐ wie Filmlektüre
vollzieht. Das besondere Spannungsverhältnis zwischen einer filmisch noch nicht
verifizierten Annahme und einer exakten Ortsbestimmung, die in ihrem
scheinbaren Evidenzversprechen Orts‐Gewissheit
behauptet, steht hier auf dem Spiel. Bei der Spekulation über den Grenzverlauf,
dargestellt im Film, gehen viele Spekulationen und hypothetische Annahmen
zusammen bzw. auseinander. In welchem Verhältnis die verschiedenen
Spekulationen, die vorfilmische Ort‐Spekulation
mit der filmischen und beide wiederum mit den narrativen Spekulationen stehen,
soll anhand von ‚ Grenzfluchtfilmen‘ dargelegt werden.
Stephan
Günzel (Berlin): Der Eigenraum der Medien
Abstract:
Im Vortrag wird die These vertreten,
dass sich die Geschichte von Medienumbrüchen als eine Veränderung von
Räumlichkeit beschreiben lässt; mit anderen Worten, dass Raum eine umfassende
Möglichkeit bietet, die Transformation von Kultur hinsichtlich von Kommunikationsmitteln
zu analysieren. Zu diesem Zweck ist eine Unterscheidung zwischen der
Räumlichkeit des Mediums und der Räumlichkeit seiner medialen Vermittlungsform
hilfreich. Damit kann gezeigt werden, dass sich die These einer zunehmenden
Enträumlichung durch Mediengebrauch nicht halten lässt, sondern Medien im Zuge
etwa der Überbrückung von Distanz zugleich einen Eigenraum der Vermittlung –
eben denjenigen ihrer Medialität – produzieren, dessen (geographische)
Lokalisierung notwendig spekulativ ist. Diese Spekulation bezieht sich nicht
nur auf die Orte kommunizierender Menschen, 2 sondern auch auf die Kaschierung
der Orte, an denen die Daten archiviert sind, durch die Orte, die den Daten im
Raum ihrer Präsentation zugewiesen werden.
Tristan
Thielmann (Siegen): Beinahe Medien
Abstract:
Die Bestimmung eines diskreten Ortes
durch Lokalisierungstechnologien wie dem Global Positioning System (GPS) ist
gekennzeichnet durch ein spekulatives Vorgehen. Bis es zur Festlegung „Du bist
hier“ kommt, ist ein Standort zunächst viele Standorte und die scheinbare
Aufzeichnung einer digitalen Spur ist die Nachzeichnung sozio‐technischer
Graphen. Die Herausbildung eines GPS‐
Standorts wie auch die Verbindung einzelner Geopunkte zu einem zurückgelegten
Weg stellt sich als ein arbiträrer bildlicher Akt dar. Zur Ortsbestimmung
braucht GPS zwar keine Karte, doch ohne die Kartographie hätte ein Geopunkt
keine Bedeutung und in der Regel auch keinen Ausdruck. Durch Social‐Media‐Anwendungen
wird diese strukturelle Determiniertheit erneut sichtbar. Die
Selbsteditierbarkeit von Navigations‐Apps
signifiziert, dass sich mobile Medien immer nur seiner tatsächlichen Position
und Wegbereitung annähern. Dabei handelt es sich um eine Ortskonzeption, die
der transitorischen Ortsvorstellung der Inuit entspricht, in deren Verständnis
Personen zu Weglinien werden, sobald sie sich bewegen. Der Umherziehende ist
instantiiert in einer Welt von Wegen ohne festes Ziel. Diese a‐moderne
Vorstellung kommt durch mobile Medien erneut zum Ausdruck, in der Orte bereits
immer schon Wege sind. Medien dienen hier und darüber hinaus an jedem Hier vor
allem dazu, den Eindruck der Diskretheit eines Standorts und den Eindruck der
Kontinuität eines zurückgelegten Weges zu vermitteln. Insofern verweisen mobile
Medien auf das, was sie immer schon waren und sind: ein Beinahemedium.
Regine
Buschauer (Basel): On Location
Abstract:
Location wird,
im Blick zumal auf sog. ortsbasierte Medien, oftmals als Ort im Sinne eines
Realräumlichen ausserhalb der Medien begriffen. Der Vortrag/Beitrag fokussiert
demgegenüber location als mediale Verortung bzw. als Begriff des
Spekulativen und der Ambiguität und fragt danach, inwiefern und in welcher
spezifischen Weise Medien ‚location‘ als Ort definieren und konfigurieren. Die
Formulierung „on location“ als Bezeichnung in der Filmproduktion für den
Schauplatz und (kulissenhaften) Ort der medialen Aufzeichnung wird in diesem
Rahmen zum Ausgangspunkt, nach Formen der medialen location jenseits der
Gegenüberstellung von Realraum und medialer (Bild‐)
Räumlichkeit zu fragen. Herausgestellt wird somit ein relationaler und medialer
Begriff der location als einer Verortung, die sich im jeweiligen
medialen Bezugsrahmen erst als Ort definiert.
8.6 Spekulative Subjekte, Objekte und
Konzepte
HZ10
Moderation: Vinzenz Hediger
Katrin
Solhdju (Berlin):
Spekulation in Aktion
Abstract:
Schafe galten lange Zeit als zu dumm
und zu uninteressant, um zu denjenigen Tieren gezählt zu werden, die einer
ausführlichen Ethologie würdig wären. Was man über ihr Verhalten wusste ging zu
großen Teilen in Begriffen der Rivalität auf. Mit den Forschungen der Ethologin
Thelma Rowell sind Schafe um vieles interessanter geworden, ja sie haben
begonnen, sich die „Ehrenprimatenschaft“ (Despret) zu verdienen. Diese
Transformation der Schafe ist eng mit Rowells experimenteller Praxis verbunden,
die sich als spekulativ begreifen lässt. Zur Fütterung ihrer 22 Schafe
stellte Rowell stets 23 Futterschalen zur auf. Die 23. Futterration eröffnet
den Schafen die Möglichkeit, andere, ihnen wichtige, soziale Eigenarten und
damit einen anderen, weniger eindimensionalen Schafs‐Existenzmodus
zu artikulieren. Nicht das Experimentalsystem artikuliert also das Versuchstier
sondern den Schafen wird die Chance gegeben, das sie betreffende
Experimentalsystem zu artikulieren. Die 23. Schale ist also eine
Möglichkeitsschale, ein spekulatives Objekt oder Medium, das nicht nur
eine interessantere Version des Schaf‐Werdens
vorführt, sondern auch die Forschungen der Ethologin interessanter,
bedeutsamer, überraschender werden lässt. Die 23. Futterschale könnte auch als
Proposition bezeichnet werden, als ein Vor‐schlag
oder „lure for feelings“ (Whitehead). Solche Köder oder Attraktoren auszuwerfen
und in der 3 Praxis experimentell zu erproben, sei es durch die Implementierung
neuer Objekte, Subjekte oder Konzepte, ließe sich dann auch als ethische wie
politische Herausforderung des Spekulativen an kultur‐
und medienwissenschaftliche Forschungen begreifen. Das Gelingen spekulativer
Interventionen würde sich auch hier daran messen, inwiefern sie in einer
konkreten Situation dazu beitragen, es einer maximal großen Anzahl von Akteuren
zu ermöglichen, sich auf neue, interessantere Weise zu artikulieren. Das heißt,
dass Spekulation sich nicht im Rücken derjenigen vollziehen darf, über
die sie spricht (Haraway), sondern vielmehr als eine Praxis der Fürsprechens zu
verstehen wäre.
Anton
Schröpfer (München): Nano Zukünfte
Nanomedizinische Forschung zwischen
zukunftsabsorbierenden Fiktionen und Spekulativen
Interventionen
Abstract:
Westliche
Volkskrankheiten wie Krebs, Arteriosklerose oder Arthrose bleiben für die
medizinische Forschung seit ihrer Erkundung weitgehend ungelöst und benennen
somit hoch komplexe Problemzusammenhänge. Dies soll ein schnelles Ende haben,
folgt man der politischen und forschungspolitischen Rhetorik sogenannter
nanomedizinischer Innovationen, die das Verständnis von Krankheiten wie Krebs,
Tumore und Arthrose zu 'revolutionieren' gedenkt. Die Bandbreite der damit
verbundenen Visionen ist groß und reicht von der Rede eines risikosensiblen und
nachhaltigen Beitrags für die Zukunft der Medizin bis zur Möglichkeit der
'Heilung' und gar 'Ausrottung' solcher lebensbedrohender Krankheiten. Der Blick
in die konkrete nanomedizinische Forschung jedoch zeigt, dass derartige 'Nano‐ Visionen' – trotz aller Rede von
Nachhaltigkeit und Risiko‐Sensibilität – sich als übereilte und
unterkomplexe Fiktionen einer vielmehr 'zukunftsabsorbierenden' Rhetorik
zeigen. Solche 'Nano‐Fiktionen' treffen im Labor auf
kontroverse und langwierige, nichtwissen‐beladene und ‐zukunftsprovozierende Prozesse konkreter
spekulativer Interventionen nano‐ medizinischer Forschungspraxis. Diese
Prozesse artikulieren und suggerieren eine widerständige 'Ökologie der
Praktiken' (I. Stengers) von emergierenden Subjekten, Objekten 4 und Konzepten,
die vielmehr einer Entschleunigung bedürfen um innovativ werden zu können. Der
Vortrag zeigt anhand nano‐medizinischer Arthrose‐Forschung wie die im Labor entstehenden
spekulativen Interventionen zu ambivalenten Vermittlern von je
unterschiedlichen Nano‐Zukünften werden.
Joost
van Loon (Ingolstadt): Das
Turiner Grabtuch –
Zur spekulativen Vielfalt eines virtuellen Objekts
Abstract:
Die
kontroverse Geschichte des Turiner Grabtuchs ist zugleich die Geschichte eines
hybriden Objekts von Wissenschaft und Religion, das als Vermittler kollektiven
Glaubens oder Nicht‐ Glaubens fungiert. Die Kontroversen sind
vielfältig und komplex: Fragen und Dispute über die Echtheit oder Falschheit
verbinden sich mit wissenschaftlicher Datierungsmöglichkeit, richtiger oder
falscher Materialitätsforschung, wahrer oder falscher Agnostik und sollen
Auskunft geben über die Bedeutsamkeit des Glauben an die biblische Wahrheit
oder deren Unwahrheit. In der Darstellung von Christus versammelt, haben diese
Kontroversen eines gemeinsam: Sie versuchen die Unbestimmtheit der wahren Natur
des Grabtuches zu bestimmen und zu stabilisieren. Dennoch – und das scheint die
Realität des Turiner Grabtuches auszumachen – es war, ist wird immer ein
virtuelles, d.h. spekulatives Objekt bleiben. Mit Hilfe Gabriel Tardes' Soziologie
des Möglichen analysiert der Vortrag die Mediatisierung eines solchen
spekulativen Objekts und zeigt wie Praktiken des "Überzeugens" und
"Begehrens" von Wirklichkeit sowohl in religiöser als auch in
wissenschaftlicher Praxis gestaltet werden. Darüber hinaus wird diskutiert, ob
und wie der hier vorgestellte "spekulative Realismus" zur Konzeption
einer prozessorientierten (Re‐)konstruktion von gesellschaftlicher
Wirklichkeit beitragen kann.
Michael
Schillmeier (München):
Das spekulative Ich –Zur Bedeutung der Demenz für einen
Ethos des Sozialen
Abstract:
Ergriffen [prehended] von der
Demenz begibt sich Frau M auf die Suche nach der verlorenen Zeit, den Menschen
und Dingen. Frau M wird zum spekulativen Ich und befindet sich wie
Marcel Prousts 'Ich' in einem Zustand des Dazwischen, voller bruchstückhafter
Erinnerungen und unheimlichen Ungewissheiten über das was war, ist und kommen
wird. Anders als bei Proust jedoch wird dieses Dazwischen nicht von
kurzweiligen Momente des Aufwachens und Einschlafens evoziert, sondern es ist
das Einnisten der Demenz im Alltag von Frau M., wovon dieser Vortrag erzählt.
Die Präsentation analysiert den mit dem Grimme Preis ausgezeichneten
ethnographischen Film ‘Der Tag der in der Handtasche verschwand’ von Marion
Kaintz und rekonstruiert die soziale und politische Bedeutung spekulativer
Praxis am Beispiel (pre‐)seniler Demenz.
Dabei stehen die Mediatisierungsprozesse von materialen und immaterialen
(affektualen und emotionalen) Erinnerungszeiträumen im Mittelpunkt, die sich an
der Schnittstelle von Wissen und Nicht‐Wissen
zeigen. Konzeptuell verbindet der Vortrag die Heuristik der
Akteurnetzwerktheorie mit anderen prozessorientierten Ansätzen (Heidegger,
Tarde, Stengers, Whitehead etc.) und plädiert für einen Ethos des Sozialen, der
die Möglichkeit der Differenz und ihrer Akteure in den Mittelpunkt rückt.
8.7 Spurensuche zwischen Fakten und
Fiktionen: Narrative und ästhetische Verfahren
der Spekulation
HZ5
Moderation: Skadi Loist
Christoph
Klimmer (Hamburg):
Spekulationen über Begriffe. Warum die Geisteswissenschaften
sich (nicht) in Geldgeschäfte einmischen sollten
Abstract:
Spätestens seit dem Beginn der Finanzmarktkrise im Jahr 2008
rückt das Kapital immer mehr ins Zentrum einer auch interdisziplinär geführten Debatte.
Bereits 2001 konstatierten Hardt und Negri die Existenz einer monetären Sphäre,
die sich an keinen residualen Raum mehr zurückbinden lasse und einer iterativen
Eigendynamik unterliege, die nur ihren eigenen, nicht aber institutionellen
Gesetzen unterworfen, in einen stetig steigenden Machtgewinn ihrer selbst
münde. Joseph Vogl schlägt in seiner kulturwissenschaftlichen Studie über die
Entwicklung des Kapitals zwar eine andere Rhetorik an, steht inhaltlich aber
durchaus in einer ähnlichen Tradition. Er entlarvt die Vorstellung einer
„unsichtbaren Hand“, die nach Adam Smith aus dem Prinzip des Eigennutzes heraus
resultiere, dabei aber paradoxerweise dadurch für das Wohl aller sorge, indem
sie den Markt stabilisiere und ordne, angesichts der massiven Krisen und
Einbrüche als irrational. Der Glaube an diese „unsichtbaren Hand“ sei in
Anlehnung an Leibniz' Theodizee eine „Oikodizee“. Der Markt könne sich nicht mehr
selbst regulieren; die Begriffe und Paradigmen, die traditionell angewandt würden,
um ihn zu analysieren und zu begreifen, seien obsolet geworden. Folglich bedarf
es neuer Ansätze, neuer Ideen und Modelle. So bemühen sich die Geisteswissenschaften,
sich dem Problem mit ihren eigenen Begriffen zu nähern. Ausgehend von der
Beobachtung, dass das global zirkulierende Kapital keinen realen Gegenwert mehr
habe, machen sie eine gebrochene Referenz aus zwischen den Zeichen – den Zahlen
und Beträgen der digitalen Transaktionen – einerseits und dem gegenständlichen
Kapital – der ‚Realwirtschaft’ – andererseits, wodurch sie Begriffe wie ‚Virtualität’
und ‚Fiktionalität’ anwendbar machen. In dem Vortrag soll es darum gehen, zu
überprüfen, ob und unter welchen Umständen eine „Einmischung“ fachfremder
Disziplinen in die Debatte zielführend sein kann sowie zu eruieren, wohin eine
Weiterführung dieser „Wahlverwandtschaften“ führen kann, wenn die eigentlich
zuständige Disziplin zu scheitern droht.
Julia
Schumacher (Hamburg): Spekulation und Verfremdung
Abstract:
Der
Charakter des Spekulativen im Sinne des Mutmaßlichen ist dem historischen
Erzählen an sich und so auch
seinen diversen Formen in Film und Fernsehen immer zu eigen. Die Evidenz des
bewegten fotografischen Bildes jedoch generiert einen Eindruck des „so‐gewesen‐seins“. Darauf aufbauend haben sich innerhalb
der Film‐ und Fernsehgeschichte verschiedene
formal‐ästhetische Strategien der Verschleierung
des spekulativen Inhaltes herausgebildet, genauso aber auch Methoden des
selbstreflexiven Umgangs mit diesen Mitteln, die auf eine Bewusstmachung der
Gestaltungsprinzipien zielen. Diese, auch als Verfremdung bezeichneten
Verfahren sollen die ästhetische Erfahrung „entautomatisieren“ und – zumindest
im Sinne Bertolt Brechts verstanden – die Rezipient_innen von dem dargebotenen
Inhalt distanzieren. An dieses Konzept knüpfte der deutsche, 2007 verstorbene
Regisseur Egon Monk in seinen Fernsehspielen und ‐filmen für die Erzählung der
bundesdeutschen Gegenwart und Zeitgeschichte an (z.B. ANFRAGE, 1962; EIN TAG,
1965; DIE GESCHWISTER OPPERMANN, 1983; DIE BERTINIS, 1988). Dabei ging es ihm
darum, die „in der Wirklichkeit verdeckten oder versteckten Zusammenhänge [...]
im Film erkennbar und begreiflich zu machen“. So kombinierte er beispielsweise
in kontrastierender Form Spielszenen mit dokumentarischen Materialen und suchte
durch die Vermeidung der analytischen Montage (Bazin) die rezeptionsseitige
Einfühlung in Protagonist_innen und ihre Situationen zu verhindern. Ob
derartige filmischen Verfahren der Verfremdung jedoch gleichfalls geeignet
sind, das thesenhafte der Repräsentation historischer Zusammenhänge kenntlich
zu machen, wird zu prüfen sein. Zu fragen ist an dieser Stelle, inwieweit die
rezeptionsseitig anvisierte Distanz vom repräsentierten Gegenstand auch
definitive ‚Aussagen’ zu diesem in der Repräsentation voraussetzt. Können die
formal‐ästhetischen filmischen Mittel der Verfremdung
gleichzeitig das Spekulative der historischen Erzählung offen legen? Oder evozieren
sie nicht vielmehr ebenso und sogar in besonderer Intensität den Eindruck des
„so‐gewesen‐seins“?
Andreas Stuhlmann (Hamburg):
Spurensuche am Ort der Spekulation
Abstract:
Der Vortrag beschäftigt sich mit zwei Videoarbeiten des us‐amerikanischen
Künstlers Zachary Formwalt. Sowohl The Place of Capital (2009) als auch Reading
the Economist (2010) stellen Versuche dar, an konkreten Orten wie dem Royal
Exchange in London, dem Central Park in New York und der Gouden Bocht an der
Amsterdamer Herengracht die von Finanzspekulation angetriebenen unsichtbare
Ströme des Kapitals mit Hilfe von Fotografie und Film sichtbar zu machen. Es
ist diese Verbindung von dokumentarischer Praxis und Narrativen aus der
Philosophie, Geschichte und Kulturtheorie, die den spekulativen Reiz der Essays
ausmacht. Denn ganz bewusst kontrastiert Formwalt in seinen essayistischen
Filmen historisches Bildmaterial, Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und
Filmausschnitte, die er als eine Art visueller Belegstruktur oder Beweisführung
darbietet. Dennoch bleiben einige Aussagen spekulativ, das Narrativ trägt
fiktionale Züge.
Nicola
Valeska Weber (Hamburg): Fiktion als Spekulation: Darstellungs-
und Rezeptionsmodi des Biopics
Abstract:
Als
Spielfilm ist der biographische Film/das Biopic fiktional und damit eine
Spekulation über die Identität bzw. den Lauf des Lebens einer historischen
Persönlichkeit. Gleichzeitig erhebt das Biopic den Anspruch auf historische
Referenzialität. Ausgehend von seinem Gegenstand und dessen Form zeichnet sich
der biographische Spielfilm damit durch ein graduelles Spiel von Fakten und
Fiktion aus, das sowohl auf der inhaltlichen als auch der ästhetischen, der
textuellen und kontextuellen Ebene auszumachen ist. Dieses grundlegende, nur
scheinbare Paradoxon, wird mit einer Reihe von paratextuellen und narrativen
Strategien zugleich gelöst und selbstreflexiv hervorgehoben: Eine Einladung
bzw. eine Aufforderung an die Rezipient_innen, die Darstellung in einem
bestimmten Modus zu rezipieren, sie nicht als ‚Realität’ oder ‚Wirklichkeit’ zu
verstehen, sondern sie innerhalb der generischen fiktionalen Welt als schlicht
möglich bzw. wahrscheinlich anzunehmen. Als retrospektive Kategorie ist das
Konzept Genre per definitionem bereits Spekulation. Dieser dem Konzept
eingeschriebene Charakter setzt sich im Einzelgenre Biopic sowohl auf der Ebene
der narrativen als auch der wirkungsästhetischen Mechanismen fort: Das Dargestellte
kann auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüft werden, letztlich sind wir als
Zuschauer_innen jedoch darauf angewiesen die Frage nach der Wahrscheinlichkeit aus
der Betrachtung der Artefakte und ihrer Kontexte selbst zu beantworten. Ziel
des Vortrags ist es an Hand aktueller und historischer Beispiele den für das
Biopic spezifischen Modus des Spekulierens
darzustellen und zu hinterfragen.
8.8 Die Medien der „Accountability“ II:
Fallstudien
NG 1.741a
Moderation: Erhard Schüttpelz
Dirk
vom Lehn (London): Sehen ‚accountable’ machen: eine
ethnomethodologische Analyse der Arbeit von Optometrikern
Abstract: -
Stephan
Habscheid (Siegen): Sicherheit im öffentlichen Raum:
Accountability zwischen Geosemiotik und Ubiquitous Computing
Abstract: -
Cornelius
Schubert (Siegen): Accountability des Ungewissen. Seriöses
Spekulieren am Beispiel computersimulierter Prognosen
Abstract: -
Johannes
Paßmann/Tristan Thielmann (Siegen):
Kontoführungsprobleme
beim Twittern: How to unfollow the natives
Abstract: -
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