Freitag, 5. Oktober 2012

Abstracts Mi + Do


GfM2012 Programm
Die Jahrestagung 2012 der Gesellschaft für Medienwissenschaft setzt die Frankfurter Traditionen der philosophischen Reflexion und der Finanzwirtschaft dialektisch zu einander in Beziehung und erkundet das Thema „Spekulation“.
Dass etwas bloße Spekulation sei, meint in der Regel, dass einer Aussage die empirische oder rationale Grundlage fehlt. Dem Klatsch und dem Gerücht verwandt, steht sie unter dem Verdacht der Transgression und der Halbwahrheit. Als Sprech- und Darstellungsregister ist die Spekulation zugleich ein Modus des Populären und ein konstitutives Medium moderner Wissensgesellschaften.
Wer spekuliert, ist ferner jemand, der mit Finanztransaktionen Geld verdient, ohne wirklich zu arbeiten. Im Zeichen der fortschreitenden Integration globaler Märkte ist die Finanzmarktspekulation zum neuen „faszinosum tremendum“ der Kapitalismuskritik geworden und hat dieser zugleich eine Wendung ins Medienanalytische gegeben.
Andererseits ist die „speculatio“, der Rundblick und die Spiegelung im Sinne einer Gesamtsicht der Welt, die lateinische Übersetzung der griechischen „theoria“. Spekulation als kritische Gesamtschau und als Denken von und in Spiegelungen gehört denn auch zu den Grundfiguren der Medien- und Kulturtheorie.
Die Jahrestagung der GfM lässt sich auf die Spekulation in all ihren Formen ein und geht ihrem schlechten Ruf ebenso auf den Grund wie ihren Risiken und Potentialen. Die Tagung fragt nach den Medien der Spekulation, nach der Spekulation der Medien und nach der Spekulation als Verfahren und Versprechen der Medienwissenschaft. 
Die Jahrestagung in Frankfurt/Main wird von der Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft unter Beteiligung der Hochschule für Gestaltung, Offenbach ausgerichtet.
Mi / 03. Oktober 2012


ab 17:00  Registration 
Studierendenhaus, Campus Bockenheim, Festsaal Foyer, 1. Stock

18:15  Begrüßung
Studierendenhaus, Festsaal, 1. Stock

18:45  Keynote
Studierendenhaus, Festsaal, 1. Stock
Bishnupriya Ghosh/Bhaskar Sarkar (Santa
Barbara): Speculative Globalities: Southern Emergences
20:15 GfM Best Publication Award Gender&Medien
Studierendenhaus, Festsaal, 1. Stock
20:30 Eröffnungsempfang
mit Filmvorführung
DIE BÖRSE (Hans Richter, 1939, CH)
Studierendenhaus, Festsaal
Do / 04. Oktober 2012


ab 08:30 Registration
HSZ, Campus Westend, Foyer, 3. Stock

1 //  09:00 - 11:00 Panels

1.1 Reziproke Spekulationen zwischen Produktion und Rezeption
HZ11
Moderation: Johannes Stier

Tanja Weber (Köln): Spekulationen vom und über den Fernsehzuschauer
Abstract:
Kein anderer Rezipient ist so großen Spekulationen bezüglich seiner Erwartungen ausgesetzt wie der Fernsehzuschauer, der mit einer potenzierten Erwartungsspirale zurechtkommen muss. Schon seine eigenen Erwartungen an das Programm unterliegen ständig wechselnden und zum Teil widersprüchlichen Rezeptionsmodi und launen, wie instrumenteller Mediengebrauch und habitueller Umgang mit dem Medium, mood management, Genreerwartungen, partielle und geballte Aufmerksamkeit. Darüber hinaus muss sie/er sich außerdem den Spekulationen der Produzenten stellen, die zu verstehen sind als eine Spezialistengruppe, die das Programm produziert und sendet. Denn die Produzenten entwickeln Erwartungen zweiter Ordnung – sie spekulieren darauf, was der Zuschauer sehen möchte (eine Sicht, der den Rezipienten als informierten Mediennutzer definiert), was er sehen sollte (man könnte dies als den öffentlichrechtlichen Erziehungsansatz bezeichnen), was er nicht sehen sollte (hier ist der Rezipient das Opfer, das es zu beschützen gilt), was er auf keinen Fall sehen sollte (und das daher zensiert wird) und natürlich, dass er sehen sollte (denn der Zuschauer ist immer der Konsument). Diese sich überlagernden und sich zum Teil widersprechenden Spekulationen der Produzenten hinsichtlich der Erwartungen der Zuschauer werden mit Luhmann Erwartungserwartungen genannt. Die Erwartungserwartungen verhindern im deutschen Fernsehen Innovationen und fördern Imitationen, so die These. Oder anders formuliert: In diesem System der Erwartungserwartungen wird auf Imitation gesetzt, um nicht zu hohe Fehlspekulationen verbuchen zu müssen. Denn die Spekulationen werden noch weiter potenziert: Der implizierte Zuschauer ist nicht der Zuschauer der Erwartungserwartung, sondern entspricht den Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Spezialistengruppe und deren Spekulationen über den Zuschauer. Damit befinden sich die Produzenten in einem spekulativen Dilemma.

Peter Scheinpflug (Köln): Intention/Konvention/Rezeption. Spekulationen in Genre-Theorie und Genre-Geschichtsschreibung
Abstract:
Jede Theorie, die sich mit der Produktion und Rezeption von Texten beschäftigt, ist immer zu einem bestimmten Grad auf Spekulationen angewiesen. Weder erschließen sich dem Forscher alle Produktionsfaktoren noch alle Rezeptionsmodi und Lesarten. Dem Detektiv ähnlich kann er nur seine Spekulation als Deduktion maskieren. Gerade in der Genre Theorie und Geschichtsschreibung werden Absichten von Regisseuren und Produzenten, dominante Lesarten und vermeintliche Genre Konventionen aufgrund von Kohärenz und Häufigkeit postuliert. Da eine ganzheitliche Beobachtung der Produktion und Zirkulation von Texten generell unmöglich ist, ersetzt die Spekulation die Reflexion über eigene Axiome und Aporien und stiftet kohärente Narrationen. Doch wie kann mit dieser Aporie umgegangen werden, wenn dem Forscher letztlich nichts als Texte und Texte über Texte zur Verfügung stehen? In der filmwissenschaftlichen Genretheorie gab es in den letzten zwei Dekaden darauf zwei Antworten: die intensive Textanalyse, die jeder textuellen Verhandlung von Genres im Detail einzelner Texte nachgeht, und die kritische Diskursanalyse, die in Diskursen über Filme Genre Definitionen dekonstruktiv betrachtet. Beide Ansätze drifteten zunehmend auseinander und verloren das aus dem Auge, was gemeinhin als Genre gilt: Textgruppen und deren Gemeinsamkeiten. Führt man diese beiden Ansätze jedoch zusammen und lässt Texte und Diskurse sich gegenseitig perspektivieren, so können textuelle Strategien und Muster beobachtet werden, die bestimmte Modi ihrer Theoretisierung und Historisierung textuell implizieren oder gar privilegieren. Dieser Fokus liegt nicht auf einzelnen Filmen oder Konventionen, sondern auf transgenerischen Textstrategien der GenreVerhandlung wie setpieces oder parodistische Modi der Genre (Trans)Formation; dieser Ansatz erlaubt eine Genre Theorie, die Spekulationen über Intentionen, Konventionen und Rezeption produktiv gegenliest und die Aporien der theoretischen Spekulation umgeht.

Thomas Wortmann (Köln): Der Vorhang zu und alle Fragen offen. Spekulation und Medienkonkurrenz
in Joe Wrights ATONEMENT
Abstract:
Spekulation, so liest man in der Ankündigung zur diesjährigen Tagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft, könne als Medium der Zukunftsoffenheit par excellence gelten, da in ihr die Ungewissheit über das, was war, und das, was sein wird, narrative Gestalt erhalte. In diesem Sinne handelt es sich bei Joe Wrights ATONEMENT (GB, 2007), der Adaption des gleichnamigen Erfolgsromans von Ian McEwan aus dem Jahr 2001, um einen Film, der den Konnex von Narration und Spekulation in Szene setzt. Durch sein Spiel mit rekursiven Schleifen von Narrativen und vermeintlichen Metanarrativen gleicht der Film einem Experiment mit den Erwartungshaltungen der Zuschauerinnen und Zuschauer, mit deren Spekulationen über die Hierarchie und die Ambivalenzen von happy endings, um sie schließlich mit Ungewissheit zu konfrontieren: In einem Epilog, der als Fernsehinterview inszeniert wird, gibt sich die Protagonistin des Films als Autorin der Geschichte zu erkennen, revidiert die vorher präsentierte Schlusskonfiguration, durchkreuzt das happy end und markiert es als Fiktion. Problematisch wird damit aber der Status alles bisher Erzählten. ATONEMENT klärt schließlich nicht auf, was tatsächlich war, sondern stellt verschiedene Narrative nebeneinander und fordert den Rezipienten zur Spekulation über das Gesehene auf. Eingeschrieben ist diesem Spiel aber – und hierin unterscheidet sich der Film von seinem Prätext, dem Roman McEwans – die Konkurrenz verschiedener Medien (Text, Film, Theater und Fernsehen) um den Anspruch auf Wahrheit. In den Blick geraten in Wrights Literaturverfilmung die spezifischen Mechanismen zur Her und Darstellung von Authentizität im jeweiligen medialen Umfeld.

Simone Natale (Köln): Die Zukunft der Medien, die Medien der Zukunft. Historische Betrachtung der fiktionalen Spekulationen über zukünftige Medien und Technologien
Abstract:
Im Jahr 1930 veröffentlichte die amerikanische Zeitschrift Popular Mechanics einen Artikel unter dem Titel „Prophets and their Prophecies“. Aber die Propheten, auf die die Zeitschrift sich berief, waren nicht religiöse Propheten oder spiritistische Hellseher, sondern weltliche Denker, die Voraussagen über die Zukunft der Medien machten. Nach Auskunft des Artikels hatten Schriftsteller, Ingenieure und Wissenschaftler viele der zeitgenössischen Technologien vorhergesagt, lange bevor sie erfunden worden waren. Pointiert schlussfolgerte der Autor des Artikels mit einem Zitat von Jules Verne: „Man can achieve what man can imagine“. Der Vortrag rekonstruiert die Funktionen von Zukunftsspekulationen über die möglichen Fortentwicklungen von Medien und Medientechniken in der Geschichte der Medien. Es wird argumentiert werden, dass die Entwicklung und die Etablierung neuer Medien häufig erst durch Spekulationen über die Technologie von morgen ermöglicht, befördert und vorbereitet werden. Wie anhand markanter Beispiele aus der Mediengeschichte gezeigt wird, können vermeintlich fantastisch anmutende, spekulative Annahmen und Voraussagen über die Zukunft der Medien als produktive Spekulationen verstanden werden, die nicht allein als Inspiration und Motivation für Ingenieure und Wissenschaftler fungieren können, sondern auch die Akzeptanz und Aneignung neuer Medien und Technologien in der Gesellschaft maßgeblich vorbereiten.

1.2  Philosophie und Filmtheorie: Horizonte der Spekulation
HZ12
Moderation: Vinzenz Hediger

Martin Seel (Frankfurt/Main)
Gertrud Koch (Berlin)
Jochen Schuff (Frankfurt/Main)

1.3  Wissen, Resonanzen, Formationen
HZ13
Moderation: Bettina Schlüter

Bettina Schlüter (Bonn): Bruchzonen der Spekulation in der Wissensformation des 17. Jahrhunderts
Abstract:
„Da alle Bilder und species intellectuales aufgefangen und behalten werden / so bald sie der Verstand von den sinnbaren Dingen abgezogen / so befiehlt er’s der Memori / als dem Schatzkasten / damit er sie zum speculiren gebrauchen möchte.“ (Kircher, S. 353) Ausgehend von der hier artikulierten Vorstellung möchte sich der Vortrag dem Begriff der Spekulation im Kontext der Wissensformation des 17. Jahrhunderts zuwenden – genauer: er möchte ihn an einer historischen Grenze zu bestimmen suchen, an der er gerade noch, und keineswegs ungebrochen als Fluchtpunkt mehrfach gestaffelter synthetisierender Bewegungen auf das Ganze einer intelligibel gestalteten Welt zu zielen vermag. Die integrierende Kraft der Spekulation basiert auf einem (pythagoreisch fundierten) Abstraktionsprinzip, das Analogien auf umfassende Weise organisiert und daher in der Musik (als mathematischer Disziplin) ein homolog strukturiertes Medium seiner kombinatorischen Basisoperationen findet, so als ob „die ganze Natur / als Gottes Kunst in allen Welt Verzichtungen / auf die musicalische proportiones gesehen habe“ (Kircher, S. 254) Die Entfaltung dieses Zusammenhangs – seine Implikationen für das Verständnis von Technik im Sinne einer (auch für den Jesuiten Kircher) legitimen Aneignung von Prinzipien aus der Natur, die Serie von Transformationen in den Übergängen von Welt, Wahrnehmung, Gedächtnis und Spekulation sowie die Spielräume einer sinnlichen Repräsentation von ‚theoria’(‚musica’ als ‚numerus sonorus’) – sollen zunächst im Mittelpunkt des Beitrages stehen. Dieser eingespielte und durch die Jesuiten als „strategisch operierendem Medienunternehmen“ (Zielinsky, S.139) perfektionierte Zirkel zwischen einer fortschreitenden Akkumulation „sinnbarer Dinge“ und ihrer homogenisierender Integration durch die Kraft der Spekulation wird jedoch zunehmend konfrontiert mit einer internen Ausdifferenzierung einzelner Wissensgebiete. Die massiven Umbrüche in der Wissensformation des späten 16. und 17. Jahrhunderts verdanken sich – so die These der weiteren Ausführungen – dabei weniger der Konfrontation mit einer expansiv sich erweiternden ‚Neuen Welt’, denn einer Redefinition von Basisoperationen der Spekulation und der mit ihr eng assoziierten Medien (wie bei der Transformation der Musik von einer mathematischen in eine rhetorische Disziplin). In Folge dieser Veränderungsprozesse gewinnt der Begriff der Spekulation dann jenes Maß an Kontingenz, das für sein modernes Verständnis unabdingbar ist.

Melanie Letschnig (Wien): Zur Attraktion der Spekulation – Eine Diskursgeschichte der Explosion
Abstract:
Das zerrüttende Potential der Explosion charakterisiert nicht nur ihre Form, sondern auch die theoretische Auseinandersetzung mit ihr. Polarisierung steht hoch im Kurs. Betrachtet man beispielsweise den Stellenwert der Explosion im filmwissenschaftlichen Diskurs über das Action Movie Genre, offenbart sich ihr polyphoner Reiz: einerseits wird der Explosion als Erkenntnisinstrument (in Bezug auf filmische Strukturen, Schaulust und Rezeption) Bedeutung beigemessen, andererseits wird ihr die lautstarke und bedingt gezielt einsetzbare Unfassbarkeit vorgeworfen, ihre Spektakularität verteufelt, weil sie die Narration zum Feigenblatt degradiere. Damit zeitigt die Furiosität der Explosion hitzige Debatten um die Ästhetik von Vergewisserung und Enttäuschung, die nicht erst mit dem Kino einsetzen. Als im 17. Jahrhundert Wissen in Form von Akademien institutionalisiert wird, gerät die Explosion zum Zankapfel. In Opposition zueinander stehen die Auffassung der Explosion als Beiträgerin zu einer “speculative knowledge“ (so der Historiker Simon Werrett), die als analogisches Phänomen Erkenntnisse über die Vorgänge in der Natur (Meteor!) hervorbringen soll und mit ihrer Attraktivität gleichzeitig als Bewußtseinsmaßnahme das Interesse der Menschen an der Wissenschaft anheizt. Andererseits wird eben genau das Spektakel der Explosion zum Vorwurf gemacht – als Eye Candy ohne Erkenntniswert verhält sie sich zu unberechenbar, um sich gänzlich in den Dienst der Wissenschaft stellen zu lassen. Die Positionen, die der philosophische Diskurs über die Explosion erzeugt, übertragen sich auf die Beurteilung des Stellenwerts der Explosion als Spektakel in Festkulturen europäischer Höfe. Hier wird mit prunkvollen Feuerwerken Politik gemacht, und je nachdem, welchen gesellschaftlichen Hintergrund und religiöse Konfession die HerrscherInnen und das Publikum vorzuweisen haben, erscheint der illuminierende Bombast als ästhetischer und ökonomischer Reizfaktor legitim oder verwerflich, auf jeden Fall ist die Explosion Mittel zur Demonstration und Manifestation von Macht. Anhand des Einsatzes der Explosion als ästhetischem Instrument in Wissenschaft, Festkultur und Kino soll untersucht werden, wie in der Eingliederung der Explosion als dienstbarem Phänomen zwar die Wirkstätten wechseln, nicht aber die Diskurse, die der Explosion das Spektakuläre und Spekulative hoch anrechnen bzw. vorwerfen.

Julia Rommel (Offenbach): Kommunikationstechnologien. Die Informationslücke als Anlass zur Spekulation eines gemeinsamen Zwischenorts
Abstract:
Distanz überwindende Kommunikation mittels ubiquitärer Technologien weist prinzipiell Informationslücken auf. Bestimmte Kommunikationselemente können aufgrund technologischer Beschränkungen vom Kommunikationspartner nicht „gelesen“ werden.
Die Informationslücke eröffnet einen Spielraum für Interpretation und Imagination. Ort und Situation des Anderen werden zum Objekt der Spekulation. Diese Spekulation bezieht sich jedoch nicht nur auf die eigene Unkenntnis über die Situation des Anderen, sondern auch auf das Wissen über die Unwissenheit des anderen. Die Informationslücke schafft somit die Möglichkeit der Inszenierung, wodurch bewusst eine Asymmetrie ursprünglich ebenbürtiger Kommunikationspartner hergestellt werden kann.
Aufgabe der Telekommunikation ist es, Nähe herzustellen. Tatsächlich nutzen wir sie jedoch als Medium zur Determinierung von Distanzen. Distanz ist dabei nicht nur eine Frage der Raumüberwindung, sondern vor allem auch der Differenz unterschiedlicher Ausgangssituationen zweier Personen, die beispielsweise mit Beginn eines Telefonats abrupt in Beziehung zueinander gesetzt werden müssen.
Merleau-Ponty definiert „Zwischenleiblichkeit” als eine durch die synergetische Produktion von Inhalten heraus resultierende Verschränkung von Eigenleib und Fremdleib.
Telekommunikation erweitert diese Zwischenleiblichkeit durch einen räumlichen Aspekt – aufgrund der Abwesenheit des anderen Leibs arrangieren die Kommunizierenden einen Zwischenort gemeinsamer Präsenz. Die Kommunizierenden kombinieren jeweils Elemente ihrer Vorstellung von dem Ort und der Situation des Anderen mit denen der eigene Situation. Das Ziel einer gemeinsamem dritten Präsenz an einem kooperativ erarbeiten Zwischenort wird also auf Basis spekulativer Elementen errichtet.

Sabine Breitsameter (Darmstadt/Berlin): Hörgestalten als Denkfiguren Soundscape und „Acoustic Space” als spekulative Konstrukte hin zu einer Medienökologie
Abstract:
Der Begriff “Soundscape” kann als einer der wichtigsten Begriffe und Paradigmen im Bereich der Soundstudies gelten. Geprägt und erarbeitet wurde er Ende der 1960er Jahre von dem kanadischen Forscher und Komponisten R. Murray Schafer, diskurswirksam wurde er in Nordamerika im Verlauf der 1970er Jahre, in Europa Ende der 1980er Jahre. Der Begriff beschreibt den Hörer als stets von Schall umgeben, die auditive Wahrnehmung als taktile und hörerzentrierte Rundum-Erfahrung, damit als umweltlich im buchstäblichen Sinne des Wortes. Als Hörgestalt wendet sich der Begriff gegen das frontale, selektive Hören, zu welchem die Hörenden durch Medien, Konzertsäle und Schulpädagogik sozialisiert würden und plädiert für ein umfassendes, “ganzheitliches” Hören. Als Denkfigur bot der Begriff einen Zugang zu den seinerzeit aufkommenden situativen, installativen und spartenübergreifenden auditiven Kunstformen (Installationen, sog. “Klangkunst” u.a.) und bereitete ihnen durch seine diskursives Potential gleichzeitig auch den Weg. Dies gilt ebenso für seine Auswirkungen auf die nachhaltige Erweiterung des musikalischen Materialbegriffs , der nun die Geräusche des Alltags als einen festen Bestandteil seines Kanons ansieht. sowie für die junge Disziplin des Sounddesigns (da durch die Einbettung einzelner Hörerlebnisse in einen Gesamtklang die Fragen von Notwendigkeit und Zuträglichkeit bestehender oder zu entwerfender Hörereignisse adressiert werden). Zentral ist dabei aber sein im- und expliziter kritischer und medienökologischer Ansatz, der sich bei Schafer in seiner “Akustische Ökologie”, einer gesellschaftsverändernden medienästhetischen Utopie konkretisiert. Schafers “Soundscape” knüpft in seinen wesentlichen Aspekten (aber nicht ausschliesslich) an McLuhan und seine Idee des “Acoustic Space” an. McLuhans Kritik an einer visuell dominierten Welt mündete in einen neu gedachten Begriff vom Raum. Dieser soll sich von den visuellen Wahrnehmungsparadigmen lösen und als zentrale Eigenschaften Simultaneität und das dynamische, interaktive Zusammenwirken seiner Elemente ebenso aufweisen wie die Unmöglichkeit für den Wahrnehmenden, einen “point of view” einzunehmen. Dies resultiert bei McLuhan in eine Vorstellung des akustischen Raums, die derjenigen Schafers sehr ähnelt. McLuhan baut diese Vorstellung, um mit ihr einen Rahmen zu setzen, in welchem die neuartigen Erfahrungsweisen der elektrischen Medien verstanden und in ihren Konsequenzen und in ihren zukünftigen Auswirkungen für den Menschen beschrieben und verstanden werden können. Indem der o.g. Vortrag beide Gedankengänge aufnimmt, miteinander in Beziehung setzt und vergleicht, sollen die spekulativen Ansatzpunkte beider Begriffe herausgearbeitet und untersucht werden, inwieweit diese als notwendige Voraussetzung für die gesellschaftlichen Utopien beider Autoren, Schafer und McLuhan, gelten können.

1.4  Grenzen der Spekulation, Grenzen der Medienwissenschaft
HZ14
Moderation: Friedrich Balke

Florian Sprenger (Stanford, CA): Unmittelbarkeiten der Erfahrung
Abstract:
Thesen über die Eingriffe von Medien in die Wahrnehmung sind spätestens seit Benjamins Kunstwerkaufsatz und seiner Behauptung, dass die Organisation der Sinneswahrnehmung „nicht nur natürlich sondern auch geschichtlich bedingt“ ist, in der Medienwissenschaft weit verbreitet. In einer starken Formulierung lassen sich solche Thesen als Spekulation identifizieren, deren medienwissenschaftliche Besonderheit darin besteht, dass sie auf einen unmittelbaren Zugang zu Wahrnehmungen und ihre historische oder subjektive Vergleichbarkeit rekurrieren. Diese Suggestion von Unmittelbarkeit konterkariert ihre Intentionen. Und mit dieser Unmittelbarkeit begründen sie zugleich die Grundlagen ihres spekulativen Vorgehens. Der Vortrag möchte solchen Thesen nachspüren und sie philosophiehistorisch an grundlegende Fragen der Erkenntnistheorie und der Skepsis rückbinden.
Till A. Heilmann (University of Iowa): Die Frage nach dem Digitalen
Abstract:
Das Digitale ist einer der wichtigsten Gegenstände der Medienwissenschaft. Die Diskussion sowohl digitaler Medien als auch des Begriffs der Digitalität geschieht üblicherweise unter Verwendung apparativ-technischer Konzepte und Modelle, die der Mathematik, der Nachrichtentechnik und der Informatik entstammen. Der Vortrag fragt nach den analytischen Grenzen solcher Konzepte für medienkulturwissenschaftliche Untersuchungen und danach, ob jenseits des gängigen Verständnisses digitaler Medien nicht ein spekulativer Zugang zur Frage nach dem Digitalen möglich und nötig wäre.
Anna Tuschling (Bochum): Die Grenzen des Naturerkennens als Aufforderung zur Spekulation
Abstract:
Hirn- und Affektforschung erheben den Anspruch, Bewusstseinsinhalte auf ihre materiellen und vor allem neuronalen Bedingungen zurückführen zu können. Der Physiologe Emil du Bois-Reymond steckte dagegen die Grenzen des Naturerkennens und sein Wissenschaftsparadigma mit dem Ausruf ab: Ignorabimus – Wir werden es nicht wissen. Es bestehe eine bleibende Kluft zwischen der Veränderung der Stoffe und der Lage von Atomen einerseits sowie dem Erleben, Affekten und Bewusstsein andererseits. Du Bois-Reymond verwahrte sich jedoch gegen die „Neigung zu ungezügelter Spekulation“, dabei philosophische Verarbeitung mit wilder Spekulation gleichsetzend (Renate Wahsner). Der Vortrag möchte erstens diejenigen theoretischen Positionen in der Bewusstseinsforschung heranziehen, die weiterhin auf der Erklärungslücke zwischen Gehirn und mentalen Inhalten bestehen, diese aber zweitens gerade als Aufforderung zur medienwissenschaftlichen Spekulation begreifen.
Friederich Balke (Weimar): Der spekulative Körper oder: wie man das „höchste Trugbild“ erzeugt
Abstract:
Friedrich Balke Dass Körper sprechen, wissen wir seit langem. Der Philosoph, Literat, Geldtheoretiker und Kulturhistoriker Pierre Klossowski ist von Gilles Deleuze dafür gelobt worden, dass er in seinen Arbeiten immer wieder Körper auftauchen lässt, die zu Gesten fähig sind, die das Gegenteil von dem zu verstehen geben, was sie anzeigen. Solche Gesten entsprechen dem, was man in der Rhetorik „Solözismen“ nennt. Z.B.: Ein Arm stößt einen Angreifer zurück, während der andere Arm wartet und ihn zu empfangen scheint. Eine Hand stößt zurück, kann dies aber nur tun, indem sie ihre Innenfläche zeigt. Der Vortrag soll anhand einiger Beispiele aus Text- und Bildmedien Szenen eines spekulativen, vervielfachten oder ‚flektierten‘ Körpers analysieren, eines Körpers in der Schwebe, der mit seinen eigenen Spiegelungen wetteifert und seinem Beobachter nicht nur unterschiedliche, sondern entgegensetzte Bedeutungen zu lesen gibt. Gombrowicz‘ Roman Pornografie dient dabei als ein Modelltext, weil er eine fulminante Systematik im Hinblick auf die Möglichkeiten, mit den Körpern und Affekten anderer zu spekulieren, entfaltet, weil es ihm gelingt, ‚unschuldige Körper‘ in Handlungssequenzen einzufügen, in die diese Körper niemals ‚freiwillig‘ eintreten würden. Insofern versteht sich der Vortrag auch als eine Exploration der Nachtseiten der in der Medienwissenschaft seit einiger Zeit so beliebten Dialektik von agency und patienthood.


1.5  I Want To Believe! Spekulative Erkenntnisprozesse in Populärkulturen
AG Populärkultur und Medien
HZ15
Moderation:  Thomas Wilke

Marcus S. Kleiner (Siegen): Frontierland! Spekulative Grenzerfahrungen, Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen in der US-amerikanischen Mystery-Serie „Supernatural“
Abstract:
DR. MARCUS S. KLEINER untersucht unter dem Titel Frontierland! Spekulative Grenzerfahrungen, Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen in der US-amerikanischen Mystery-Serie Supernatural wie im Kampf der beiden ästhetischen Figuren Sam und Dean Winchester gegen Geister, Monster, Dämonen und den Teufel, das Religiöse, Mystisch-Mythische und Säkulare aus der Perspektive des Wunderbaren, Wundersamen, Wunderlichen und Übernatürlichen spekulativ erschlossen, umgeordnet und verwandelt wird. Die Inszenierung der schlichten Spannung zwischen einem nicht intervenierenden, abwesenden Gott (Gut) sowie seiner Engel und einem intervenierenden, präsenten Teufel, inklusive seiner dämonischen Helfer, ist hierbei nur scheinbar eine konventionelle Handlungsstruktur. In Supernatural wird (reale) Gewissheit im Spiel von (irrationalen) Gewissheiten aufgelöst, Gut und Böse von ihren vermeintlich eindeutigen Wirklichkeitsorten entbunden. Was bleibt sind mediale und rezeptionelle Spekulationen, die Produktion einer entbundenen Einbildungskraft, über die Möglichkeiten dieser Gewissheiten und die Unmöglichkeit von Unmöglichkeiten. Wissensproduktion und Erkenntnisprozesse bleiben spekulativ, das Übernatürliche kann nicht verbindlichen an vermeintlich akzeptierten Realitätskriterien gemessen, sondern nur durch eine spekulativ-spektakuläre Transgression temporär verwunden werden. Erzeugt wird hierbei eine spekulative Urteilskraft des Populären.
Marcus Stiglegger (Siegen): Preacher Men. Mystizismus und Neo-Mythologie im britischen Gothic-Rock
Abstract:
Anlässlich des Rocksongs „Riders on the Storm“ bezeichnete ein Musikjournalist die geheimnisvolle Rockmusik der Doors als Gothic-Rock, womit die Präsenz von Motiven der klassischen literarischen Gothic-Fiction in der Popmusik beschrieben werden sollte. Und obwohl Nico, David Bowie, Brian Eno oder Joy Division an diese mystischen Impulse anschlossen, wurde erst mit der Hitsingle „Bela Lugosi’s Dead“ der britischen Band Bauhaus ein eigenes Genre des Gothic-Rock begründet: mystische Lyrics, verhallter, finsterer Gesang und schräge Gitarren prägten von da an den Sound von Bands wie The Sisters of Mercy, The Cult und Siouxsie and the Banshees. PD DR. MARCUS STIGLEGGER beschäftigt sich in Preacher Men. Mystizismus und Neo-Mythologie im britischen Gothic-Rock damit, wie der britische Gothic-Rock zum Mystizismus der Popmusik der 1980er Jahre wurde und im eigenwilligen mythologischen Universum der Fields of the Nephilim aus Stevenage kulminierte, deren Sänger Carl McCoy noch heute als „Preacherman of the Apocalypse“ unvergleichliche Zeremonien auf der Bühne entfesselt. An diesem Beispiel soll analysiert werden, wie es eine Rockband schaffen kann, durch private Mythologie, konsequenten Mystizismus apokalyptische Spiritualität in die Popkultur, verstanden als spekulatives Reflexionsmedium mit einer eigensinnigen ästhetischen Signatur, zu pflanzen, die inzwischen seit 1986 wächst und gedeiht. In den vielschichtigen Ausformungen der Gothic-Musik-Genres hat sich heute ein Popmystizismus etabliert, der an vergleichbare Bedürfnisse appelliert wie Mystery- TV-Serien und Fantasyfilme – die spekulativen Reflexionspotentiale dieser Formate und die unterschiedlichen Formen der Medialisierungen des Spekulativen werden abschließend mit denen des Gothic-Rock verglichen.
Ramón Reichert (Wien): Mystery-Parodien auf YouTube. Zur Amateurkritik des Populär-Spekulativen in Medienkulturen
Abstract:
PROF. DR. RAMÓN REICHERT (UNIVERSITÄT WIEN) untersucht unter dem Titel Mystery-Parodien auf YouTube. Zur Amateurkritik des Populär-Spekulativen in Medienkulturen die bedeutungssubversiven Medienpraktiken jugendlicher Fankulturen auf dem Online-Videoportal YouTube. In ihren hypertextuellen Verfahren der Kontextmodifizierung eröffnen Jugendliche vermittels ihrer Video- Mashup-, Empfehlungs- und Kommentarnetze prozessual orientierte „Hate“- Diskurse von SF- und Mystery-Formaten, die auf eine medienreflexive Neubewertung des Ausgangsmaterials abzielen. Mit ihren Mystery-Parodien (Akte X, Supernatural, Lost, X-Factor u.v.m.), gerade als spezifische Form der kritischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Inszenierungen und Medialisierungen des Spekulativen, sorgen sie nicht nur dafür, dass hegemoniale Kino- und Fernsehbilder permanent diskursivierbar und ausverhandelbar bleiben, sondern sie stellen auch die One-to-Many-Kommunikation der Medienkanäle Kino und Fernsehen als Dispositiv der populärkulturellen Regulation in Frage. Damit entstehen instabile Bedeutungsnetze, die von Befürwortern und Gegnern gleichermaßen hervorgebracht werden. Diese kulturelle Praxis hat wesentlichen Einfluss auf die Transformationen medienkultureller Diskurse, die um das Community-Building kreisen und sich auf Fan-/Hate-Auseinandersetzungen und positive oder negative Distinktionsmarker konzentrieren. Die Kritik des Spekulativen und die daraus hervorgehenden neuen bzw. alternativen Formen des Spekulativen werden abschließend vergleichend mit der Bedeutung des Spekulativen in den anderen Beispielen, die in den vorausgehenden Vorträgen diskutiert werden, verglichen, damit das Panel eine aufeinander aufbauende und sich aufeinander beziehende Rekonstruktion der medialen Wissensproduktion zum Spekulativen präsentiert.

1.6  Szenarien der Krise
HZ10
Moderation: Florian Hoof

Matthias Grotkopp (Berlin, Paris): Das Anthropozän und die Poetik des Verspekulierens
Abstract:
Wie spekuliert man darüber, ob die Menschheit sich verspekuliert haben wird? Der Ökumentarpropagandafilm THE AGE OF STUPID (UK 2009) behandelt die Gegenwart als ein Archiv, als eine Ansammlung von Zeugnissen, denen ein spektakuläres Scheitern der Menschheit an den Herausforderungen des globalen Klimawandels eingeschrieben ist. Er zeigt uns beim Spekulieren, beim Verspekulieren und trägt doch in jedes Bild ein spekulatives kontrafaktisches Denken ein: Wird es so gekommen sein müssen oder wird es auch anders gekommen sein können? – oder so ähnlich. In diesem Sinne positioniert sich der Film sowohl jenseits der problematischen audiovisuellen Evidenz des Messbaren als auch jenseits einer Redefinition der Naturkatastrophe als Katastrophe in Permanenz.
Das Anthropozän ernst zu nehmen heißt, Mensch, Technik, Natur und Geschichte grundsätzlich anders zu denken, eine spekulative Re-Animation des Anthropozentrismus als Motor der Hybridisierung von Biosphäre, Technosphäre und Noosphäre (Sloterdijk). War die Sintflut noch eine Sache zwischen Gott und Mensch und ersetzte das Erdbeben von Lissabon 1755 dies durch die sinnund geschichtsfreie Naturkatastrophe, so sind heute Wirbelstürme, Dürren etc. vieles, aber ganz gewiss nicht mehr geschichtsfrei. THE AGE OF STUPID löst sich radikaler als alle seine Genregenossen von den raum-zeitlichen Dimensionen der physikalisch-chemischen Prozesse und ihrer dualen Realisierung in singulären Ereignissen oder graduellen Verschiebungen klimatischer und biosphärischer Parameter: Es geht ihm nicht um Beweise und Argumente sondern um die Erfahrung eines offenen Möglichkeitsraums des Handels – und damit des möglichen Scheiterns – der sich nur als ein historischer Raum fassen lässt.
Welche Verbindung stellt der Film nun zwischen dem Widerspruch von Handlungszwang und offenen Handlungsweisen her? Und was ist das für eine rhetorische Strategie, die über das spekulative Scheitern ihrer eigenen Selbstauffassung operiert?

Tullio Richter-Hansen (Frankfurt/Main): WHAT IF? Spekulation über das (Un-)Vorstellbare: 9/11 und der
Katastrophenfilm
Abstract:
Der Katastrophenfilm fungiert im Wesentlichen als Spekulation über künftige Katastrophen. Zwar bedient er sich unweigerlich durchaus bekannter Phänomene – wie etwa jüngst in der Desaster-Kompilation 2012 (2009) –, spekuliert aber zentral über Ungeheuerliches, das es so noch nicht gegeben hat. Der konstitutiv spekulative Charakter des Katastrophenkinos lässt sich umgekehrt daran ablesen, dass Verfilmungen historischer Unglücksfälle zumeist nicht dem Genre zugeordnet werden – etwa WORLD TRADE CENTER und UNITED 93 (beide 2006), die die terroristischen Anschläge des 11. Septembers als Spielfilme erzählen. Diese „Mutter aller Ereignisse“ (Baudrillard) führt zurück zu einer Dekonstruktion der Wechselwirkungen zwischen der filmischen und der realen 9/11-Katastrophe.
Rasmus Greiner (Marburg): Die Eskalation des Kalten Krieges als fiktionales Medienereignis. Zur Geschichte und Ästhetik einer filmischen Schreckensvision
Abstract:
Der Kalte Krieg – bereits die Begrifflichkeit dieser historischen Konstellation suggeriert, was glücklicherweise niemals eingetreten ist: Die unbegrenzte kriegerische Konfrontation der damaligen Supermächte USA und Sowjetunion. Die Auseinandersetzung, die in Wirklichkeit der Wettstreit zweier grundlegend verschiedener Wirtschafts- und Staatssysteme war, wurde so nachhaltig zu einem Krieg umgedeutet, dass der tatsächliche Waffengang wie in einem Drehbuch festgelegt schien. Zwar stand die Welt tatsächlich mehr als einmal – genannt seien nur die Kuba-Krise und der NATO-Doppelbeschluss – kurz vor der nuklearen Verwüstung, das Bewusstsein hierfür wurde jedoch zum größten Teil durch die mediale Inszenierung dieser realen politischen Konflikte erzeugt. Besonders in den westlichen Medien wurde das worstcase- Szenario eines Dritten Weltkrieges derart häufig thematisiert und derart detailliert ausgestaltet, dass es als ein Medienereignis wahrgenommen wurde, das die Ungeheuerlichkeit der realhistorischen Referenz Hiroshima auf ein globales Szenario ausdehnte. Die medial prophezeite Eskalation des Kalten Krieges entwickelte sich vor allem aufgrund wirkungsvoller filmischer Vorausdeutungen zu einer Konstante des Schreckens, einer möglichen Realität, die die Macht besaß, politische Diskurse zu entfachen und Entscheidungen internationaler Tragweite zu beeinflussen.
John David Seidler (Rostock): The Internet is for Conspiracy: Spekulative Erzähltechniken digitaler Verschwörungstheorie
Abstract:
Exemplarisch für das gesamte Dilemma postmoderner Wissensproduktion ist die spekulative Verschwörungstheorie ein typisches Begleitphänomen der Mediengesellschaft. Ute Caumanns und Mathias Niendorf (2001) resümieren in ihrem Standardwerk zu Verschwörungstheorien dennoch, „dass für die Konjunktur von Verschwörungstheorien die jeweiligen Kommunikationsstrukturen eine untergeordnete Rolle spielen.“ Verdichtete Kommunikationsverhältnisse würden zwar eine Verbreitung von Verschwörungstheorien begünstigen, sie seien aber nicht Voraussetzung für Produktion und Rezeption derselbigen. Dieser These widerspricht der vorliegende Beitrag anhand einer Analyse der populären Textsorten spekulativer Verschwörungstheorie rund um den 11. September 2001. Der konstitutive Beitrag digitaler Medien zu Produktion, Distribution und Rezeption dieser Spekulationen wird erörtert. Als Fluchtpunkt eines vermeintlich folgenlosen Manipulationsverdachts (Niklas Luhmann, 1995) oder gar des medienontologischen Verdachts per se (Boris Groys, 2000) verortet sich die Verschwörungstheorie seit jeher selbst explizit als antagonistische Alternative zu einem medialen Wissen des Mainstreams. Blieb die Reflexion der eigenen Medialität innerhalb der Verschwörungstheorien des 20. Jahrhunderts zunächst aus, bietet sich mit der Etablierung des Internets zum ersten Mal die Projektionsfläche eines ultimativen Supermediums der Gegenverschwörung. Während die Informations- und Bilderfluten einer ekstatischen Medienindustrie am 11. September 2001 die ideale Angriffsfläche klassischer Verdachtsreflexe liefern, überhöht die Verschwörungstheorie nun in extremistischer Rhetorik das Internet zum überlegenen Instrument detektivischer Laienrecherche. „Boycott the news networks. Use and protect the Internet“ wird zum paradigmatischen Schlachtruf der Verschwörungsindustrie. Neben diesem selbstreflexiven Turn ist vor allem die massenweise Produktion vermeintlicher Evidenzen und Gewissheiten Kennzeichen der Online-Spekulationen. Der Beitrag fokussiert die wesentlichen Online-Textsorten zur 9/11-Verschwörungstheorie im Hinblick auf die Funktion einer von neuen Medien getragenen spekulativ-steganographischen Medienlektüre, die den Betrachter vom Modus des Verdachts in den Stand eines mediengläubigen Entdeckers versetzt.
1.7  Spekulative Figuren der Kultur und
Kinogeschichte Elvis, Reinhold und der Yeti
NG 1.741a
Moderation: Christiane Voss

Lena Eckert, Silke Martin (Weimar): Das Verschwinden des Mannes in der Landschaft – Spekulationen über die Bergsteigerlegende Reinhold Messner in NANGA PARBAT
Abstract:
„Der Berg ist ein ganzer Mann“ ist in einem der wenigen Romane von Frauen über das Bergsteigen zu lesen (Czurda 1978). Bergsteigermythen sind als sexistische und koloniale Diskurse bekannt, in denen vor allem weiße Männer, meistens zusammen, einen hohen Berg besiegen. Reinhold Messner, der an seinem eigenen Mythos entscheidend mitgeschrieben hat, hat auch an dem Film NANGA PARBAT (D 2010, Joseph Vilsmaier) mitgearbeitet. In diesem Vortrag soll der Perpetuierung der Männlichkeitsmythen im Bergsteigen nachgegangen werden, aber auch ihrer gleichzeitigen Zersplitterung. In der widersprüchlichen Ermächtigung des Gipfels vermischen sich hypermaskuline, körperliche und homoerotische Aspekte und führen zu einer Persiflierung der heroischen, männlichen Identität und Physis des Bergsteigers Messner. Die Zerlegung des Bergsteigermythos Messner findet dabei nicht nur auf narrativer, sondern auch und gerade auf ästhetischer Ebene des Films statt. Denn die filmische Berglandschaft spielt sich jenseits ihrer Funktion als Milieu und Schauplatz dramatischer Handlungen – durch spektakuläre Landschaftsaufnahmen in den Vordergrund, etwa durch rasende Kamerafahrten um Berggipfel, abruptes Stehenbleiben vor Schluchten oder halluzinogenen Bildern von Schneelandschaften. Indem die entpersonalisierten Landschaftsaufnahmen, die jenseits einer figuren oder konfliktzentrierten Darstellung operieren, an ausgewählten Filmszenen herausgearbeitet werden sollen, kann zum einen der Aufstieg und Fall des Bergsteigermythos Messner nachgezeichnet und zum anderen ein neuer Umgang mit filmischer Gebirgslandschaft offenbart werden. Der Vortrag reiht sich somit nicht nur in die Spekulationen über die Bergsteigerlegende Messner ein und bricht sie auf, sondern macht auch eine neue filmische Landschaftsdarstellung wahrnehmbar.

Anke Steinborn (Weimar): DER ROTE ELVIS – Dean Reed, ein 'linker' Mythos und seine 'riskanten Verwicklungen'
Abstract:
„Cowboy, Rockstar, Sozialist“ so der Untertitel des Dokumentarfilms DER ROTE ELVIS, der am 12. Februar 2007 auf der 57. Berlinale uraufgeführt wurde. Das von Leopold Grün inszenierte Portrait des US amerikanischen Rock'n'Roll Musikers und Schauspielers Dean Reed, der mit seiner Auswanderung in die DDR „in den Käfig ging, aus dem alle raus wollten“ (Armin Mueller Stahl), überzeugt durch „interessante[] Gesprächspartner, klug ausgewählte[], oft metaphorisch eingesetzte[] Filmzitate und Bezüge zur Zeitgeschichte“. Weder mystifizierend noch dekonstruierend verfolgt, sammelt und konserviert die Dokumentation die Spuren und Utopien des Rebellen Dean Reed, einem Mythos, der – nicht zuletzt bedingt durch seinen viele Fragen hinterlassenen Selbstmord – Spekulationen geradezu herausfordert. Anhand des Films DER ROTE ELVIS diskutiert der Vortrag ob und wie es der medialisierten Künstlervita gelingen kann, sich vom Spekulativen ab und einer erfahrbaren Wirklichkeit zuzuwenden.

11:00 Kaffeepause

2 //  11:15 - 13:15 Panels


2.1  Empirie und Spekulation
HZ12
Moderation: Marc Ries

Jochen Koubek (Bayreuth): Empirie als Spekulation
Abstract:
In einer digitalisierten Wissensordnung soll die Simulation die wissenschaftliche Theorie als zentrale Weise der Welterklärung ablösen. Nicht mehr über eine geordnete Menge von Aussagen werden komplexe Systeme erschlossen, sondern im dynamischen Zusammenhang von Parametern. Die Identifikation, Isolation und Messung dieser Parameter ist dabei ebenso entscheidend wie die Annahmen ihrer wechselseitigen Beziehungen. Wo offensichtliche Mutmaßung vermieden werden soll, wird zu diesem Zweck regelmäßig auf empirische Beobachtung nebst statistischer Auswertung rekurriert. Unterschlagen wird dabei aber ebenso regelmäßig der Umstand, dass statistische Verfahren durch die zahlreichen Entscheidungen, die bei ihrer Planung, Anwendung, Auswertung, Interpretation und Darstellung getroffen werden müssen, keineswegs verlässliche Zahlen garantieren. In ihrem praktischen Einsatz erscheinen statistische Modelle der Spekulation näher als den präzisen Messungen, an deren Ruf sie sich gerne anlehnen. Die Kritik an empirischstatistischen Methoden setzt an drei Punkten an: 1. Bei epistemologischen Diskussionen wie Humes generellem Misstrauen gegenüber der Induktion als Erkenntnisprinzip oder dem vorwiegend innermathematische Streit zwischen Bayesianern, Frequentisten und den Anhängern von R. A. Fisher über das Wesen statistischer Aussagen. 2. Bei methodologische Fragen, die z.B. durch Simpsons Paradox und dem Problem verdeckter Parameter aufgeworfen werden. 3. Bei der pragmatischen Beobachtung, dass Datenerhebungen und analysen in der Regel von Fachleuten mit rudimentärer statistischer Ausbildung durchgeführt werden, die den inhärenten Fehlerquellen ihrer Studien aus verschiedenen Gründen nicht die notwendige Aufmerksamkeit widmen. Im Vortrag sollen diese Punkte im gebotenen Umfang vorgestellt werden, um darauf aufbauend den spekulativen Anteil einer empirischer Rationalität zu diskutieren, die u.a. der Simulation zu Grunde liegt.

Katja Rothe (Berlin): Technologien des Spekulativen: Das Assessment Center
Abstract:
In dem Beitrag möchte ich das Assessment Center (AC) historisch als eine Technologie des Spekulativen beschreiben, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand. Dabei kommt es mir auf folgende Aspekte des Spekulativen an: Zur Spekulation gehört die Risikoabschätzung und Gefahrenabwehr, verkörpert vom »speculari«, dem römischen Wachposten, der nach Gefahren Ausschau hält. Im Assessment Center – das neben der Offiziersauswahl im deutschen Heer der Ausbildung von Agenten in den USA diente, bevor es in den 50ern Teil neuer ökonomischer Kalküle der Human Relation Bewegung wurde – wird das Ausspähen, Auskundschaften (»speculor«) eine Grundoperation der permanenten Selbst- und Fremdbeobachtung sowie der Ausrichtung des eigenen Verhaltens an der antizipierten Erwartung des anderen. Diese wachsamen Lagebewertungen und Risikoabschätzungen beziehen sich im Assessment Center auf eine simulierte Extremsituation, auf eine dramatische Situation, die aber den Regeln des Experiments gehorcht: sie ist wiederholbar, besteht aus einer planmäßig durchgeführten Serie von Prozeduren, die der empirischen Gewinnung von Daten dient und auf die Messung (von Kompetenzen) abgestellt ist. Die »speculatio«, die Betrachtung, das Beschauen ist im Assessment Center ein »spectaculum, ein wissenschaftlich angelegtes Spektakel der Verhaltensforschung und Handlungsvorhersage. Die dazu gehörende Erkenntnisform ist das »Schätzen« (to assess). Das Schauspiel des Schätzens zielt dabei auf ein Wissen, dass sich menschenökonomisch einsetzen lässt. Es spekuliert mit den Potentialen seiner Akteure, mit ihren »Kompetenzen«, die ihrerseits spekulativ sind: sich in ihrer Aufführung und im Erwartungshorizont der Beobachter aktualisieren. Hierbei spielen Sprech- und Darstellungsweisen, Kulturtechniken des Spekulativen wie das »Geschwätz«, das »Gerede« und das »Gerücht« eine zentrale Rolle, denn das Assessment Center verdichtet die öffentlichen Mutmaßungen, Unterstellungen und (Selbst-)Behauptungen von „Potentialen“ zu einer Institution, in der ‚Kompetenzen‘ zugleich sichtbar und operationalisierbar werden.
Shintaro Miyazaki (Berlin): Zeitkritik und Algo-Trading. Die spekulative Algorithmik der Finanzmärkte 2010-2012
Abstract:
Aus der Ferne spähen und beobachten, spekulieren im wortwörtlichen Sinn, tun wir seit jeher. Mit dem Aufkommen der technischen Medien, die Informationen speichern, übertragen und prozessieren,1 geschieht das »Spekulieren« zunehmend in der Medialität2 von Medientechnolgien und -praktiken. Verfahren der Zukunftsantizipation, die beim Spekulieren wichtig sind, sind hier ebenso impliziert. Spekulieren bedeutet aber auch, dass einer Aussage die rationale Grundlage fehlt. Im Finanzhandel meint »Spekulieren« zudem, mit dem Geld anderer Geld zu erzeugen, ohne dabei zu wissen, was er tut und ohne wirklich zu arbeiten. Diese Vorstellungen der »Spekulation« werden im vorliegende Vortrag in drei Punkten am Beispiel des Finanzhandels insbesondere unter Berücksichtigung des Algo-Tradings dekonstruiert. Erstens zum Begriff der Irrationalität der Spekulation: Wenn spekulative Denkprozesse im Unbewussten geschehen, also auf implizitem Wissen beruhen und oft im Verdeckten, im Geheimnisvollen geschehen, was passiert, wenn diese vormals menschlichen Entscheidungsprozesse zunehmend durch algorithmische Prozesse von Software abgelöst werden? Im aktuellen hochtechnisierten Finanzhandel sind viel mehr hoch komplexe deterministische Mechanismen am Werk, die durch Spezialisten, Wissenschaftler und Informatiker getestet, analysiert und ständig verbessert werden, so dass hier höchsten die Rede von »technologisch unbewussten«3 Prozessen Sinn ergeben würde. Zweitens geht es um den Hinweis, dass die Finanzströme zwar immateriell sind, doch nur soweit, dass sie digitale Informationen sind, die auf materiellen Signalströmen beruhen, deren technische Realität nicht zu verleugnen ist. Dies wird besonders deutlich, wenn die zeitkritischen4 Aspekte im Hochfrequenzhandel mitgedacht werden. Denn dieser spielt sich im Bereich von Millionstel-Sekunden ab. Die Hochleistungsprozesse im algorithmischen Finanzhandel, worin nicht-menschliche Software- Akteure mit anderen Software-Akteuren interagieren, erzeugen mitunter in ihrem Zusammenspiel unerwartete Katastrophen, die für konkrete Effekte in der Wirtschaft sorgen. Drittens soll das Primat des Visuellen bei der »Spekulation« mit einer Analytik ergänzt werden, die mehr als bisher das zeitlich-prozessuale kultiviert. Solch eine Zugangsweise könnte sich über das Auditiv-Prozessuale einer AlgoRhythmik, die ich an anderer Stelle ausgearbeitet habe,5 erschließen. Im Vortrag werden die drei Aspekte anhand einer medienarchäologischen Untersuchung des etwa 20-minütigen Zusammenbruchs der US-Finanzmärkte am 6. Mai 2010, dem so genannten Flash- Crash, ausgearbeitet und daraufhin die medienwissenschaftliche Relevanz der Fragestellung erläutert.

Annika Frye (Offenbach): Das spekulative Moment von digitalen Visualisierungen aus dem Gestaltungsprozess
Abstract:
Gestaltungsprozesse sind immer schon von spekulativer Natur. So kann man Darstellungen und Modelle, die dem noch-nicht produzierten Produkt vorausgehen, als ein Umreißen von bloßen Möglichkeiten – also als Spekulation – verstehen. Besonders evident ist dies bei Renderings, den photorealistischen Darstellungen von einem Produkt oder einer Architektur, die das physische Modell ersetzen sollen. Designer kennen vielfältige Techniken der Visualisierung: In Gestaltungsprozessen entstehen spontane Handskizzen, Mock-ups und schließlich Prototypen. Bei diesen Formen der Materialisierung von Ideen sind immer auch digitale tools am Werk: Der Einsatz von CAD-Programmen hat den Gestaltungsprozess seit den 80er Jahren verändert. Dem physischen Modell geht nun eine digitale Darstellung voraus, sie dient als Plan für dessen Umsetzung. Inmitten all dieser Prozesse von Realisierung im „echten“ Raum und Digitalisierung im „virtuellen“ Raum gibt es das Rendering, das – zwischen Modellen und technischen Zeichnungen – eine merkwürdige Position innehat. Renderings entstehen auf Basis eines CAD-Modells, das in einem virtuellen Photostudio Materialität, Farbe und Lichteffekte erhält. Die Detailgetreue des Renderings geht über die Präzision der Handzeichnung hinaus, Renderings scheinen ein „echtes“ Produkt abzubilden: Sie suggerieren ein >Nachher< in einem >Vorher<. Viele Entwürfe verbleiben in diesem Stadium der digitalen Darstellung. Denn das digitale toolkit verleitet dazu, sich den Restriktionen des Machbaren zu entziehen. Der Übergang zum Modell erscheint unnötig, gibt das Rendering doch alles wieder, was zuvor das Foto eines Modells zeigte. So werden die dargestellten Konzepte beliebig: Im Rendering ist alles möglich, es simuliert Dinge, die eigentlich erst noch der Überprüfung bedürfen. Schließlich wird die Darstellung selber zum Produkt, das dann in den Blogs und Zeitschriften vervielfältigt wird. Wie gehen nun die Gestalter mit der Problematik um, der Spekulation im virtuellen Raum zu erliegen?

Sandra Groll (Offenbach):  Das Kreuzen des Spiegels.
Spekulationsmedien der Gestaltung
Abstract:
Es mag auf den ersten Blick legitim erscheinen dem Entwurf eine per se spekulative Qualität im Sinne einer vagen Erkundung des zukünftig Möglichen beizulegen. Insbesondere die ausgewiesenen Konzeptentwürfe des klassischen Industrial- und Automobildesigns verstehen sich in dieser Weise als Spekulationen. Jedoch, so die These, greift ein solch grobes Verständnis von Spekulation im Design zu kurz, und führt hinein in die Sinnkrise zeitgenössischer Konzeptentwürfe. Allenthalben präsentieren sich sogenannte „concept cars“, „concept bikes“ und ähnlich bezeichnete Gestaltungskonzepte als spekulative Erkundungen im Medium Sinn. Spekulatives, also jenes Herstellen von Sichtbarkeit imaginärer Sinnformen oder gesellschaftlicher Latenzen, bleibt in ihnen jedoch zumeist glücklicher Zufallsfund. So rollen die viel beachteten „concept cars“ dem Betrachter auf den erwartbaren vier Rädern entgegen und versuchen unter den etablierten Sinnangeboten Sport, Ökologie oder Luxus das Verhältnis von Bedarf und Begehren neu auszuloten. Die Kraft gestalterischer Spekulation liegt jedoch nicht in der Antizipation eines zukünftig Realen unter den Bedingung des „jetzt – schon – Gegebenen“, sondern in der Konstruktion anderer, bisher ausgeschlossener, Einheiten im Medium Sinn. Spekulationsmedien in der Gestaltung - zu diesen gehören „concept“- Entwürfe sehr wohl - sind eine Praxis des Abspiegelns. Sind in ihnen die Formen der Spekulation konsequent umgesetzt, wie zum Beispiel in den Arbeiten von Dunne & Raby, verlassen sie die feste Warte ihres aktuellen Kontext und formen Gestalten, in denen andere imaginäre Sinnformen sichtbar werden. Gestaltung als Spekulation soll in diesem Beitrag als ein spezifischer Umgang mit der imaginären und symbolischen Realität einer Gesellschaft vorgestellt werden. Ist ein Entwurf spekulativ, so die These, markiert er in der Unterscheidung der Form das bisher Unmarkierte und zieht im zeitlichen Verlauf eben dies Unmarkierte wieder hinein in die Kommunikation und somit in Gesellschaft. Eine solche Beobachtung von Spekulationsmedien der Gestaltung folgt Überlegungen Luhmanns, Lacans und Spencer Browns.


2.2  Mediale Unschärfen und Spekulation
HZ13
Moderatoren: Kay Kirchmann, Jens Ruchatz, Lars Nowak

Christoph Ernst (Erlangen-Nürnberg): Ikonische Unbestimmtheit, diagrammatisches Möglichkeitsdenken und die spekulative Auslegung von Fotografie
Abstract:
Der Vortrag zeigt, inwiefern die referenzielle Unbestimmtheit ikonischer Ähnlichkeit unter der Garantiebedingung indexikalischer Kausalität im Fall der Fotografie solchen Auslegungsverfahren eine besondere Bedeutung hat zukommen lassen, die es erlauben, die analogischen Möglichkeiten des fotografischen Bildes in ein diagrammatisches Schema zu überführen und dadurch zum Gegenstand spekulativer Narrative (Mythen, Verschwörungstheorien) zu machen.
Sven Grampp (Erlangen-Nürnberg): Hintergrundrauschen: Funkverkehr mit Astronauten
Abstract:
Der Funkverkehr zwischen der Apollo 11-Mission und Huston wurde in der televisuellen Live-Berichterstattung ständig (mit-)übertragen, war jedoch zumeist unverständlich. Selbst die berühmtesten je gefunkten Worte: „That’s one small step for [a] man, one giant leap for mankind“ wurden zum einen schlichtweg überhört. Zum anderen ist bis heute strittig, ob Neil Armstrong den Satz tatsächlich vollständig artikulierte. Erst nachträglichen medialen Verarbeitungen ist es zu verdanken, dass dieser Satz zu einer symbolisch signifikanten Phrase akzentuiert wurde. Mit dem Umschlag vom materiell bedingten Rauschen des Funkverkehrs zur semantischen – und dabei immer auch spekulativen – Bewältigung dieses Rauschens setzt sich der Vortrag auseinander.
Carolin Lano / Thomas Nachreiner (Erlangen-Nürnberg): Die rasende Vernunft: Verschwörungstheoretische Spekulationen
Abstract:
Im verschwörungstheoretischen Schlussfolgerungsverfahren geraten mediale Unschärfen zum Ausgangspunkt einer Lektürelogik, die mittels geeigneter Eingriffe in das Ausgangsmaterial – wie Vergrößerungen des Bildausschnitts, Änderung der Wiedergabegeschwindigkeit etc. – einen verborgenen Erkenntnisgegenstand exponiert, der zuvor angeblich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle verblieben wäre. Verschwörungstheorien oszillieren hierbei zwischen einem medientechnisch induzierten „Verdacht“ (Boris Groys) gegenüber den medialen Oberflächen und vermeintlich rational-empirischen Erkenntnisoperationen, die über diesen Verdacht „spekulieren“, ihn dabei aber paradoxerweise immer wieder perpetuieren. Am Beispiel der Verschwörungstheorien zu den Terroranschlägen des 11. Septembers und ihrer Zirkulation im Web wird überlegt, inwieweit die Form dieser konspirologischen Lektüre mit der intermedialen Struktur ihrer Produktion – zwischen Foto, TV, Film und Web – korrespondiert.
Sabine Wirth (Erlangen): ‚Point & Click’: Über das spekulative Potential grafischer Benutzeroberflächen
Abstract:
Der Computer, oft beschrieben als Universalmedium oder symbolische Maschine, generiert aufgrund seiner quasi-immateriellen Operationsweise einen prinzipiell unabgeschlossenen Bestand an möglichen Nutzungsformen. Dieser Vortrag will anhand einiger Beispiele untersuchen, wie grafische Benutzeroberflächen diese mediale Unbestimmtheit bzw. Unschärfe überlagern und in ihrer einschränkenden Fokussierung ein ‚spekulatives’ Potential entwickeln, indem sie auf Metaphern und Narrationen wie die Desktop-Metapher oder das Prinzip der direkten Manipulation (‚Point & Click’) zurückgreifen, die Anschlüsse an ältere Medien und Kulturtechniken produzieren, jedoch selbst wieder semantische Unschärfen erzeugen.

2.3  Workshop. In der Schwebe halten: Alltag, Affekt und spekulative Praxis
HZ14
Moderation: Reinhold Görling, Stephan Trinkaus

Jule Korte (Düsseldorf): Scripted Reality als spekulative Praxis
Abstract:
In Sendungen, die gemeinhin als Scripted Reality bezeichnet werden, werden (soziale) Wirklichkeit und Alltag auf der Basis spezifischer Vorstellungen von Drehbuchautoren konstruiert. Die Protagonisten der Geschichten werden von für besonders authentisch befundenen Laiendarstellern verkörpert. Diese Formate können als umfassende und mehrschichtige spekulative Praxis gefasst werden, in denen Autoren ihre Vorstellungen von sozialem Alltag zu verbildlichen versuchen, das Publikum zur Spekulation über die dargestellten „Anderen“ angeregt wird, die Darsteller mit dem Habitus ihrer Rolle spekulieren und – nicht zuletzt – mit der Hoffnung auf Quote auch auf das affektive Potential der erzählten Geschichten spekuliert wird.
Lisa Handel (Düsseldorf): Mikromedialität
Abstract:
Unter dem Begriff der „Spekulativen Mikromedialität“ soll nach der ahumanen, präindividuellen Dimension und inhärent medientechnischen Verfasstheit einer spekulativen Prozesshaftigkeit des Alltäglichen aus der Perspektive einer Medienphilosophie der virtuell-aktualen Relationalität u.a. im Anschluss an Deleuze/Guattari gefragt werden. Eine Verschränkung von Intra-Aktivität (Barad) mit der Zeitlichkeit medientechnologischer Mikroumwelten (Hansen) verweist derart in der Frage nach den Virtualitätsspektren des Alltäglichen auf eine notwendige Rekonzeptualisierung von Medialität selbst, die sich längst nicht mehr primär subjektbezogen und prothetisch begreifen lässt, sondern im Sinne einer Bedingung des relationalen Welt- Werdens aufgefasst werden kann.  
Maximilian Linsenmeier (Düsseldorf): Spekulation und Performance – Spekulative Performance, Performance der Spekulation
Abstract:
Der Vortrag möchte die Praxis der Spekulation in Produktionsprozessen und Arbeiten der Performancekunst und der zeitgenössischen Choreographie aufsuchen. Welche Funktionen, Operationen, Propositionen und vor allem Prozesse der Relationierung ermöglicht die spekulative Haltung bzw. Einstellung als methodisches Instrument der Produktion und als ästhetischer Prozess selbst? Und inwiefern bietet die spekulative Praxis/Praxis der Spekulation eine Art "kreatives Scharnier", um Alltag und Kunst sich gegenseitig annähern zu lassen?
Daniel Rademacher (Düsseldorf): Improvisation
Abstract:
Szenische Improvisationen werden dynamisch, wenn Improvisierer die Kunst beherrschen, die Spielangebote ihrer Mitspieler zu »akzeptieren«. Für den Theatermacher und Improvisationsspezialisten Keith Johnstone besteht der Witz des Akzeptierens darin, dass keiner der Beteiligten absehen kann, was durch diese Offenheit entsteht: Es gibt nicht mehr das Schema »Frage-Antwort« - denn das Akzeptieren eines Spielangebots vollzieht sich über die reziproke Artikulation eines neuen Angebots an den Interaktionspartner. Dass diese Bedingung nicht nur der interaktiven Struktur der Improvisation geschuldet ist, zeigt das Credo der amerikanischen Choreographin und Improvisationskünstlerin Deborah Hay: “My body does not like answers.” Vielleicht entspricht es einer zeitgenössischen Empfindung, Alltag als Abfolge spekulativer Spielangebote zu erfahren.
Jessica Nitsche (Düsseldorf): Spekulation und In(ter)vention.
Abstract:
(nicht vorhanden)


2.4  Was wäre, wenn...? Animation als Medium visualisierter Spekulationen
HZ15
Moderation: Franziska Bruckner

Andreas Rauscher (Mainz): Animierter Retrofuturismus. Futurama und der (anti-)utopische Alltag
Abstract:
Anfang der 2000er Jahre sollte die von Matt Groening und David Cohen konzipierte Science- Fiction-Serie Futurama das Erbe der populären Simpsons antreten. Doch die Zukunft gehörte weiterhin der animierten Gegenwart. Die ausgefallene Kombination der Ästhetik vergangener Zukunftsvisionen mit den skeptischen Perspektiven klassischer Dystopien erwies sich als zu speziell für den Mainstream, obwohl gerade die alltäglich gewordenen Standardsituationen der Science-Fiction über ein besonderes Potential zur Reflexion gesellschaftlicher Spekulationen und retrofuturistischer Genretraditionen verfügen. Der geplante Vortrag begibt sich auf eine motivische Spurensuche der Spekulationen über die Vergangenheit der Zukunft.
Erwin Feyersinger (Innsbruck): Der Graph steigt, das Schiff sinkt. Spekulatives Visualisieren von Vergangenem und Zukünftigem
Abstract:
Animation suggeriert, dass vermutetes Vergangenes ebenso wie prophezeites Zukünftiges präsent und anschaulich gemacht werden kann. Offensichtlich ist dies bei abstrakten Daten, die durch animierte Grafiken visualisiert werden. Einzelne Messergebnisse werden bildlich zu einer kontinuierlichen Entwicklung, die sich prognostisch in die Zukunft verlängern lässt. Zu beobachten sind solche spekulativen Darstellungen unter anderem bei geologischen, klimatischen, sozialen, ökonomischen und politischen Entwicklungen. Dass diese retrospektiven und prospektiven Spekulationen nicht nur die Visualisierung abstrakter Daten betreffen, zeigt der Vortrag anhand der Darstellung von Schiffskatastrophen. Aus sehr unterschiedenen Gründen wird im animierten Dokumentarfilm The Sinking of the Lusitania (Winsor McCay, 1918), im Hollywoodspektakel Titanic (James Cameron, 1997) und in den Berichten über den Untergang der Costa Concordia (Anfang 2012) Animation als spekulatives Werkzeug eingesetzt.
Nicole Kandioler (Wien): Verliebtes Fleisch. Spekulative Leistungen der ZuschauerInnen in tschechischen experimentellen Animationsfilmen
Abstract:
In seinen beiden Filmen Meat Love (ČR 1989) und Little Otik (ČR 2000) nutzt Jan Švankmajer Einstellungsgrößen des Mainstreamfilms und an sie geknüpfte Erwartungshaltungen der ZuschauerInnen, um die "boy meets girl" Geschichte anhand zweier Fleischstücke, bzw. die erweiterte "boy meets girl gets pregnant" Geschichte mit einem Baumstumpf als Kind des Paares zu erzählen. In dem TV-Märchen Všehochlup (Zdeněk Smetana, ČSSR 1978) lebt an der Spitze eines kleinen Hofstaates ein König mit einem haarigen Fantasiewesen. Die narrative Position dieses Wesens ist eindeutig jene der Königin, allein verfügt Všehochlup über keine einzige königinnenhafte Eigenschaft. Anhand des angeführten Filmmaterials soll über die Verschränkung filmischer, narrativer Verfahren und der „Erzählung“ von Heterosexualität im Hinblick auf die spekulativen Leistungen der ZuschauerInnen nachgedacht werden, denn erst dadurch werden die filmischen Gegenstände/Fantasiewesen in ihrem Genre-Kontext verortet. Inwieweit tragen diese Spekulationen zur medialen Konstruktion hegemonialer Strukturen bei und könnte man sie als „unverzichtbare heuristische Fiktionen“ (im Sinne Nietzsches) lesen, die letztlich die Aufrechterhaltung von Heteronormativität garantieren?  Jens Meinrenken (Berlin): Tanzende Tiere im Scheinwerferlicht. Animierte Werbung als idyllische Antwort auf wirtschaftliche Krisenzeiten
Abstract:
Es ist eine besondere Form des Spekulativen, die sich in der animierten Werbung der Gegenwart niederschlägt. Grenzbereiche des Realistischen mutieren zu idyllischen Idealen einer Sozialökonomie, die dem Konsumenten ein sorgenfreies Leben versprechen. Die Animation fasst dabei Dinge ins Auge, die dem Realfilm aufgrund seiner medialen Differenz verborgen bleiben. Der Vortrag möchte zeigen, mit welchen Strategien der animierte Werbefilm auf die Krise der letzten Jahre antwortet. Bei genauerer Betrachtung wird eine Tiefendimension des Künstlerischen sichtbar, deren Virtuosität den plakativen Status der Werbebotschaften mühelos unterläuft. Der Fokus der Beispiele liegt auf kreative Produktionen wie Think Blue. Symphony für VW oder dem Staying-Alive-Spot für Mercedes- Benz. Naturidylle, Sozialkritik und die technische Fabrikation des Animationsfilms bilden zusammen die Bausteine für eine kritische Betrachtung dieser kommerziellen Spekulationen.

2.5  Das Visuelle der Ökonomie
HZ10
Moderation: Sebastian Vehlken

Florian Hoof (Frankfurt/Main): Vertraute
Oberflächen. Möglichkeitsbedingungen der Systemkrise
Abstract:
Die Ursachen der jüngsten Wirtschaftskrise sieht der Wirtschaftswissenschaftler Tyler Cowen weniger in der ‚Gier’ oder in unzureichender Regulierung, sondern in einer zu positiven Grundstimmung, einer Zuversicht in der Wirtschaft, die sich von den realwirtschaftlichen Markern abgekoppelt habe. Diese Kultur der ökonomischen ‚brightsidedness’ thematisiert dieser Vortrag als Möglichkeitsbedingung ökonomischer Systemkrisen am Beispiel der Weltwirtschaftskrise von 1929. Im Mittelpunkt steht daher keine wirtschaftswissenschaftliche Erklärung dieser Krise, noch die Thematisierung eines abstrakten Vertrauensvorschusses in das System ‚Kapitalismus’. Die Stabilität eines Wirtschaftssystems, so die vertretene These, hängt hauptsächlich von der konkreten Form des Wirtschaftens, der eigentlichen „Plusmacherei“ ab. Die handelnden Subjekte sind dabei in eine Management und Entscheidungskultur eingebunden, das plausible Verhaltensweisen und eine grundlegende Form des Systemvertrauens bereitstellt. Das Jahr 1929 ist nicht nur mit der Weltwirtschaftskrise verbunden, zeitgleich veröffentlicht Erich Gutenberg die Grundzüge der wirtschaftswissenschaftlichen Faktorenlehre, Gründungstext der sich etablierenden Betriebswirtschaftslehre. Die Wirtschaftskrise korrespondiert demnach, zumindest auf der Ebene des Betriebsmanagements, gerade nicht mit der Form risikoreicher Spekulationen, sondern mit dem Inbegriff kaufmännischer Tugenden. Nicht der Praxis risikoreicher Entscheidungen, sondern einem rigiden System des Controlling wird hier der Weg bereitet. Zwischen 1880 und 1929 entstehen neue Entscheidungsarenen im Management, die zum großen Teil auf dem Einsatz graphischer, filmischer und fotographischer Darstellungsformen basieren. Es bildet sich ein neues (graphisch visuelles) Regime des Vertrauens und der Handlungsfähigkeit. Wirtschaftliche Risiken werden ausgelagert, an externe Berater verwiesen, visualisiert, verrechnet und dadurch in eine neue Ästhetik überführt. Die zeitliche Überschneidung mit der Weltwirtschaftskrise ist kein Zufall. Spekulanten sind gerade keine Hasardeure, sondern Experten, die in Entscheidungsarenen handeln und dort auf Sicherheit und Vertrauen angewiesen sind. Erst die Etablierung eines solchen ästhetischen Regimes stellt demnach die Möglichkeitsbedingungen für einen Wirtschaftskollaps bereit. Der Systemzusammenbruch von 1929 ist im Sinne Schumpeters Teil der „creative destruction“. Es entstehen neue Formen der Managementkultur, die gleichzeitig den Kern einer neuen Krise schon in sich tragen. Ziel des Vortrags ist es den zyklischen Konjunkturmodellen der Wirtschaftswissenschaft ein Modell eines Vertrauens bzw. Evidenzzyklus zur Seite zu stellen, der sich nicht zuletzt auf eine etablierte visual culture des Entscheidens und Steuerns in der Wirtschaft zurückführen lässt.


 Andreas Jahn-Sudmann (Göttingen): Anfang und Ende der Spekulation
Abstract: Wie kommt die Spekulation in die Welt? Was bereitet sie vor? Wie können wir diesen raum-zeitlichen Punkt fassen, an dem die Spekulation zur Abhebung kommt? Wird die Spekulation als solche markiert? Wie erreicht die Spekulation einen Moment der Abschließung? Existieren distinkte Phasen des Übergangs, die Anfang und Ende der Spekulation einleiten und ausklingen lassen? In der Sphäre der Ökonomie setzt die Spekulation laut John Kenneth Galbraith ein, sobald „sich die Phantasie der Öffentlichkeit an etwas scheinbar Neuem auf dem Gebiet des Handelns oder Finanzen entzündet“ (1992, S. 31). Sind damit aber Zeitpunkt sowie die Vorbedingungen einer Spekulationsphase hinreichend präzise beschrieben? Käme es nicht darauf an, die – im weitesten Sinne – mediale Umgebung der Spekulation in den Blick zu nehmen, noch bevor sie eingetreten ist? Der Beitrag möchte sich der Spekulation als einem raumzeitlichen Problem widmen, nicht zuletzt deshalb, weil das (utopische) Denken der Spekulation, dass das Bestehende überschreitet, selbst auf diese Schwierigkeit einer genauen raumzeitlichen Bestimmung verweist und sie als solche reflektiert; man denke etwa an das Konzept der Flaschenpost der kritischen Theorie Adornos und Horkheimers (1969 [1944/47], das die prinzipielle und notwendige Unabgeschlossenheit des spekulativen Denkens jenseits des Bestehenden metaphorisch ebenso auf den Begriff bringt, wie schon der Untertitel der Dialektik der Aufklärung: „Philosophische Fragmente“. Im Mittelpunkt meiner Überlegungen steht nicht die Medialität und Materialität der Spekulation als in oder an sich abgeschlossene Praxis oder Denkfigur, sondern als ein form bzw. medienabhängiges Dazwischen (vgl. Luhmann 1997a, 1997b). Das Interesse gilt der Situiertheit und der (selbstreflexiven) Markierung dieser Situiertheit der Spekulation, sowie den Effekten, die sich aus dieser Situierung für die Verortung der Spekulation selbst ergeben. Mit anderen Worten: Inwieweit ist das Spekulieren eine Operation, deren Form und Dynamik auf ihre Situierung zurückwirkt und sie eo ipso verändert? Um die Spekulation aus medienwissenschaftlicher Perspektive in eben diesem Sinne epistemologisch zu konturieren, sollen drei heterogene, nicht unbedingt a priori distinkte Formen und Gebiete der Spekulation (exemplarisch) verglichen werden: die Spekulation als ökonomische Praxis (Schumpeter, Vogl), als philosophische Denkfigur (bei Hegel, Adorno und Derrida) und als erzähl und kulturtechnisches Zusammenspiel (Genette, Ricoeur u.a.).

Angela Krewani (Marburg): Spekulation und Transformation. Zur Institutionalisierung der „artists in labs“
Abstract:
Wie vielfach bekannt, arbeiten eine Reihe der zeitgenössischen Naturwissenschaften, wie z.B. die Life Sciences, die Bio- und Nanotechnologien wie auch die Klimaforschung mit einem Bild- und Erkenntnisreservoir, das sich oft zum großen Teil auf visualisierte Daten verlässt. Damit ist das ‚reale‘ Forschungsobjekt oft ersetzt durch Diagramme, Fotografien, Bewegt oder Simulationsbilder, die zur Wirklichkeits- und Wissensproduktion der jeweiligen Wissenschaft beitragen. Bildmaterial jeglicher Art wird in diesem Kontext nicht mehr als naive Dokumentation von Faktischem, sondern als technische Konstruktion von sozialem und kulturellem Wissen gesehen. Obwohl die Wissensproduktion in den Laboren sich demgemäß als Produktion ‚realen‘ Wissens versteht, werden seit längerer Zeit oft und gerne KünstlerInnen in die Forschungslabore eingeladen, die hier die Arbeit der WissenschaftlerInnen begleiten und durch eigene ästhetische Projekte kommentieren. Durch diese Zusammenstellung begegnen sich sowohl wissenschaftliche als auch ästhetische Praxis. In der Begegnung werden zwei entgegengesetzte Formen der Wissensgestaltung korreliert und dadurch treten gegenseitige epistemische Bedingungen offen zutage, spekulatives Wissen kann erscheinen.
Die Kontextualisierung von Kunst und Wissenschaft bewirkt eine Reflexion auf die epistemischen Dimensionen von wissenschaftlicher Erkenntnis und legt insbesondere in Bezug auf den Kontext medialer Prozesse die Spekulativität der Wissensgenerierung offen, thematisiert die Unhintergehbarkeit medialer Gestaltung und verweist von dieser Position aus nochmals auf die spekulativen Anteile medialer Gestaltung und die Hybridisierung wissenschaftlicher und ästhetischer Diskurse (von Alfred Nordmann
als ‚collapse of distance‘ bezeichnet). Aufbauend auf den historisch angelegten Austausch ästhetischen und wissenschaftlichen Wissens kann die künstlerische Produktion im Labor als Annäherung beider Wissensformen verstanden werden. Wissenschaftliches Wissen wird damit in den Bereich der ästhetischen Produktion verschoben. Für die Verschiebung vorgeblich stabilen Wissens in den Bereich ästhetischer Produktion ist der Begriff ‚Spekulation‘ hilfreich und durch seine spezifischen Bedingungen von der Simulation abgrenzbar. - Das spekulative, kreative Wissen der ästhetischen Praxis wird durch die Kontextualisierung im Labor aufgewertet. Es ist zu fragen, in welche Wissensformationen und Kommunkationsprozesse – und in welcher Form – das spekulative Wissen der ästhetischen Praxis einfließt. Anhand ausgewählter Beispiele soll in Vortrag der Begriff der ‚Spekulation‘ auf die Verfahren und Produkte bezogen und theoretisch entwickelt werden, die sich im transformativen Bereich zwischen ‚Wissenschaft‘ und ‚Kunst‘ ausbilden.
2.6  Mediengeschichte der Medienzukünfte
NG 1.741a
Moderation: Stefanie Diekmann

Stefanie Diekmann (Hildesheim): Markers Medien
Abstract:
Chris Markers Film „Level Five" (1995) eröffnet mit einem Gedankenspiel: Wie erginge es einem Neandertaler, der in eine nächtliche Stadt unserer Gegenwart gerät: „Ideen, Erinnerungen, Visionen sind für ihn eins - eine Halluzination, die ihm Angst macht. Dieselbe Vision wie die von William Gibson, als er ‚Neuromancer’ schrieb und den Cyberspace erfand.“ Der Neandertaler sind wir und Chris Markers Filme sind der Schauplatz, an dem die Gegenwart sich an ihre Zukünfte erinnert. „Le souvenir d'un avenir“ lautet schließlich der Titel des vorletzten Werks von Marker, das man als Film vielleicht noch bezeichnen kann. Davor schon gab es die CD-Rom namens „Immemory“. Seitdem sind seine Diaschauen bei Youtube (Kanal unter dem Pseudonym Kosinki) zu finden, zwischendurch hatte er sich im Second Life eingerichtet, dort sogar Teile seines eigenen OEuvres zu Bildern einer sehr ungewöhnlichen Retrospektive installiert. So bewegt sich Marker – der Filmemacher, der früh überzeugt war: „Der Film wird kein zweites Jahrhundert erleben“ – in den Medien der Zukunft: In „2084“ (1984) imaginiert er eine Nachrichtensendung (aus) der Zukunft; postnuklear hingegen ist „La jetée“ (1962), Markers berühmtestes Werk, das den Blick in die Zukunft in der anachronistischen Form eines Fotoromans bricht. In den Spekulationen Chris Markers steckt das ‚Spähen’ der speculatio, aber es steckt auch der Spiegel als speculum darin: In jedem neuen Medium, das Marker ergreift, findet sich die Darstellung und die Antizipation neuer Medien auf drei Momente verwiesen, die die Zeitlichkeit aller Zukunftsentwürfe verkomplizieren: das Retrospektive als die ‚falsche’ Erinnerung der Gegenwart ans Vergangene; das Projektive als Aufladung der Zukunft mit Wünschen und Ängsten; das Spekulative der Späh- und Spiegelstrukturen. Raymond Bellour hat Marker als einen Künstler beschrieben, der „durch das hartnäckig präzise Herumstreifen im Grenzbereich einer Gegenwart, die sich immer sofort in Erinnerung verwandelt, schließlich auf die Erinnerung der Zukunft verfiel“. Um die Praxis der Zeit- als Medienverhältnisse in Markers einschlägigen Filmen, Videos und auch in seiner Arbeit in neueren Medienkonstellationen soll es in diesem Vortrag gehen.
Mathias Mertens (Hildesheim): Flux Kompensation. Über den Mangel an gegenwärtigen Zukunftsspekulationen
Abstract:
Zukunftsvisionen waren in der Vergangenheit Psychoanalysen des technischen Wandels, Verhandlungen der Traumata (McLuhan), die den Nutzern und dem Publikum neuer Technik zugefügt wurden. Im Entwurf von utopischen und dystopischen Umgebungen wurden die Zumutungen durch und enttäuschten Erwartungen an Technik verarbeitet und ihre mögliche Medialität allegorisch bis metaphorisch dargestellt. Zukunft scheint seit einigen Jahren allerdings ein historisches Konzept geworden zu sein. Wenn Zukunftsvisionen auftauchen, dann nur mit der Ästhetik, den Inhalten und den Problemen vergangener Zukunftsvisionen. Die Gegenwart, so scheint es, ist nicht das, was sich die Vergangenheit vorgestellt hat, sondern sie ist eine andere Form derselben Spekulation auf die Zukunft. Mit der falschen deutschen Übersetzung des Zeitreisegenerators aus „Back to the future“ kann man dieses Phänomen als „Flux Kompensation“ bezeichnen. Flux Kompensation ist die seit den 1980er Jahren durch individualisierte Aufnahme- und Abspielgeräte, durch Heimcomputer und durch telematische Vernetzung entstandene Möglichkeit, verschiedenste medienhistorische Inhalte und Dispositive zu überblenden und aktualisiert zu halten. Und damit das Verfließen des Broadcast zu stoppen, das in allen konsumtheoretischen Definitionen von Massenmedialität vorausgesetzt wird. Der Vortrag analysiert dieses Phänomen u.a. an den Filmbeispielen „Back to the Future“, „Matrix“, „Out of Time“, „Futurama“ und „Inception“.
Volker Wortmann (Hildesheim): Die Geste der Medien – zur Geschichte visueller Medienentwürfe im Film
Abstract:
Von Journalisten nach der Möglichkeit von Interkontinentalflügen gefragt, zeigte der Flugpionier Orville Wright sich im Jahr 1909 noch außerstande, diese auch nur ansatzweise zu imaginieren: Technisch sei das nicht realisierbar. Dabei hatte H.G. Welles im Jahr zuvor schon mit „The War in the Air“ den Lesern seines Romans eben diese Vision als transkontinentalen Luftkrieg vor Augen gestellt. Zukunftsprognosen scheitern nicht selten an ingenieurswissenschaftlicher Expertise. Wer wissen will, wie die Zukunft aussieht, hält besser Ausschau nach dem spekulativen und spektakulären Entwurf: Neben Zukunftswissenschaftlern wenden sich heute auch Entwickler von IT-Firmen der Analyse einschlägiger Sci-Fi-Filme und Romane zu, um in ihren Labors die nächste Zukunft technisch zu reproduzieren. Erste Entwürfe von Tablet-PCs, Smartphones und Painless-Medical-Tech sind zumindest schon in den ersten Star-Trek-Staffeln der 60er Jahre zu besichtigen. Das Imaginäre war den Medienentwicklungen immer schon voraus. Tatsächlich entwerfen fiktionale Filme und Texte keine Medientechnik, sondern bestenfalls die Technik, mit Medien umzugehen, den Habitus, der ihre Potentialität erschließt und schließlich - hier setzt die Analyse des Vortrags an: das gestische Repertoire, mithilfe dessen sich Medien anverwandeln lassen. Ausgehend von der These, dass spekulative Medieninszenierung in Filmen in einem reziproken Verhältnis zur Medienentwicklung stehen und die filmische Spekulation zugleich verstanden werden kann als Spiegelstadium der medialen Ontogenese, werden mit der Inszenierung der Telephonie in Filmen der 20er und 30er Jahre und der Analyse der Inszenierung von virtuellem Interface in Filmen der 90er und 00er Jahre zwei historische Beispiele der Geschichte visueller Medienentwürfe analysiert.
Vanessa Aab (Hildesheim): Computergenerierte Traumwelten
Abstract:
(wird nachgereicht)



13:15 - 14:15 Mittagessen


3 //  14:15 - 16:15 Panels

3.1 We Were Promised Jetpacks
Pop ohne Utopie?
HZ11
Moderation: Charis Goer

Thomas Hecken (Siegen): Schluss mit der Spekulation. Pop am Ende seiner Bestimmung
Abstract:
Die Rede über Pop zeichnet sich bis heute zumeist dadurch aus, dass sie es unterlässt, ihren Gegenstand präzise zu bestimmen. Dies hat damit zu tun, dass diejenigen, die sich im Feuilleton und in Szenenorganen zu Pop äußern, sehr lange vom Unwert oder Wert des Begriffs fasziniert gewesen sind. Diese Faszination zeigt sich darin, dass der Pop-Begriff nicht nüchtern und für andere verständlich und gebräuchlich erläutert wird, sondern vage 2 schillert und andeutet - Richtung Hipness, Subversion etc. In den angloamerikanischen Wissenschaften, die sich Pop zumeist aus radikaldemokratischen Überzeugungen heraus nähern, lautet die Entsprechung dazu, mit einem äußerst umfassenden, in vielerlei Hinsicht diffusen Definiens, das "popular culture" und "pop culture" synonym setzt, zu operieren. Dagegen soll nun - in einer Zeit, in der Pop als Diskursgegenstand in Hip-Szenen und unter Anhängern der Cultural Studies merklich an Faszination zu verlieren beginnt - eine Bestimmung vorgelegt werden, die wenig Raum für Spekulationen (und utopisches Potential) mehr lässt.
Nadja Geer (Berlin): Lieber ein bisschen zu viel als zu wenig: Pop als Realutopie darf nicht sterben
Abstract:
Eine Pop-Definition daran zu messen, ob sie sich durchsetzt, hieße, eine Art Theoriedarwinismus einzuführen. Pop in all seiner Vielfalt und seinem Potenzial bliebe damit auf der Strecke. Bevor man eine Bestimmung vorlegt, die wenig Raum für Spekulation lässt, muss man sich den Gegenstand anschauen, den man bestimmen will. Und Pop ist kein Gegenstand - damit fängt das Problem an. Eine aufs Material festgelegte, statische Definition würde sich besonders im kritischen Alltag fatal auswirken, da sie im Vorhinein einen viel zu großen Bereich ausschließen würde. Vielleicht den interessantesten, auf jeden Fall aber den Bereich, der Intellektuelle an Pop fasziniert: Wahrnehmungsmuster erschaffen, am diskursiven Wirklichkeitsbegriff mitarbeiten – kurz: Spekulation. Hier finden die Allmachtsphantasien von Intellektuellen fruchtbaren Boden. Nähme man dem Popdiskurs in Deutschland diese Komponente, nähme man ihm seine Anziehungskraft.  Jochen Bonz (Bremen): Popkulturelle Erfahrungsräume des Utopischen
Abstract:
In jüngster Zeit ist ein Verständnis von Pop aufgekommen, das zwischen einer vergangenen und einer zeitgenössischen Variante des Pop auf der Ebene der Erscheinungsformen subjektiver Bezugnahme auf popkulturelle Objekte unterscheidet: Früher sei man durch Popmusik sozialisiert worden; heute fungiere sie als Kunstwerk, also als Agent ästhetischer Erfahrung. Diese insbesondere von Diedrich Diederichsen vorgebrachte Idee möchte ich in meinem Beitrag nicht diskutieren, sondern zum Anlass für eine Re-Lektüre zweier Studien aus dem Bereich der Cultural Studies nehmen, die, entstanden Ende der 70er bzw. Ende der 90er Jahre, die Verschränkung beider Aspekte (Pop als Sozialisationsinstanz und als Kunstwerk) thematisieren: Angela McRobbies, aus der Kritik an den weibliche Akteure ausklammernden Subkulturstudien ihrer männlichen Kollegen am Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies hervorgegangene Skizzierung einer schwärmerischen Mädchen-Fankultur in "Girls And Subcultures"; und Gerry Bloustiens medienethnografische Untersuchung mimetischer Aushandlungen des Selbst durch weibliche Teenager mittels filmischer Inszenierungen in "Girl Making". Eine von den Mädchen betriebene Spekulation auf Sein, Selbst und Zukunft kommt in beiden Studien deutlich zum Ausdruck und zeigt, inwiefern die Popkultur (oder auch: expressive Phänomene der Populärkultur in einem weiteren Sinne) realistischer Weise utopische Momente bereithalten kann: durch die Erzeugung eines sowohl imaginären wie somatisch erlebbaren Erfahrungsraumes, der die alltagskulturellen Konventionen situativ überschreitet und erweitert (und sie freilich auch reproduziert).
Moritz Baßler (Münster): Futur II (Vollendete Zukunft). Von der ästhetischen Lesbarkeit des Pop
Abstract:
Retromania war das popdiskursive Schlagwort des letzten Jahres. Aber welcher spekulativen Zukunft des Pop trauert Reynolds eigentlich nach – vielleicht doch eher den Jetpacks als der Revolution? Selbst wenn Pop mit dem Ende der sozialistischen Alternative seinen utopisch spekulativen Vektor verloren haben sollte (so Joshua Clover in 1989), erinnert die Retro- Welle des neuen Jahrtausends ja nicht nur an alte Versprechen, sondern löst sie womöglich bereits auf neue Weise ein: Während die politischen und ökonomischen Zukunftsentwürfe sich eher in den Bereich der Netzkultur verlagern, definieren, so die These, The Strokes, The White Stripes, The Fratellis oder Vampire Weekend Pop erstmals dominant in einer Sphäre des Ästhetischen. Hier die Wiederkehr des Gleichen zu beklagen, ist in jeder Hinsicht inadäquat: Zu arbeiten wäre vielmehr an einer Pop-Wissenschaft, die diese historisch epistemischen Übergänge beschreiben und die alten und neuen Poptexte in ihrer ästhetisch kulturellen Komplexität lesen kann.
3.2  Grauschleier (Ich kenne das Leben, bin im Kino gewesen)
HZ12
Moderation: Heinz-B. Heller

Annette Brauerhoch (Paderborn): Im Dunklen liegen Illusionen und Spekulationen im Kino
Abstract:
Dem Begriff der Illusion wohnt zunächst etwas Pejoratives inne, für die Filmwahrnehmung ist sie konstitutiv. Sie gilt als eine Form der Täuschung. Während die Apparatustheorie von einem fast vollständigen Kontrollverlust im höhlenartigen Bauch des Kinosaals bei stark reduzierter Motilität ausgeht, kann man mit dem Begriff der Illusion von einer Art der Sinnestäuschung sprechen die nicht gleichzeitig eine epistemische Täuschung darüber enthält, dass wir einen Film und keine Realität sehen. Illusion im Kino ist nicht nur eine apparativ hergestellte Funktion des Projektionsmechanismus, sondern kann als eine kompensatorische Phantasieleistung begriffen werden, mit der alles was an Formen der Repräsentation defizitär ist ergänzt und vervollständigt wird. Bezogen auf das Kino bedeutet das, dass das Leinwandgeschehen projektiv ergänzt wird. Für diese Projektion bildet der Lichtstrahl, der den Raum durchquert ebenso eine Rolle wie der Körper im Kinoraum. Dieser wird von Christiane Voss als „Leihkörper“ in die Illusionstheorie eingeführt. Die kompensatorische Reaktion kann als allgemeiner Automatismus bezeichnet werden, aber die Besetzungen und Projektionen fallen individuell aus, haben mit subjektiver Geschichte und momentaner Gestimmtheit zu tun. Wenn man den „filmischen Leihkörper“ auf die Technik des Apparats zurück bezieht, so erzeugen Malteserkreuz und Flügelblende mehrfache Unterbrechungen des Wahrnehmungsvorgangs und produzieren so durch den stroboskopischen Effekt einen Dunkelanteil in der Projektion, der innere Erlebnisströme provoziert, die mit den Filmbildern amalgamieren. So entsteht ein vorbewußter Wahrnehmungsstrang, in dem die Welt im Dunklen liegt. Wenn sich dieser zum Teil den physiologischen Eigenschaften des Mediums Films verdankt, dann lässt sich nur spekulieren, was die Digitalität im Kino für die Illusionen des Publikums bedeutet.
Rembert Hüser (Minnesota): Mit Speck fängt man Mäuse
Abstract:
Der Film ist über alle Berge. Wir haben “eine bisher im Filmrecht noch nicht dagewesene Lage” (Deutsche Zeitung). “Die weiteren 4 Kopien und das Negativ in deutscher Sprache sind bei der Kopieranstalt Rensch sichergestellt. Der Schlüssel zu dem betreffenden Schrank befindet sich bei der hiesigen Dienststelle” (Polizeirat Dr. Stüwert, Polizeipräsidium Berlin, zum eingeleiteten Strafverfahren). Andere Schlüssel stecken woanders. Erinnert wird sich im folgenden an sehr unterschiedliche Dinge. Kracauer benennt ein ganzes Buch nach diesem Film, kriegt aber den Titel nicht richtig auf die Reihe. Nach dem Krieg haben wir eine Spur in Acapulco. Ein amerikanisches Kittyhawk Jagdflugzeug, eine Explosion am Strand, ein verwundeter Soldat, der auf uns zuläuft: nichts davon findet sich im Film, aber er muss es sein. Auch wenn der Titel nicht stimmt. Wie malen wir uns einen Film aus? Wie erinnern wir einen Film, den wir nicht gesehen haben? Ich möchte mir in meinem Vortrag anschauen, wie Lobby Cards auf Filme spekulieren. “Da ich daran gewöhnt war, mir die Filme der Erwachsenen anhand der Fotos in den Schaukästen zusammenzureimen, genoß ich es sogar, die Filme, die ich sehen durfte, nicht zu verstehen, da ich mir so jedesmal einen anderen vorstellen konnte, auch wenn der gezeigte Film immer derselbe war” (Julio Llamazares, Stummfilmszenen, S. 48). War er natürlich nicht.
Brigitte Braun (Trier): Das patriotische Kinopublikum – Spekulationen einer Besatzungsmacht in den 1920er
Abstract:
Als alliierte Truppen 1919 die linksrheinischen Gebiete Deutschlands besetzten, sicherten sie sich dort auch die Kontrolle über die deutschen Kinos und die dort laufenden Filme. Das ist nicht verwunderlich, hatte sich doch während des Ersten Weltkriegs die Idee der starken Wirkungsmacht des Films sowohl beim Militär als auch bei den Politikern der Krieg führenden Nationen durchgesetzt. Vor allem die französische Besatzungsmacht im besetzten Rheinland fürchtete Vergemeinschaftungsprozesse deutscher Zuschauer im dunklen Kinosaal und spekulierte über die Macht der Bilder. Welche Auswirkungen würden Filme haben, die in einem unter Fremdherrschaft stehenden Gebiet deutsche Soldatenherrlichkeit im Kaiserreich und tapfere deutsche Helden des Ersten Weltkriegs zeigten? Musste das Wiedersehen deutscher Uniformen auf der Leinwand nicht zwangsläufig zu Beleidigungen der eine verhasste fremde Uniform tragenden Besatzungssoldaten kommen, ja sogar Tätlichkeiten oder Aufständen gegen diese führen? Sicherheitshalber musste zumindest das Spielen von Marschmusik und das Singen patriotischer Lieder im Kinosaal unterbunden werden, um die Zuschauer emotional nicht auch noch vorsätzlich aufzuwühlen. Für die deutschen Behörden und die von Filmverboten betroffenen Firmen waren diese Überlegungen unverständliche Spekulationen, die jeder Grundlage entbehrten. Was machte die Zuschauer im Rheinland so gefährlich und außerordentlich, dass Filme wie UNSERE EMDEN oder DER WELTKRIEG zwar deutschem, britischem, amerikanischem und sogar französische Publikum - also auch mit Erfolg den ehemaligen Feinden - vorgeführt werden durfte, diesen aber nicht? Der Vortrag möchte dieser Frage auf Grundlage umfangreichen Quellenmaterials aus deutschen und französischen Archiven aus Sicht der Publikums- und der Propagandaforschung nachgehen und Spekulationen über den so besonderen Ort Kino aufdecken.


Brigitte Weingart (Bonn): Raum für Spekulationen: Filmische Selbstreflexion und affektive Arbeit
in R. W. Fassbinders Warnung vor einer heiligen Nutte
Abstract:
Wenn, wie es im Call for Paper für die Tagung heißt, für medientheoretische Spekulationen zu veranschlagen wäre, dass sie aufgrund ihrer medialen Bedingtheit ihrerseits 'spekuliert' werden, so gilt dies umso mehr für Filme übers Filmemachen. Was der Blick hinter die Kulissen zu sehen gibt, sind gerade nicht die Produktionsbedingungen, unter denen der Film, der diese Perspektive anbietet, selbst entstanden ist – darüber, wie realitätsgetreu die Spiegelung ist, darf wiederum spekuliert werden. Bei R.W. Fassbinders sogenanntem "Schlüsselwerk" Warnung vor einer heiligen Nutte (1971) scheinen sich die Spekulationen über mögliche Ähnlichkeiten mit der real existierenden "Fassbinder-Familie" – weil offensichtlich – beinahe zu erübrigen. Doch wie sich in dieser Überblendung von Fakt und Fiktion (die sowohl die Produktion wie die Rezeption kennzeichnet) bereits andeutet, hat man es hier mit einer hochgradig stilisierten Pseudo- Spiegelung zu tun, die das Filmset selbst als einen Raum für Spekulationen darstellt: Was sich hier beobachten lässt, ist das Wuchern einer Kommunikationsform, die sich – wie der Klatsch und das Gerücht – aus der Unsicherheit speist und deshalb besonders anfällig ist für absichtsvolle Auslegungen und emotionsbedingte Verzerrungen dessen, was ist und sein könnte. Der Drehort für einen Film "gegen staatlich sanktionierte Brutalität" wird als soziales Labor in den Blick gerückt, in dem Arbeitsprozesse ihrerseits von Machtspielen, ökonomischen Bedingungen und Psychodynamiken durchsetzt sind. In dieser Reflexion erscheint das Filmset als Schauplatz einer affektiven Arbeit, zu der auch und vor allem das Spekulieren gehört: darüber, wer mit wem (und ob es sich lohnt), ob und woher das Geld kommt, wie man (nicht nur vor der Kamera) eine gute Figur macht, ob das Ganze irgendwie sinnvoll ist oder wenigstens vorübergehend befriedigend, wie es weiter geht etc. Die pathetische Metapher vom Filmgeschäft als Prostitution wird in ein Szenarium übersetzt, das den zweischneidigen Umgang mit affektiven Ökonomien registriert, ohne die Anziehungskraft der "heiligen Nutte" Film zu leugnen. Damit stellt sich die Frage, inwiefern Fassbinders doppelte Spekulation als Warnung vor der Filmbranche als einer Art 'Avantgarde' prekärer Arbeitsverhältnisse gelten kann, in der die Identifikation mit einer Arbeit, die 'mehr ist als ein Job', Selbstausbeutung und Dauerflexibilität als Schlüsselqualifikationen (sowie erfolgreiches Spekulieren als soft skill) kultiviert werden.
3.3  Workshop „Internationalisierung der Filmwirtschaft“
HZ13
Julian Hanich (Groningen)
Jeroen Sondervan (Amsterdam University Press, Amsterdam)
Vinzenz Hediger (Frankfurt)
Erica Carter (London)

3.4  Spekulative Latenz. Kartographische Übungen zur modernen Esoterik
HZ14
Moderation: Claus Pias

Eva Johach (Zürich): Exopsychology. Timothy Learys esoterische Medientheorie
Timothy Leary gilt als einer der Hauptprotagonisten der psychedelischen Bewegung der Hippie-Ära. Weniger bekannt hingegen ist, dass Leary sein Plädoyer für eine dogeninduzierte Bewusstseinserweiterung in den 1970er und 80er Jahren zu einem esoterischen System erweitert hat, dem er den Namen „Exo-“ bzw. (so der reformulierte Buchtitel von 1987) „Info-Psychology“ gegeben hat. Ähnlich wie John Lilly, der 1972 von einer Reprogrammierung des „human bio-computer“ träumte, entwirft Leary darin die Vision für ein enhancement unserer neuronalen und genetischen Regelwerke: ein nach acht Perioden und 24 Stufen differenziertes Modell einer schrittweisen Aktivierung unserer neuro-elektrischen „Schaltkreise“. Ziel ist nicht weniger als die Schaffung einer neuen Spezies, die überhaupt erst den Namen Mensch verdient: die zu neuer kosmischer Resonanzfähigkeit erwachte „quantum person“. Diese Emanzipation wäre die konsequente Realisierung eines „heisenbergschen“ Bewusstseinszustands, d.h. der psychischen Umsetzung des quantenphysikalischen Wissens; zugleich aber – typisch für die Esoterik des New Age – sollen damit für alle jene höheren spirituellen Bewusstseinsstufen erreichbar werden, die die Weisen aller Weltreligionen seit Urzeiten erfahren haben. Learys Entwurf erweist sich gleichsam als das esoterische Komplement zu einer Psychologie, die sich mit dem Aufkommen der Kybernetik daran gewöhnt hat, die internen Prozesse des Gehirns nach dem Modell des Computers zu beschreiben. Mitten aus dem Geist der Kybernetik heraus entsteht hier eine techno-spiritualistische Utopie, in der sich auf eigenartige Weise szientistische Machbarkeits­phantasien mit anarchistisch-individuellen Widerstandsutopien verschränken. Von dieser versponnenen Vision eines neuronalen enhancement her ist aber, so die Hypothese, eine Utopie des Medialen zu erschließen, die zur techno-imaginären Genese des Internet gehört und in den abgedroschenen Formeln eines McLuhan ihren schwachen Nachhall findet.
Bibliographie:
Davis, Eric, „Techgnosis. Myth, Magic + Mysticism in the Age of Information“, New York 1998.
Johach, Eva, „Mind Spaces. Verlängerte mediale Reichweiten zwischen romantischem Somnambulismus und psychedelischer Revolution“, in: Eva Johach/Diethard Sawicki (Hg.): Übertragungsräume. Medienarchäologische Perspektiven auf die Raumvorstellungen der Moderne. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden 2012 (im Erscheinen).
Leary, Timothy, „Info-Psychology [Revision of Exo-Psychology]. A Manual on the Use of the Human Nervous System According to the Instruction of the Manufacturers“, Las Vegas 1987.
Lilly, John, „Programming and Metaprogramming the Human Biocomputer“, New York 1972.
Sprenger, Florian, „From Psychedelics to Cybernetics. Wie Timothy Leary und Marshall McLuhan sich den Umgang mit Medien beibrachten“, in: Recherche. Zeitung für Wissenschaft. http://www.recherche-online.net/marshall-mcluhan-timothy-leary.html.
Niels Menzler (Bochum): Die Geheimnisse des Bodens. Von Wünschelruten, Seismographen und Tribolumineszenz
Als am zweiten Weihnachtstag des Jahres 2004 ein schrecklicher Tsunami über Südostasien hereinbricht, kostet das viele Tausend Menschen das Leben. Wie bei solchen Katastrophen nicht ungewöhnlich, ranken sich die Legenden darum, dass im Unterschied zu den Menschen die meisten Tiere von dem Unglück verschont geblieben sein sollen, weil sie rechtzeitig die Flucht antraten. Haben sie das Beben erahnt und nutzten die Latenzzeit zur Flucht? Konnten Tiere im Vorhinein etwa feine Vibrationen des Bodens spüren (sogenannte P-Waves)? Oder war hier etwas anderes am Werk? Der Boden, die Erde, scheint mit leisen, infinitesimalen Äußerungen von seinen Geheimnissen zu künden. Während Wissenschaftler etwa mit Seismographen Boden­erschütterungen messen und mit den gewonnenen Daten Prognosen über zukünftige Beben erstellen, glauben Esoteriker mit verschiedenen Medien das aufspüren zu können, was der Boden in ihren Augen jenseits des sinnlich Wahrnehmbaren und physikalisch Messbaren von sich gibt. Seit Jahrhunderten versucht man mit gegabelten Ruten Metalle oder Wasseradern im Boden aufzuspüren. Die Disziplin der Radiästhesie kapriziert sich unter anderem auf das Spüren von schädlichen „Erdstrahlen“; beschäftigt sich mit Feldern und Gittern, die den Boden durchziehen sollen. Die esoterischen Diskurse werden mitunter politisch, etwa wenn es um die Bebauung von Grundstücken geht, oder wenn irakische Sicherheitsbehörden eine High-tech-Wünschelrute aus britischer Produktion zum Suchen nach Sprengstoff einsetzen. Der Vortrag will eine kurze Skizze davon zeichnen, wie Wissenschaft und Esoterik die Zeichen des Bodens deuten und wahrnehmen wollen.
Bibliographie:
Ikeya, M., „Earthquakes and Animals. From Folk Legends to Science”, Singapore 2004.
Pohl, Gustav Freiherr von, „Erdstrahlen als Krankheitserreger“, Diesen bei München 1932.
Prokop, Otto und W. Wimmer, „Wünschelrute, Erdstrahlen, Radiästhesie. Die okkulten Strahlen­fühligkeits­lehren im Lichte der Wissenschaft“, 3. Aufl. Stuttgart 1985.
Schall, R.B., “An Evaluation of the Animal-behavior theory for earthquake Prediction”, in: California Geology 41 (1988), Nr. 2, S. 41-45.
Robert Matthias Erdbeer (Münster): Kosmotechnik und die Saturnalien der Kartographie
Moderne Esoterik ist ein parawissenschaftliches Projekt. Die Orientierung an den Resultaten „sämtlicher exakter Forschungszweige“ war die klare Losung, die der Wiener Ingenieur Hanns Hörbiger im Jahre 1913 seiner ‚Welteislehre‘ mitgegeben hat. Die Pointe dieser fast 800 Seiten starken „allumfassenden Theorie des Himmels und der Erde“ ist ihr Bildprogramm, die ‚kosmotechnische Zeichnung‘, die den hochspekulativen Daten- und Thesenbestand auf über 200 großformatigen, vom Autor selbst in aufwendiger Technik produzierten Karten „in gedrängter Form“ zusammenfasst. Die Bildgebung wird hier zum eigentlichen Argumentverfahren einer Welterklärung, deren parawissenschaftliches Design ein esoterisches Erkenntnisziel verfolgt. Im Bildprogramm verbirgt sich nämlich – so die These meines Beitrags – das Arkanum der Glazial-Kosmogonie, des sog. „Hauptwerks“, das das von der wissenschaftlichen Astronomie zutiefst erschütterte Verhältnis zwischen Mensch und Kosmos im Latenzraum seiner unergründlichen (und unabschließbaren) Kartographie erneuern will. Es ist das kartographisch Unentschlüsselbare, das in seiner gleichermaßen epistemischen wie bildästhetischen Opazität zum esoterischen Versprechen wird – als Wissenschaftskritik. Der Heilsraum dieses Bildprogramms ist ein Latenzraum, dessen kosmische Text-Bild-Hybriden nicht gelesen, sondern adoriert und meditiert sein wollen. Die ‚Lektüre‘ dient somit – als Selbsttechnologie des suchenden, vom Wissenschaftsdiskurs enttäuschten Individuums – der esoterischen Konversion. Spekulativ ist dieses Unternehmen im vierfachen Sinn: Es exploriert und simuliert die Virtualität der Wissenschaftsverfahren im Bereich des schlechthin Großen (Kosmos), es entwickelt mittels seiner volatilen Zeichenlogik eine dunkle (und gerade dadurch marktgängige) Popularisierungsform, es transzendiert die epistemische Modellbildung der Einzeldisziplinen und es reflektiert die medialen Strategien seiner eigenen prekären Performanz.
Bibliographie:
Erdbeer, Robert Matthias, „Die Signatur des Kosmos. Epistemische Poetik und die Genealogie der Esoterischen Moderne“, Berlin/New York 2010.
Giehm, Gerhardt, „Welterkenntnis und Weltenbau. Philosophisches zur Glazialkosmogonie“, Leipzig 1928.
Hörbiger, Hanns und Philipp Fauth, „Hörbigers Glazial-Kosmogonie. Eine neue Entwicklungsgeschichte des Weltalls und des Sonnensystems […]“, Unveränderter Neudruck mit 212 Figuren, Leipzig 1925 [11913].
Valier, Max, „Anleitung zum Lesen kosmotechnischer Zeichnungen“, Leipzig 1925.
Wessely, Christina, „Welteis. Die »Astronomie des Unsichtbaren« um 1900“, in: Dirk Rupnow et al., Hrsg., Pseudowissenschaft. Aspekte des Nichtwissens in der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt am Main 2008, S.163–193.
Dennis Niewerth (Bochum) Rechnend zu den letzten Dingen. Über die Mathematik der Apokalypse
Im Jahre 1994 nahm der Physiker Frank J. Tipler nichts geringeres für sich in Anspruch, als den mathematischen Beweis für die Wahrheit der christlichen Heilslehre erbracht zu haben. Das Schicksal des Universums, so die These seines 500-seitigen Hauptwerkes The Physics of Immortality, sei es, in seinen letzten Augenblicken zu einem gewaltigen Computer zu werden, dessen Rechengeschwindigkeit die Zeit selbst überholt – und in welchem in Form einer virtuellen Simulation sämtlicher möglicher Quantenzustände das Reich Gottes verwirklicht sein werde. Tiplers an Begrifflichkeiten Teilhard de Chardins anknüpfende Omega Point-Theorie steht im Zeichen einer Strömung in der theoretischen Mathematik und Physik, welche die Grenzen zwischen Wissenschaft, Pseudowissenschaft und Offenbarungslehre verwischt. Die Quantenphysik, Alan Turings Theorien zur künstlichen Intelligenz, Konrad Zuses Idee vom 'rechnenden Raum' und John von Neumanns Überlegungen zu selbstreplizierenden Mikromaschinen klingen in ihr ebenso an wie das Mooresche Gesetz zum exponentiellen Wachstum der Rechenleistung von Prozessoren. Die mathematische Formulierbarkeit kosmischer Szenarien gebiert hier eine merkwürdige szientistische Esoterik, welche zwar mit wissenschaftlichem Gestus ihren Blick auf die spekulativen Möglichkeitspotentiale der Zukunft richtet, dabei aber letztlich in eine heilsgeschichtliche Kosmologie des Abschlusses und der Schicksalhaftigkeit verfällt. Der Vortrag möchte diese Verselbständigung von Machbarkeitsphantasien und Notwendigkeits-hypothesen, im Zuge welcher die Mathematik zur Arkandisziplin wird, genauer in den Blick nehmen und an ihr eine Ausreizung der begrifflichen Grenzen einer „modernen Esoterik“ versuchen.
Bibliographie:
Chardin, Pierre Teilhard de, “L'Avenir de l'Homme, Paris (Seuil) 1959.
Kurzweil, Ray, “The Singularity Is Near: When Humans Transcend Biology”, New York (Penguin/Viking) 2005.
Schmidhuber, Jürgen, “New Millenium AI and the Convergence of History”, http://arxiv.org/pdf/cs/0606081v3.pdf, abgerufen am 02.02.2012.
Tipler, Frank J., “The Physics of Immortality. Modern Cosmology, God and the Resurrection of the Dead”, New York (Anchor Books) 1994.
Zuse, Konrad, „Rechnender Raum“, Braunschweig (Vieweg) 1969.
Stefan Rieger (Bochum): Expeditionen ins Feldall. Esoterik und die Kartierung des Unkartierbaren.
Spekulationen zielen ins Große oder aufs Ganze. Unbescheidenheit ist die Folge, wenn man sich nicht an die Kleinteiligen des Wissens und etablierter Wissensformate halten muss, wenn man zügellos und ungebremst argumentieren darf. Eine der großen Fragen zielt auf den Kosmos, auf das Universum. Dabei machen esoterische Modelle von sich reden, die auf ihre Weise erklären, was die Welt im Innersten zusammenhält. Im Anschluss an Theorievorgaben der Naturwissenschaften, etwa der Quantenphysik, und im Rückgriff auf Medientechniken wie der Holographie kommt es zu Hybridformen der Welterklärung, die in spirituellen Strömungen wie der New Age-Bewegung ihre Popularisierungen erfuhren.
Die Versatzstücke, die dabei in Vermischung geraten, sind vielfältig: Sie umfassen Theorieangebote wie das des morphogenetischen Feldes (Rupert Sheldrake), die holonomische Theorie des Bewusstseins (Stanislav Grof), die Theorie des Embryonalen Feldes (Alexander Gurwitsch), die Theorie der Lebensfelder (Harold Saxton Burr) – und sind so in der Lage, in selbsternannter Interdisziplinarität zwischen theoretischer Physik, universaler Biologie und transpersonaler Psychologie zu argumentieren. Derlei Überlegungen führen zu sonderbaren Topologien, zu Orten, die mit gängigen Raumordnungen (Utopie, Heterotopie) kaum zu fassen und schon gar nicht zu kartieren sind.  Was den diversen Expeditionen ins Feldall bei aller Heterogenität gemeinsam ist, ist der spekulative Zug, ist das Engagement für ein großes gemeinsames Ganzes. Die Latenzräume spekulativ-esoterischen Wissens ermöglichen Konstellationen sui generis, die sich nicht in kurioser Kasuistik erschöpft: Wenn die esoterische Steinheilkunde unserer Tage die Biophotonen-Aufzeichnungstechnologie Fritz Popps bemüht, ist das einer solchen Expedition ins Feld-All geschuldet, hat also Methode.
Bibliographie:
Burr, Harold Saxton, „The Fields of Life. Our Links with the Universe“, New York 1972.
Sheldrake, Rupert, „Das schöpferische Universum. Die Theorie des morpho-genetischen Feldes“, München 1984.
Bohm, David, u.a., „Das holographische Weltbild. Wissenschaft und Forschung auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Weltverständnis – Erkenntnisse der Avantgarde der Naturwissenschaftler“, Ken Wilber (Hrsg.).
Rieger, Stefan, „Weltgedächtnis. Zur Universalisierung von Übertragungsräumen“, in: Eva Johach, Diethard Sawicki (Hrsg.), Übertragungsräume.
Anderson, Robert M., „A Holographic Model of Transpersonal Consciousness“, in: The Journal of Transpersonal Psychology, Vol. 9, No. 2, 1977, S. 119-128.

3.5  Bildexperimente
HZ15
Moderation: André Wendler

Dennis Göttel (Weimar): Der Zapruder-Film: Mutmaßende Filmanalyse
Abstract:
Ein 8mm-Film des Damenschneiders Abraham Zapruder gilt als wichtigstes Dokument des Mordes an John F. Kennedy, anhand dessen offizielle Geschichtsschreibung ebenso wie andere Theorien den Hergang des Attentats zu rekonstruieren suchen. Gleichzeitig ist der Zapruder-Film selbst Objekt von Mutmaßungen. Wo medienontologisch (fotografischer Index) und gattungstheoretisch (Amateur) seine Evokation des Realen behauptet wird, ist die Geschichte des Films geprägt von Zensur, Duplikaten und Vorwürfen der Manipulation. Dieser widersprüchliche Komplex sieht sich etwa in Romanen von Don De- Lillo, J. G. Ballard oder Stephen King verdichtet. Dabei zeigt sich, dass in den Praktiken mit dem Film medienhistorische und -institutionelle Topoi komprimiert sind. Denn es kollidieren zwei verschiedene Umgangsweisen mit dem Film, die nicht gleichzeitig geschehen können: Betrachtung und Nummerierung des Filmstreifens wie dessen Vorführung vor einem Publikum. Jenseits des Vorwurfs der Manipulation gilt es, die je spezifsche Präsentation als etwas in den Blick zu nehmen, das dem Film nicht äußerlich, sondern ko-konstituierend ist. Die Spekulation ist abhängig von einem Sehen, welches ein Dispositiv hat. Oliver Stones JFK (1991), der wahlweise selbst als haltlose Spekulation oder als Verhandlung historiografischen Begehrens gilt, ist ein Aufführungsort des Zapruder-Films: Mittels dessen Projektion werden Gericht und Kino verschaltet. JFK ist hierbei Reenactment der ersten offiziellen Aufführung des Films 1969. Im Vergleich von Filmsequenz und Gerichtsprotokoll sieht sich das Beharren auf das Indexikalische konfrontiert mit den Modellen, Techniken und Apparaten, die den Film vermitteln müssen. Es kommt in beiden Dispositiven (des Films und des Gerichts) zur phantasmatischen Verschaltung von Kaderausbelichtung und Projektion, von Schneidetisch und Leinwand. Hierin liest sich die Praxis mit dem Zapruder- Film als eine Allegorie auf die Methoden der Filmanalyse selbst.
Daniela Wentz (Weimar): „After all, nothing but guessing.“ Zum Motiv des Diagramms in der Ermittlerserie
Abstract:
Die Abduktion sei die einzige logische Operation, die irgendeine neue Idee einführe, so ihr Erfinder Charles Sanders Peirce. Während die Deduktion bekanntermaßen vom Allgemeinen auf den Fall schließt und die Induktion vom Fall auf das Allgemeine, besteht die Abduktion im Aufstellen einer Hypothese, aus der deduktiv weitere Konsequenzen abgeleitet werden können, welche dann induktiv bestätigt bzw. widerlegt werden können. Spekulativ ist der Prozess der Abduktion genau deshalb, weil er darin besteht, lediglich subjektive Assoziationen in einer Art rationalisiertem Rateprozess in eine plausible Erklärung zu überführen. Die Abduktion ist in der Ansicht Peirces „after all, nothing but guessing“. Interessant aus medienwissenschaftlicher Perspektive erscheint die Abduktion aus mindestens drei Gründen: erstens lässt sie sich beschreiben als „der erste Schritt aller Prozesse der Zeichendeutung, die eine Kopplung von Beobachtung und Theorie vornehmen“ (Wirth). Zweitens behauptet sie eine notwendige Medienabhängigkeit des Prozesses der Wissensgenerierung. Denn in ihrem Zentrum steht die Operationalisierung und Transformierung einer medialen Form: eines Diagramms. Letzteres bildet die Hypothese des Schlussprozesses, der sich in und durch seine Manipulation und Umformung vollzieht. Und drittens schließlich hat der Abduktionsprozess einen privilegierten medialen Ort: die Ermittlerserie, in der das Diagramm und seine Manipulation nicht nur den Verlauf der Ermittlung bestimmen, sondern auch die temporale Logik der Serie ihrem Imperativ unterwerfen.
André Wendler (Weimar): Dinosaurier-Bilder
Abstract:
Beinahe so lang es das Kino gibt, hat es Bilder von Dinosauriern produziert. Die Kinosaurier treten am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts an die Seite der wissenschaftlichen und populären Darstellungen, die das neunzehnte Jahrhundert in allen künstlerischen Techniken produziert hat und erfüllen diese mit Leben, d. h. Bewegung. Jede Darstellungen von Dinosauriern ist mit einem unhintergehbaren und letztlich nicht verifizierbaren Zwang zur Spekulation versehen. An die Seite der paläontologischen Entdeckungsgeschichte der prähistorischen Tiere tritt damit die Geschichte ihrer Bilder seit dem neunzehnten Jahrhundert. Das populäre und wissenschaftliche Wissen über Dinosaurier lässt sich von den Methoden dieser Bilderzeugung nicht trennen. W. J. T. Mitchell ist deswegen sogar soweit gegangen, dem Status der Dinosaurier als kulturellen Imaginationen einen größeren Wirklichkeitswert beizumessen, als den ausgestorbene Tieren als wissenschaftlichen Fakten. Steven Spielbergs Jurassic Park (USA, 1993) lässt sich als ein Film lesen, der einerseits mit Nachdruck bewegte und »realistische« Dinosaurierbilder als the real thing zelebriert und andererseits die Geschichte und den onto-epistemologischen Status dieser Bilder reflektiert. John Hammonds Satz: »We’ve made living biological attractions so astounding that they’ll capture the imagination of the entire planet.«, lässt sich demnach auf die echten Saurier im diegetischen Jurassic Park ebenso wie die Bilder des gleichnamigen Films beziehen. Jurassic Park lässt sich damit als ein zugleich spektakuläres und spekulatives Wissensobjekt und -subjekt begreifen, in dem sich die Bild und Abgebildetes gegenseitig stabilisieren und hervorbringen.

3.6  Welt-Spekulationen in Photographie, Film, Sitcom, Werbung und Google Earth
HZ10
Moderation: Andreas Jahn-Sudmann

Bernhard Dotzler (Regensburg): „Das Kino schafft für unseren Blick eine Welt...“ – Ausschnitte aus der Geschichte von Realität und Totalität
Abstract:
"Das Kino schafft für unseren Blick eine Welt, die auf unser Begehren zugeschnitten ist. Die Verachtung [Le mépris] ist die Geschichte [histoire] dieser Welt", erklärt oder verrätselt der genannte, mythische Film zu Beginn sich selbst und zeigt im weiteren das Begehren als die zwischengeschlechtliche absolute, monetär aber ver- und zerstörte Liebe einerseits wie als monetär gefährdete, aber cineastisch unbeirrbare Liebe zum Film andererseits. Letztere tritt auf als der projektierte Film im Film, der den abendländisch-antiken Mythos schlechthin, die Odyssee, zum Inhalt haben soll, und dieser Spur will der hier in Aussicht gestellte Beitrag dahingehend folgen, daß sein Proömium eine antike Weltübersicht, Philons Reiseführer zu den Sieben Weltwundern, als den Ausgangspunkt seiner weiteren Überlegungen in Erinnerung rufen wird. Die dort zu entdeckende Urszene des Begehrens, die Mühsal der Welterschließung durch Autopsie zu ersetzen durch eine medial erzeugte Synopsis, soll dann im Hinblick auf ihre Wiederholungen (ihren Wiederholungszwang) in Szenarien der Welterzeugung durch die Medien der Moderne untersucht werden. Beispiele hierfür sind: die Nahtstelle zwischen Globalisierungs- und Medientheorie im Manifest der kommunistischen Partei und seiner Diagnose, daß die Universalie (mit Luhmann wie McLuhan: das Medium) Geld "sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde" schafft; die Reflexe der (wie zur Bestätigung des Manifests ins Leben gerufenen) ersten Weltausstellungen (London 1851, [Paris 1855], London 1862) im Photographic Journal und dessen Entwürfen einer photographische Vermessung und Inventarisierung der Welt; sowie schließlich deren sowohl photographische als auch kinematographische Adaption samt zugehöriger Theoretisierung in Projekten wie Albert Kahns Archives de la planète und Reflektionen/Spekulationen wie Rudolf Arnheims Weltbild und Filmbild (aber auch an Bazin, von dem Die Verachtung ihr Motto hat, und an Cavells World Viewed ist natürlich zu denken).
Astrid Freudenstein (Regensburg): Welt- (der) Werbung: Spekulationen im Reich der Wünsche
Silke Roesler-Keilholz (Regensburg):
Abstract:
Werbung spekuliert. Sie beobachtet menschliche Empfindungen und Wahrnehmungen, leitet daraus Strategien ab, spiegelt Wünsche und kreiert neue Bedürfnisse. Weil in der Reklame das beworbene Produkt und das umworbene Publikum zu einem neuen Ganzen werden, das es unmöglich macht, zu messen, ob letztlich das Überzeugtsein oder doch das Unterbewusste kaufentscheidend war, muss auch die Werbewirkungsforschung häufig im Spekulativen bleiben. In jedem Fall spekuliert Werbung auf unser Grundempfinden, dass es immer noch ein wenig mehr sein darf. Dass Werbung dabei zur Hyperbel neigt, ist angesichts ihrer kommerziellen Motive legitim, auch ein Allgemeinplatz. Dass sie mithin die ganze Welt für sich in Anspruch nimmt, um meist doch recht überschaubar Alltägliches zu verkaufen, trägt hingegen durchaus Züge der Anmaßung. „Die ganze Welt in Deiner Hand“ – so warb ein Mobilfunkkonzern vor wenigen Jahren für sein neues web2.0-Handy und lieferte auch gleich die griffige Erklärung, was unter diesem Weltganzen zu verstehen sei – nämlich music, shopping, information, entertainment. Ein Mobiltelephon bläht sich auf zur Welt im Ganzen – die Welt wird heruntergebrochen auf das Vergnügliche wie auf das handliche Format eben dieses Mobiltelephons. Es bleibt zwangsläufig bei der Verheißung, das Versprechen einer ganzen Welt erweist sich – eigentlich selbstverständlich – als ein Werbegag. Wer das Gerät in Händen hält, wird damit nicht der ganzen Welt habhaft, und noch weniger wird er sie mit Hilfe des Smartphones besser begreifen können. Der Beitrag stellt sich der Frage, mit welchen Bildern der Welterzeugung Werbung operiert und auf welche Impulse die Reklame hier spekuliert.
„Maps that Watch“. Kartographie zwischen Überwachung und Spekulation am Beispiel von Google Streetview
Abstract:
Seit den 1960er Jahren schickt die NASA sogenannte SPOT (Système Probatoire d’Observation de la Terre)-Aufnahmen mit immer größerer Detaildichte aus dem Weltraum zur Erde. In der Folge ersetzt seit etwa zwanzig Jahren das computerisierte System der Darstellung und Analyse geographischer Daten GIS (Geographical Information System) die papierne Landkarte. Damit bilden Satellitenbilder aktuell den technischen End- bzw. Höhepunkt der Stadt- und Landschaftskartographie. Vertreter geographisch ausgerichteter Fachkreise propagieren, dass Satelliten ‚lebendigere’ Bilder als frühere Kartenblätter liefern würden. Schließlich seien Satellitenaufnahmen nicht (nach-)gezeichnet, sondern dem photographischen Abbild ähnlich und würden somit ein ‚realitätsgetreues’ Bild der Erdoberfläche vermitteln. Im Anschluss an diese aus medienwissenschaftlicher Sicht problematische Haltung möchte der Vortrag der Annahme nachgehen, inwiefern Karten im Zuge der Entwicklung vom Kartenblatt zum Satellitenbild zunehmend zu „Maps that Watch“ (Monmonier 2002) werden. Einerseits beobachten und speichern Satellitenbilder unsere Umgebungswelt andererseits prägen sie die mentale Landkarte des Rezipienten und beeinflussen diesen. Ob sich die Geschichte der Kartographie zunehmend als Mediengeschichte der Überwachung und damit immer weniger als Geschichte der Spekulation erzählen lässt, soll hinterfragt werden. Als Fallbeispiel dient Google Streetview, welches aktuell den Fluchtpunkt der Technisierung des Mediums Karte darstellt. Die Dichotomien von Raum und Ort sowie Aktivität und Statik scheinen in diesem aktuellsten Angebot von Google Earth aufgebrochen zu werden. Durch eine Fruchtbarmachung der De Certeauschen Raumbegriffe soll das spekulative Potential von Google Streetview analysiert und reflektiert werden.
Herbert Schwaab (Regensburg): Überwachen und Lachen. Televisuelle und filmische Weltbezüge der Sitcom
Abstract:
Dieser Beitrag beschreibt die Veränderungen der Fernseh- und der Sitcomästhetik im Zusammenhang einer von dem Filmphilosophen Stanley Cavell skizzierten Unterscheidung zwischen Film und Fernsehen. Film schafft das realistische Bild einer Welt, das aber dennoch von unserer Realität abgesetzt erscheint und immer eine (vergangene) Welt als Ganzes meint. Dagegen richtet sich mit dem Fernsehen ein kontrollierender Blick auf Ausschnitte der Welt, um uns der Präsenz der Welt zu versichern. Die klassische Sitcom gibt den damit verbundenen Eigenschaften der liveness und des monitoring durch ihre Überwachung eines Bühnenareals Bedeutung. Neuere Entwicklungen verändern jedoch diesen Weltbezug: Welt wird durch den restrospektiven Blick in die Vergangenheit versetzt (wie in How I Met Your Mother). Der eher cinematische single camera modus setzt eine Welt als Ganzes aus einzelnen Einstellung zusammen (wie in Scrubs). Die Sitcom verändert sich von einem Format, das als alltagsnahes und auf die Gegenwart bezogenes Medium Mutmaßungen über die Welt und das Zuhause ihrer Zuschauer anstellt, zu einem Format, das in einer hybriden Mischung aus Kopräsenz und Distanz auf eine verschobene Weise auf die Welt Bezug nimmt und die Welt vom Zuhause nach draußen verschiebt. Dabei stellt sich auch die Fragen, ob die Sitcom als Live-Medium eine von John Ellis beschriebene Funktion des witnessing im Fernsehen erfüllt, während neuere ‚hypermediatisierte‘ Formate den Akzent auf eine bewusste Konstruktion von Welt durch das Medium setzen. Der Beitrag untersucht dafür Weisen der Welterzeugung in unterschiedlichen Sitcomformaten.
3.7  Mediatisiertes Lernen durch „Serious
Games“ – Fakt oder Fiktion?
NG 1.741a
Moderation: Niels Werber

Jörg Müller-Lietzkow (Paderborn): Klassifizierung (Zweistufenmodell) und Produktionsweisen von Serious
Games
Abstract:
Innerhalb der letzten Jahre fand eine rege und nicht immer sachliche Diskussion über Serious Games statt. Nicht selten wurde dabei eine Engführung auf den Kern verpasst. Vielmehr wurde spekuliert, dass „Serious Games“ als Synonym für Lernen stehen (Prensky 2001, Gee 2007a und 2007b). Wie Müller-Lietzkow & Jacobs (2011) aber zeigen konnten, liegt eigentlich ein Zweistufenmodell der Klassifizierung den Serious Games zu Grunde. Der Vortrag setzt an diesem Modell an und bietet eine Extension derart, als dass neben der Präsentation des Modells auf die konkreten Produktionsbedingungen und Folgen für die Industrie eingegangen wird. Daraufhin wird auch sehr schnell offenkundig, warum aus einer Medienperspektive die Logik des Lernens durchbrochen wird. Die „Spekulation“ des Wirkungsgrades der Serious Games kristallisiert sich daher nicht nur auf der Ebene der Nutzer, sondern eben auch auf Seiten der Anbieter, welche aus Marketingperspektiven nicht selten opportunistisch auf den ‚rollenden Zug aufspringen‘ (vgl. Dyer-Witheford & de Peuter 2009, vgl. auch Bogost 2007). Auf Basis eigener und fremder Entwicklungsprojekte wird im Zusammenhang mit einer kritisch- rationalen Betrachtung dann eine Bilanz gezogen, die auf die Frage nach dem Risikogehalt der Produktion von Serious Games als Wirtschafts- und Lehr-Lern-Mittel ausgerichtet ist. Die „Spekulation“ seitens der Anbieter liegt nämlich, wie dem Zweistufenmodell zu entnehmen ist, nicht zuletzt in einer Gewinnerzielungsabsicht, die wiederum nicht zwingend mit dem vermuteten Wirkungsgrad im Lernbereich zusammenhängen muss. Zusammengefasst kann man festhalten, dass die Game Impact Theory von Smith (2005/2009 in Anlehnung an Michael Porters Five Forces des Marktes) hierbei ebenso anschlussfähig ist, wie auch die zahlreichen Überlegungen aus einer Medienperspektive zu Serious Games (vgl. aktuellere Reader, wie Miller (Hrsg.) 2008; Annetta (Hrsg.) 2008; Ritterfeld et al. (Hrsg.) 2009; Davidson (Hrsg.) 2008). Der Vortrag endet daher mit einer Überleitung zu den Folgevorträgen, die den Fokus enger stellen sowie einer Klassifizierung und Einordnung moderner Serious Games Produktionen. Etwas salopp formuliert erhält der Buchtitel „Don´t bother me Mom – I´m Learning“ des Serious Games Pioniers in der Forschung, Marc Prensky (2006), somit eine vollkommen neue Bedeutung.
Anna Hoblitz (Paderborn): Serious Games: Status Quo der Forschung
Abstract:
Serious Games sind Spiele, die über die reine Unterhaltung hinausgehen (Sawyer 2007: 1; Michael & Chen 2006: 21; Ritterfeld, Cody & Vorderer 2009: 6) und die häufig ausschließlich edukativ bewertet werden. Die Idee ist, Lern- oder Trainingsaufgaben so in die Spiele zu integrieren, dass es Spaß macht zu spielen und nebenbei gelernt wird (vgl. de Freitas 2006: 70). Im Fokus vieler Serious Games steht die Vermittlung von Fertigkeiten und Wissen, was eine große Nähe zu formalen Lernkontexten herstellt. Im Vergleich versuchen einige Ansätze bewusst das Spektrum breiter zu fassen (Müller- Lietzkow und Jabobs 2011). Das Forschungsfeld zu diesem Thema ist jung, dynamisch und schnell wachsend, was an einer zunehmend ansteigenden Publikationsrate der letzten Jahre offenkundig wird. Als Konsequenz der intensiven Forschung wird nicht mehr die Möglichkeit, ob mit digitalen Spielen gelernt werden kann (vgl. Egenfeldt-Nielsen 2006: 186), hinterfragt, sondern das „Was“ und „Wie“. Demzufolge sind die Einflüsse, Konditionen, Effekte und das, was genau im Spiel gelernt wird, offen. Diese Forschungsdesiderate bieten viel Raum für Spekulation, wobei in diesem Zusammenhang vor allem zwei Ursachen anzuführen sind. Zum einen haben die bisherigen Forschungsaktivitäten noch nicht zu einer Theoriebildung geführt. Aktuelle Ansätze verweisen entweder auf traditionelle Lerntheorien oder es werden vielversprechende theoretische Ansätze aufgezeigt [z. B. 36 Lernprinzipien von Gee (2007) oder die Game Impact Theory von Smith (2009)], die noch nicht empirisch validiert sind und damit spekulativ verbleiben. Zum anderen zeigen sich in der empirischen Überprüfung der vermuteten positiven Potenziale Schwierigkeiten im Forschungsdesign sowie eine Zugangsproblematik: Die Vergleichbarkeit von Studien auf Inhaltsebene ist oftmals nicht gegeben. Zudem werden bisher fast ausschließlich formale Lern- und Lehrkontexte in den Studien einbezogen – informelle Lernkontexte finden keine Berücksichtigung. Ziel des Beitrages ist es die bestehenden Forschungsaktivitäten vor dem Hintergrund der spekulativen, positiven Wirkungsannahme zu verorten
Sonja Ganguin (Paderborn): Du sollst spielen! Spekulationen und Fakten über den pädagogischen Einsatz von Serious Games
Abstract:
Für das Computerspiel lässt sich seit einiger Zeit eine neue semantische Bedeutungsebene ausmachen: Digitale Spiele sind nicht mehr auf negative Folgen für die Nutzer, etwa im Sinne von ›dick‹ und ›doof‹, beschränkt, sondern werden im aktuellem Diskurs demgegenüber nun auch mit Attributen wie ›gesund‹ und ›schlau‹ assoziiert; eine ganzheitliche Perspektive auf digitale Spiele gewinnt an Raum. Allerdings gibt es hier auch kritische Stimmen zu dieser Entwicklung, konkret das Computerspiel für Lernzwecke zu instrumentalisieren. Hier lauten die Schlagworte etwa „versteckte Agenda“, „Schleichbildung“ oder „Kollateralschaden“ (Deterding 2007). Die Kritik ist durchaus berechtigt. Muss denn jede Tätigkeit einen zielgerichteten Nutzen haben, damit man sie anerkennt? Ist es nicht reine Spekulation, dass Spieler – oder die sogenannten „Digital Natives“ (Prensky 2001) – durch Serious Games lernen wollen? So laufen doch Spiele, die für Lernzwecke eingesetzt werden, stets Gefahr, dass sie ihres eigentümlichen Spielcharakters beraubt werden. Das Spiel zeichnet sich doch gerade durch seine Zweckfreiheit, Freiwilligkeit und Spontaneität aus (Huizinga 1997, Callios 1960). In diesem Sinn stellt sich die Frage, ob die Spieler überhaupt wollen, dass ihr geliebtes Spiel, das Entspannung und Erholung vom Lern-, Arbeits- und Alltagsstress bedeutet, nun genau für diese Zwecke beansprucht wird. Die Antworten auf diese Fragen müssen von den Lernenden und Spielenden selbst gegeben werden, indem die Nutzerperspektive einbezogen wird und hierzu empirische Befunde diskutiert werden, aus denen sich medienpädagogische Konsequenzen und didaktische Maßnahmen für das spielerische digitale Lernen ableiten lassen.

16:15 – 16:45 Kaffee & Kuchen


4 //  16:45 - 18:45 Panels

4.1  Spiel als Medium der Spekulation I: Spekulation als Element des Spiels/Spiel
als Element der Spekulation
HZ11
Moderation: Jan-Noël Thon

Felix Schröter (Hamburg): Zwischen Zufall und Kontrolle. Gaming Communities und das Spekulative des Spiels
Abstract:
Das Spekulative ist konstitutiver Faktor des Spiels: Die Ungewissheit über kurz und langfristige Folgen von Spielhandlungen macht die Herausforderung und zugleich den Reiz des Spiels aus und motiviert die Spieler/innen, dem spekulativen Moment des Spiels durch Planung und Strategie zu begegnen. In besonderem Maße aber bringen digitale Spiele heute neue Aneignungsformen hervor, mit denen die Gaming Community der Spekulation den Kampf ansagt: Online veröffentlichte Walkthroughs präsentieren präsentieren optimale Lösungswege, konkurrierende Strategien werden auf breiter Basis in Foren diskutiert und Mods legen die regelhafte Tiefenstruktur der Spiele offen – alles mit dem Ziel, dem Spiel das Spekulative auszutreiben, die Ungewissheit des Spiels zu einem berechenbaren Risiko zu machen. Als Reaktion greifen Spieleentwickler zunehmend auf Urformen des (Glücks)Spiels zurück, nämlich die ‚Randomisierung’ von Spielelementen (z.B. von Räumen, Belohnungen oder Herausforderungen). Das Verhältnis von Produktion und Aneignung digitaler Spiele lässt sich somit auch als ein Ringen um das spekulative Moment der Spiele beschreiben, das die Spielerfahrung von (Viel)Spieler/innen maßgeblich bestimmt. Den Ausgangspunkt des Vortrags bildet die Frage nach der Spekulation im Spiel und also danach, wie sich Spiele im Spannungsfeld zwischen Zufall und Kontrolle bewegen. Am Beispiel ausgewählter Spiele soll dann gezeigt werden, wie Spieler/innen durch spezifische Aneignungsformen dem Spiel das Spekulative austreiben wollen, indem sie es erklärbar und berechenbar machen – und wie Spieleentwickler dem begegnen (können).


Karin Wenz (Maastricht): Theorycrafting. Spiel, Spekulation, Theoriebildung
Abstract:
Der Begriff 'Theorycrafting' wurde von Spielern des Online Rollenspiels Starcraft geprägt als deutlich wurde, dass mehr und mehr Spieler sich in Debatten über Spielstrategien und den möglichen dem Spiel zugrundeliegenden Algorithmen engagierten. Theorycraft ist eine Verbindung aus "Theorie(bildung)" und "Starcraft". Die Praxis des Theorycrafting wird auch als reverse engineering bezeichnet, da die Algorithmen der Spiele den Spielern nicht zugänglich sind, sie dennoch Hypothesen über mögliche Variablen, die einen Einfluss auf das Spiel haben, entwickeln und versuchen diese im Spiel zu verifizieren. Die Praxis des Theorycrafting ist seither in allen Online Rollenspielen, die auf dem Markt sind, von Spielern angewendet worden. Spieler benutzen das Spiel als Laboratorium, führen eine Reihe von Experimenten unter kontrollierten Bedingungen aus, um einen Einblick in die Spielmechanik zu erhalten. Die Hypothesen der Spieler über die zugrundeliegenen Algorithmen basieren auf ihren eigenen Spielerfahrungen. Aufgrund von Experimenten versuchen sie allgemeine Regeln abzuleiten, die dann in mathematische Formeln übertragen werden, um so Aussagen über den Effekt einer Handlung im Spiel im Voraus machen zu können. Ein besseres Verständnis der Spielmechanik führt zu Vorteilen im Spiel, denn der Effekt einer Handlung kann berechnet werden und ist nicht mehr Spekulation oder gar dem Zufall überlassen. Dies führt zu einer Austreibung des Zufallsprinzips aus dem Spiel und einer "Verwissenschaftlichung" des Spielens. Aristoteles stellt Theoria (zu übersetzen als Kontemplation aber auch Spekulation) der Aktion gegenüber. Der Begriff 'Theorycrafting' verdeutlicht bereits, dass es sich bei dieser Praxis um eine Verbindung von Spekulation und Aktion (dem crafting) handelt. Dieser Beitrag will sowohl das Verständnis von Wissenschaft als auch von Theorie, beleuchten, auf dem Theorycrafting basiert, die angewandten Methoden der Spieler beschreiben und den Effekt dieser Praxis auf die Community der Spieler diskutieren.

Britta Neitzel (Köln): Spielen und Spekulieren – Versuch einer (Ent)Differenzierung
Abstract:
Spiel und Spekulation sind über den Begriff des Zockens oder die Figur des Zockers miteinander verbunden. Im engeren Sinne ist ein Zocker ein Glücksspieler, der sich einer rational nicht nachvollziehbaren Hoffnung auf einen Geldgewinn hingibt. Populär wurde der Bergriff des Zockens jedoch in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der globalen Finanzkrise. Pejorativ werden Börsenhändler und Banker nun als Zocker bezeichnet. War ein Börsenmakler zuvor im negativsten Sinne ein Spekulant, der sich zwar nicht auf gesicherte Erkenntnisse verlässt, aber immerhin spekuliert, so wird ihm mit dem Rückgriff auf den Begriff „Zocker“ auch der letzte Rest von rationaler Vorausschau abgesprochen. Kulturhistorische, populärkulturelle und spieltheoretische Diskurse schreiben dem Zocken, dem Glücksspiel, eine spezifische Position in der Ökonomie, Arbeitsethik, Religion und Gesellschaft zu. In einer Auseinandersetzung mit diesen Diskursen soll die dem Zocken zugeschriebene Bedeutung herausgestellt werden und so – quasi unter dem Neonlicht des Casinos – ein Blick auf die Reichweite der Metapher des Zockers in der Finanzökonomie geworfen werden. Die dem Begriff der (Ent)differenzierung inhärente Unentschiedenheit verweist dabei schon auf die diesem Vorhaben inhärente Problematik und Herausforderung, denn es gilt nicht, rigoros Grenzen zu ziehen, sondern vielmehr Überschneidungen, Spannungsfelder und Ambiguitäten zwischen Spiel und Spekulation aufzuzeigen.

Mark Butler (Potsdam): Homo Oeconomicus Ludens. Spieltheoretische Spekulationen zum Casino-Kapitalismus
Abstract:
1986 wurde der Begriff »casino capitalism« von der britischen Politikwissenschaftlerin Susan Strange in ihrem gleichnamigen Buch geprägt, um eine historische Wende am Ende des 20. Jahrhunderts zu markieren, nach der spekulative Transaktionsgeschäfte für die globale Ökonomie wichtiger wurden als die Finanzierung industrieller Wertschöpfung. Ihre Charakterisierung des Finanzkapitalismus als Glücksspiel baute auf die Analysen von John Maynard Keynes auf, der bereits ein halbes Jahrhundert zuvor die Börsenspekulation mit einem Spielkasino und die Investitionsstrategien der Spekulanten mit denen von Glücksspielern verglich. Während Finanzmärkte für Keynes eine immanente Tendenz dazu hatten sich von der Realwirtschaft zu lösen, hat sich diese Neigung, Strange zufolge, durch die Freigabe der Wechselkurse 1973 so wie durch die zunehmende Deregulierung von Finanzmärkten im Zuge der Globalisierung verstärkt. In den letzten drei Dekaden hat der Topos des CasinoKapitalismus Karriere gemacht – in der Internationalen Politischen Ökonomie und im Feuilliton, bei namhaften Ökonomen wie Paul Krugman und politischen Bewegungen wie Attac, sowie bei so unterschiedlichen politische Figuren wie Guido Westerwelle oder Fidel Castro. Aber ist diese Diskursfigur mehr als eine Analogie? Lässt sich tatsächlich von einer Ludifizierung der Ökonomie am Ende des 20. Jahrhunderts sprechen, die in die gegenwärtige Situation mündet, in der die Virtualität der Ökonomie nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist? Oder gründet die Spekulation von Beginn an in einer »Ökonomie des Spieltisches« (Stäheli)? Falls das Geschehen an der Börse tatsächlich ludisch ist: Um was für eine Art Spiel handelt es sich? Wie muss der Spielbegriff neu gefasst werden um solchen serious play Rechnung zu tragen? Welche Einsichten bringt die Analyse des Finanzmarktgeschehens mit dem theoretischen Rüstzeug der Ludologie? Und durch welche Medientechnologien und praktiken wird das Spiel des Homo oeconomicus ludens konstituiert?

4.2 Medienkultur und Bildung Wissen in und über Medien: Medienkompetenz als Spekulation
HZ 12
Moderation: Julius Othmer

Roberto Simanowski (Basel): Medienkompetenz als nachhaltige Spekulation
Abstract:
Versteht man Medienkompetenz nicht nur als Nutzungs-, sondern auch und vor allem als Reflexionskompetenz, stehen die Veränderungen, die neue Medien dem menschlichen Zusammenleben bringen, im Zentrum der Betrachtung. Medienbildung hat in dieser Perspektive ihren Ausgangspunkt naturgemäß dort, wo die Auswirkungen medialer Erscheinungen profund und systematisch in sozialer, politischer, moralischer, ästhetischer, rechtlicher, epistemologischer u.a. Hinsicht reflektiert werden. Die Ausgangsfrage ist inhaltlich komplex und methodisch heikel angesichts einer Innovationsgeschwindigkeit der neuen Medien, die inzwischen vieles, das vor wenigen Jahrzehnten noch als utopisch galt, markttauglich gemacht hat. Noch unabgeschlossene und im Ergebnis widersprüchliche empirische Forschungen machen Technikfolgenabschätzung und Zukunftsprognosen mehr oder weniger spekulativ. Versteht man Spekulation mit Nietzsche als „unverzichtbare heuristische Fiktion“, ergibt sich die Frage nach der erforderlichen Ausrichtung im vorliegenden Fall. Eine paradigmatische Antwort gibt Hans Jonas mit seiner Studie Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, die 1979 in Reaktion auf die mehr oder weniger prognostizierbare Gefahr der Klimakatastrophe zu einer „Heuristik der Furcht“ aufruft, die aus ethischen und strategischen Gründen der schlechten Prognose Vorrang vor der guten gibt. Der Vortrag untersucht, inwiefern eine solche Perspektive im Interesse der Nachhaltigkeit nicht im ökologischen und ökonomischen, sondern im sozialen und kulturellen Sinne auch die Vermittlung reflexiver Medienkompetenz bestimmen sollte. Jüngste Entwicklungen innerhalb der digitalen Medien (Datenzusammenführung aller Google-Dienste, Facebooks Timeline- Feature) suggerieren dies hinsichtlich der Zukunft von Datenschutz und dem Recht auf Anonymität; andere Phänomene – Slacktivismus, Daily Me, Premediation – verweisen zumindest auf Diskussionsbedarf.
Verena Kuni (Frankfurt/Main): „Visual Media Literacy“ - Was ist, wie erlangt und wie vermittelt man Bildmedienkompetenz?
Abstract: -

Katja Grashöfer (Bochum): Fundiertes Wissen - spekuliertes Wissen. Wikipedia sei Dank?
Abstract:
Dass Wissen keine dauerhafte Konstruktion darstellt, ist keine neue Einsicht. Die Tatsache aber, dass man der dauerhaften Konstruktion von Wissen quasi in Echtzeit zuschauen kann, ist dagegen sehr wohl eine neue Entwicklung. Während gedruckte Enzyklopädien in Buchform einen zumindest vorübergehend abschlussfähigen Editionsprozess erfordern, verfügt die Online-Enzyklopädie Wikipedia über eine prinzipiell in jedem Moment offene Epistemie. Traditionelle Enzyklopädien stellen institutionalisierte Wissensbestände dar. Ihnen wird der Status „fundierten Wissens“ beigemessen. Mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia bricht diese Verknüpfung weg. Die Unübersehbarkeit der Vorläufigkeit allen Wissens, der Wegfall des fachwissenschaftlichen Expertentums sowie die schier endlosen Kapazitäten technischer wie inhaltlicher Art zur Sammlung von Artikeln sind nur die offensichtlichsten Phänomene eines Wandels in Bezug auf den gesellschaftlichen Umgang mit jener sozialen Vereinbarung, die unter dem Begriff „Wissen“ firmiert. Was also bedeutet „Wissen“ unter den Bedingungen eines medialen Umfelds, das die Aufteilung in Produzent und Konsument schon lange ad acta legen möchte? Welchen Kriterien folgt der Status eines fundierten Wissens heute? Oder handelt es sich bei Wikipedia-Artikeln um bloße Spekulationen im Sinne einer Wette auf die Relevanzkriterien des Prosumers?
Petra Missomelius (Marburg): Zum Verhältnis von Medienkompetenz und Medienbildung
Abstract: -


4.3 Techné / Mechané: Medienphilosophische Spekulationen I
HZ13
Konzept und Moderation: Georg Christoph Tholen, Dieter Mersch

Dieter Mersch (Potsdam): ... d’obliger à dire. ‚Ent-Mit-Teilungen’ im Netz.
Petra  Maria Meyer (Kiel): Umkehr der Kräfteverhältnisse
Georg Christoph Tholen (Basel): Die Frage nach der Technik
Gabriele Werner (Berlin): Alles auf Anfang?


4.4  Desorientierungen
HZ14
Moderation: Marc Siegel

Ivo Ritzer (Mainz): Exploitation als spekulative Filmpraxis
Abstract:
Mit dem Phänomen des Exploitation-Films will das intendierte Paper eine spezifische Form
spekulativer Filmpraxis adressieren. Zunächst bleibt festzuhalten, dass sich jeder kommerzielle Film durch Spekulation auszeichnet. Er spekuliert darauf, durch abwägende Exploitation konzeptioneller Modelle wie Genre und Stardom eine möglichst große Anzahl von Zuschauern zu mobilisieren. Somit wäre jeder kommerzielle Film auch als ein Exploitation-Film zu begreifen: Durch marktkommunikative Prozesse wird um Aufmerksamkeit geworben und eine bestimmte Erwartungshaltung beim Publikum geschürt. Dennoch existiert mit dem Exploitation-Film ein transnational wirksamer Modus spekulativer Filmproduktion, der ihn von der hegemonialen Form des sog. Mainstream-Kinos abhebt. So ist der Exploitation-Film im engeren Sinne definiert durch ökonomisch-institutionelle Variabeln wie unabhängige Finanzierung, minimale Budgets und alternative Vertriebswege, aber auch ästhetische Eigenheiten, die hochgradig spekulativ operieren: epigonale Rekurse auf populäre Filmvorbilder ebenso wie sensationalistische Ausschlachtung tabuierter Themen. Auf diese Weise versucht der Exploitation-Film zum einen, vom Erfolg anderer Filme zu profitieren, zum anderen zielt er auf ein Publikum, dessen Gratifikationen von der dominanten Industrie nicht hinreichend erfüllt werden. Beide Strategien tragen bei zum schlechten Ruf und niedrigen symbolischen Kapital des Exploitation-Films, der außerhalb etablierter Kriterien kultureller Legitimation zu stehen scheint. Deshalb ist der Exploitation-Film nach langen Jahren subkultureller Aneignung inzwischen auch ins Interesse der Medien- und Sozialwissenschaften getreten, die vor allem unter dem Paradigma der Cultural Studies nach seinen resistenten Potentialen fragen. Für sie lässt sich der Exploitation-Film durch ostentative Überaffirmation kommerzieller Spekulation als tendenziell kapitalismuskritische Praxis deuten, deren ästhetische Qualitäten wiederum eine ironisch-distanzierte Rezeption begünstigten. Auch diese – mitunter allzu affirmative – Lesart des Exploitation-Films soll im Rahmen des projektierten Vortrags problematisiert werden.
Sven Pötting (Köln): Gefangen im Labyrinth der Neun Königinnen
Abstract:
Bernardo Bertoluccis Film Die Strategie der Spinne, basiert auf Jorge Luis Borges’ Erzählung Thema vom Helden und vom Verräter. In der Kurzgeschichte wird exemplarisch die Möglichkeit entworfen, dass ein angeblicher irischer Freiheitskämpfer, der im 19. Jahrhundert einen Heldentod stirbt, zugleich der Verräter seiner selbst initiierten Revolution sein könnte. Details seines Todes erinnern an Dramen Shakespeares. Kopiert die Geschichte die Geschichte oder kopiert die Geschichte gar die Literatur? Diese Fragen werden in Borges’ Text aufgeworfen. Der argentinische Autor (1899-1986) orientiert sich bei seinem Schreibstil an filmischer Montagetechnik, Bertoluccis Film übernimmt den Duktus von Borges’ Erzählstil. Grenzverwischungen zwischen Fakt und Fiktion, Spiegelungen, unzuverlässige Erzählung und eine Vielzahl von Bezügen locken den Rezipienten in ein enzyklopädisches Labyrinth, aus dem ihm kein Ariadnefaden heraushilft. Es kommt zu keinem Ende, sondern verzweigt sich immer mehr, vervielfältigt sich, gleicht einem Rhizom. Auf die Bedeutung des Kinos für Jorge Luis Borges’ Poetik ist bereits des Öfteren hingewiesen worden. Wie groß der Einfluss seines Oeuvres auf aktuell so beliebte Produktionen mit nicht-chronologischen, multiperspektivischen und unzuverlässigen Narrationen – so genannten forking-path narratives (David Bordwell), multiple draft narratives (Edward Branigan), puzzle films (Warren Buckland) oder mind-game films (Thomas Elsaesser) - ist, wurde in der Forschung dabei bislang vernachlässigt. In meinem Vortrag möchte ich diese Lücke füllen und das Werk des argentinischen Regisseurs Fabián Bielinsky vorstellen. Sein Erstlingswerk La espera ist eine Borges-Adaption, die wiederum als Palimpsest auf Detektivgeschichten sowie Film-Noir-Stoffen aufbaut. La sonámbula, ein Hybrid aus Science-Fiction-Dystopie und Roadmovie spekuliert mit der Imagination: „Was wäre, wenn Argentinien 1982 den Krieg um die Falklandinseln nicht verloren hätte?“ Dieser Krieg bedeutet einerseits ein traumatisches Ereignis in der jüngeren Geschichte des Landes, läutete andererseits aber auch das Ende der seit 1976 regierenden Militärdiktatur ein. Bielinskys wohl bekanntester Film Nueve reinas (Neun Königinnen, 2000) ist ein „mindgame film“ par excellence und nimmt die (durch eine andere Art von Spekulationen ausgelöste) Finanzkrise des Jahres 2001 vorweg, die vor fast genau zehn Jahren zum Staatsbankrott Argentiniens führte und das Land an den Rande des Bürgerkriegs brachte.
Jesko Jockenhövel (Potsdam): Zwischen Kino und TV: Ökonomische Krise(n) in den »Wendefilmen« von Dominik Graf
Abstract:
Der Kino- und TV-Regisseur Dominik Graf hat sich vor allem als stilsicherer Genrefilmer einen Namen gemacht. Für Graf, der mit „Die Sieger“ 1993 einen spektakulären Kinoflop, landete scheint jede Kinound auch TV-Arbeit ein auslotender Prozess mit ungewissem Ausgang zu sein, was wo funktioniert. Während er sich im Kinofilm eine Reihe von Freiheiten und ungewöhnlichen Stilübungen erlauben konnte, schreckt er jedoch auch in seinen Fernsehfilmen, auf ein aufgeschlossenes Fernsehpublikum hoffend, nicht vor kontroversen und aktuellen Themen zurück, die häufig auf genauer Milieurecherche basieren. In seinen beiden Fernsehfilmen „Morlock – Die Verflechtung“ (1993) und „Eine Stadt wird erpresst“ (2007) nehmen er und seine Autoren sich der unmittelbaren Wendesituation bzw. den Folgen der Wende für die ostdeutsche Provinz an. Anhand der dargestellten ökonomischen Zwänge wird auf diese Weise in die jeweilige Genrelogik mit Hilfe komplexer Milieuschilderungen eine gesellschaftspolitische Ebene eingezogen. Wendet man Habermas Begriff der »kritischen Lage« auf die beiden Filme an, ergibt sich für die Protagonisten des Films – Wendeverlierer – eine Situation, die nur mit einem spekulativen Schritt, dessen Ausgang gemäß des Wortes ungewiss ist und der letztlich in der Kriminalität endet, gelöst werden kann. Dabei bilden sich ungewöhnliche Solidargemeinschaften die aber aufgrund gescheiterter „Systemintegration“ und „Sozialintegration“(Habermas, in: Faktizität und Geltung) nicht dauerhaft bestehen können. Für die Ermittlerteams erschwert diese unübersichtlichte Lage aufgrund der wechselnden Koalitionen innerhalb der Solidargemeinschaften ihre Arbeit. Sie müssen sich auf das verlassen, was Ermittlerarbeit auch ist: aufs Spekulieren. Graf und seine Autoren verknüpfen so Genrestrukturen und ökonomische Folgen. Beide Filme nehmen die Finanzkrise und die sich anschließende Protestbewegung insofern vorweg, weil aufgrund der nicht gelungenen Systemintegration einer aktiven Staatsbürgerschaft Vorschub geleistet wird, die allerdings (nicht nur in den beiden Filmen) in gewaltsamen Protest umschlägt. Die Ungewissheiten, die hier geschildert werden, finden allerdings im Blick zurück, so in Grafs Kinofilm „Der rote Kakadu“, ihre Auflösung und narrative Geschlossenheit. Darauf soll abschließend als Gegenüberstellung von offener, also spekulativer, und geschlossener Erzählform eingegangen werden.
Frederik Lang (Frankfurt/Main): Spekulation als Instrument der Kritik – zwei Filme über das Filmemachen von Hartmut Bitomsky
Abstract:
Wie würde ein Film über Isaak Babel aussehen, was müsste er zeigen? Diese Frage stellt sich Hartmut Bitomsky mit seinem Kurzfilm ISAAK BABEL – DIE REITERARMEE. Spielszenen, die meist sofort wieder (ab)gebrochen werden, wechseln sich ab mit dokumentarischen Aufnahmen der Drehortsuche, Lesungen aus Babels Büchern, der Sichtung von Text-, Fotomaterialien und Filmen wie Eisensteins BESHIN-WIESE, zu dem Babel das Drehbuch geschrieben hat. Durch das Mittel der Spekulation, durch die Frage welche formalen und inhaltlichen Möglichkeiten es gäbe, entsteht ein komplexes Bild von Babels Biographie, seinem Werk und den potentiellen filmischen Herangehensweisen für solch ein Filmprojekt. Der (angeblich) geplante Film über Babel muss gar nicht mehr realisiert werden. In einem weiteren Film, DAS KINO UND DER WIND UND DIE PHOTOGRAPHIE, spielt Bitomsky ebenfalls mit der rhetorischen Figur der Spekulation, indem er nur die Durchlaufprobe für einen filmkritischen Film über dokumentarische Filme zeigt. Dabei entsteht ein Film über das Filmemachen und über dokumentarische Filme zugleich, aber der „eigentliche“ Film wird nie gedreht, wird immer Spekulation bleiben. In meinem Vortrag möchte ich anhand dieser beiden Filme von Hartmut Bitomsky der Frage nachgehen, wie die rhetorische Figur der Spekulation im Film eingesetzt werden kann, um ein Thema aus verschiedenen Perspektiven und auf mehreren Ebenen zu behandeln und gleichzeitig das Filmemachen selbst mit zu reflektieren.
4.5  Die materielle Seite der Spekulation. Oder: Die STS besucht die Börse
HZ15
Moderation: Gabriele Schabacher

Thomas Christian Bächle (Bonn): Der Algorithmus als nicht-menschlicher Spekulant
Abstract:
Einen interessanten Transfer der STS auf die Börse als Bedeutungen produzierendes Labor bieten die Parallelen zwischen Latours ANT und dem algorithmic trading genannten automatisierten Computerhandel: Der Algorithmus übt hier im wörtlichen Sinne die Rolle eines nicht-menschlichen Akteurs aus. In einem performativen wie semiotischen Sinne ist die computerisierte Handlungsvorschrift selbstgenügsamer Simulakren Generator und lässt die menschlichen Akteure über ihre Aktivitäten im Dunkeln. Der Vortrag schlägt eine Algorithmus Figur im Sinne der ANT vor und illustriert das theoretische Argument mit populären Fallbeispielen, wie etwa dem flash crash oder die im Zusammenhang mit der Finanzkrise und der Euro Krise in die Kritik geratenen credit default swaps.

Carsten Ochs (Darmstadt): Über die Un/Sichtbarkeit der Skripte: Einige methodische Probleme
medienethnographischer Finanzmarktforschung
Abstract: -

Alexander Zons (Konstanz): Spekulanten in Film- und Finanzmärkten
Abstract:
Der Vortrag versucht die Mechanismen der Spekulation in den Finanzmärkten, so wie sie von der STS herausgearbeitet worden sind, aufzuzeigen und auf die Filmindustrie anzuwenden. In Selbstbeschreibungen der Filmindustrie dominiert der Bezug auf das Risiko, das jegliche Unternehmung kennzeichnet – “nobody knows anything” ist die populäre Formel. Eine Industrie, die sich auf Projektbasis perpetuiert, ist auf besondere Weise dazu verdammt, Anleihen bei der Zukunft zu machen. Wie weit trägt der Vergleich von Finanzmärkten und Filmindustrie? Der Fokus des Vortrags soll auf den Formen der Kalkulation liegen, die im Anschluss an MacKenzie und Callon als materiell und verteilt konzipiert werden.

4.6  Ziemlich sicher ungewiss. Zur Rationalität spekulativer Verfahren
HZ10
Moderation: Fabian Steinhauer

Anika Höppner (Erfurt): Visionen. Medien der Mutmaßung
Abstract:
Was unter dem Begriff ›Spekulation‹ seit dem historischen Empirismus dem Verdacht einer Unwissenschaftlichkeit ausgesetzt ist, offenbart aus film- und medientheoretischer Perspektive die erkenntnisgenerierende Kraft, wie sie den spekulativen Ansichten auch in vormodernen Zeiten zugesprochen wurde. Früher wie heute ist der epistemische Ertrag der Spekulation jedoch nicht auf willkürliche Anordnungen zurückzuführen oder unabhängig von historischen und medienspezifischen Rahmenbedingungen zu fassen. Stattdessen beruht spekulatives Wissen immer schon auf je eigenen Methoden, Instrumenten und Verfahren, die es kodieren, organisieren und seinen Status gegenüber anderen Wissensformen bestimmen. Ausgehend von der Annahme speziell spekulativer Wissenslogiken setzen die geplanten Beiträge spekulatives Wissen ins Verhältnis zu unterschiedlichen anderen Aussagesystemen und Erkenntnisregimen und lassen dadurch Spezifika spekulativer Wissensordnungen zum Vorschein kommen. Die Vorträge widmen sich diesen Fragen in historischer, medientheoriegeschichtlicher und filmtheoretischer Hinsicht. Historisch: Am Gegenstandsbereich der frühneuzeitlichen Visionen verdeutlicht sich, dass Spekulation historisch nicht in eindeutiger Opposition zum Erkenntniswissen, also nicht auf Seiten des formal unbegründeten bzw. visionären Wissens anzusiedeln ist. Spekulation ruft hier stattdessen formalisierte Erkenntnis- und Argumentationsverfahren auf den Plan. Medientheoriegeschichtlich: Die Arbeiten Marshall McLuhans würdigen formal-argumentativ kaum begründete, auf spekulative Schlussformen setzende Verfahren. Diese wissenschaftlich ungesicherten Methoden bestimmen nicht nur die Bedingungen eines neuen Gegenstands des Wissens, sondern bringen medientheoretische Erkenntnisperspektiven überhaupt hervor. Filmtheoretisch: Durch sprachliche und stimmliche Äußerungen überschreitet das Filmakustische das sichtbar Gegebene. Inwiefern die eigenwillige, spekulative Dimension von Voice-Over-Erzählungen auch die Theoriebildung über das Medium Film mit spekulierenden Ausdrucksformen ansteckt, untersucht der dritte Beitrag des Panels.
Jana Mangold (Erfurt): Medienspekulation. Verfahren zur Begründung einer Medientheorie
Abstract:
Dem in der Medienwissenschaft institutionalisierten Postulat über die (philosophische) Spekulation der Medien ging wissensgeschichtlich ein spekulatives Postulat über Medien voraus. Besonders deutlich zeigt sich dies in den Einsetzungs- und Theoretisierungsbemühungen um eine Wissenschaft von den Medien bei Marshall McLuhan. Mit seinem Beharren auf der Produktivität und der Produktion eines neuen Wissens durch percepts und insights anstelle von concepts und continuity stellte sich das Theoriebildungsverfahren McLuhans von je her als spekulatives Unterfangen aus. Der geplante Beitrag wendet sich den Einsichts-Logiken dieser Spekulations- und Begründungsarbeit zu. Es sollen exemplarisch vorgeschlagene Modelle der Beobachtung sowie verwendete Figuren der Erkenntnis in McLuhans Texten untersucht werden, um Aussagen über den Einsatz der speculatio/theoria am Beginn eines programmatischen Nachdenkens über Medien zu treffen. Hierbei bieten sich Betrachtungen etwa zum Beobachtermodell von Edgar A. Poes Malstrom-Figur, zum detektivischen Erkenntnismodell des ›Rückwärtsdenkens‹, zum Einsichtsmodell der Metapher oder zum zirkulären Beschreibungsmodell von Zuschauereinstellungen in McLuhans Arbeiten an. All diese Formationen fallen in Grenzbereiche logischer Argumentation und philosophischer Theoriebildung, die sich mit Überlegungen zu Abduktion, Rekursivität und Zirkelschlüssen näher bestimmen lassen.
Ulrike Hanstein (Weimar): Vom Möglichen sprechen. Ich-Stimmen des Films
Abstract:
In seinen Überlegungen zur filmischen Enunziation weist Christian Metz auf die ungleichen Wissenstypen hin, die mit audiovisuell verkörperten Figuren und Formen der Voice-over-Rede gegeben sind. Hörbare Erzählstimmen von nicht sichtbaren Figuren – so argumentiert Metz mit Marc Vernet – ›schauen über die Schulter des Bildes hinweg‹. In diesen Fällen entsteht eine figurenbezogene Subjektivität, die nicht (nur) einer begrenzten audiovisuellen Wahrnehmungsperspektive entspringt. Vielmehr formen die Fokussierung mittels der Sprache und das in ihr artikulierte Wissen ein unsichtbares Ich aus, das den Ursprungsort der Erzählung besetzen kann. Im Anschluss an Metz’ Deutung und Differenzierung von ›Ich-Stimmen‹ analysiert der Beitrag stimmliche und sprachliche Selbst-Verhältnisse im Film. Besondere Aufmerksamkeit liegt dabei auf dem spekulativen Überschuss von Voice-over-Erzählungen, die das mit den Bildern sichtbar Gegebene überschreiten. Dabei können in der hörbaren Rede selbst die Satzarten, das Tempus, der Modus oder die lautlich-klanglichen Qualitäten der Stimme ein ungewisses oder nicht begründbares Wissen markieren. Diese Äußerungen von subjektiven Einsichten und Überzeugungen treten in wechselnde Relationen zu den Ansichten (den deklarativen oder deskriptiven sichtbaren Bildern). In den audiovisuellen Konfigurationen des Films können spekulative Stimmen im, neben und vom Film sprechen. Von diesem unsicheren (und beunruhigenden) Ort filmischer Ich-Stimmen künden auch die rhetorischen Figuren, die spekulativen Fragesätze und die in Bewegung gehaltenen Begriffsbildungen in filmtheoretischen Texten. Und sind diese Äußerungen nicht immer noch ein Voice-over? Sind sie nicht sekundäre Ich- Stimmen, die dem Bild und der filmischen Rede ›über die Schulter schauen‹, den Film rekapitulieren und wissen, dass sie spekulieren?
4.7  Spekulative Wahrnehmung. Rezeption im
Modus des Ungefähren
NG 1.741a
Moderation: Chris Wahl

Philipp Blum (Marburg): Von der „mocumentary“ zur „Spekumentation“? Überlegungen zur Bedeutung der Spekulation in dokufiktionalen Hybriden am Beispiel von Rainer Erlers DIE DELEGATION (1970)
Abstract:

Anna Luise Kiss (Potsdam): XANADU – Spekuliere und du wirst verstehen
Abstract:
Im Frühjahr 2011 strahlte der deutschfranzösische Kulturkanal ARTE die achtteilige Serie XANADU aus. Sie erzählt die Geschichte der Familie Valadine und deren Familienbetrieb „Xanadu“, einer Produktionsfirma für anspruchsvolle Pornofilme. XANADU wurde von der französischen Presse äußerst positiv aufgenommen. Auch in Deutschland fanden sich überwiegend positive Kritiken zum Serienstart. Von einer grandiosen, herausragenden, vielschichtigen und abgründigen TVSerie war die Rede. Kritiker sahen in XANADU gar „die mutigste Serie, die bei ARTE je angelaufen sein dürfte“, eine Produktion, mit der sich der Sender gleichsam neu erfinde. Was sind die Gründe dafür, dass die Kritiker zu derart überschwänglichen Urteilen kamen? Übereinstimmend nennen sie die Erzählstruktur als ausschlaggebend für die hohe Qualität der Serie. Der Vortag wird anhand von Filmstills und Szenenausschnitten darlegen, dass das erzählerische Prinzip der TVProduktion XANADU die Zuschauer in die Rolle von Spekulanten versetzt. Mutmaßungen werden zunächst dadurch angeregt, dass wir es – obgleich die Serie im engeren Sinne keine Kriminalhandlung entwickelt – auf der narrativen Ebene mit einem klassischen WhoDunIt zu tun haben: Die (als Ehefrau des Inhabers Alex Valadine das Firmenimage, im Sinne des Wortes, verkörpernde) Pornodarstellerin Elise Jess verschwand vor 15 Jahren spurlos und wurde nach ergebnislos verlaufenden Ermittlungen für tot erklärt. Wurde sie ermordet, und wenn ja von wem? Zum anderen ist der Serie das bewusste Erzeugen von reizvollen Informationslücken immanent, die die Zuschauer selbst interpolieren müssen: Der exzessive Einsatz von bewusst gesetzten Unschärfen, einer oft geringen Schärfentiefe, Nah und Großaufnahmen sowie LowKeyAusleuchtung erschafft kein realistisches Mise en image im Sinne Bazins, sondern lokale und beliebige Räume, wie sie Deleuze definiert hat. Diese Räume müssen vom Zuschauer durch eigene Erwartungen und Vorahnungen – rezeptiven Spekulationen – aufgefüllt werden. Erschwert wird diese emotionale und kognitive Operation durch den ebenso forcierten Gebrauch von Ellipsen, Flashbacks und dem Prinzip der inneren Montage. Die erzählte Zeit wird einer einfachen Chronologie enthoben, Details werden nicht durch Zwischenschnitte überbetont, sondern scheinbar beiläufig exponiert und so weitere Informationslücken erzeugt. „Spekuliere und Du wird verstehen“ ist die implizite Aufforderung der Plotelemente und ihrer dramaturgische Anordnung.
Fernando Ramos (Leipzig): Die Debatte über das Verbotene. Filmkulturelle Spekulationen unter der Franco Diktatur
Abstract:
Die Szene ist jedem cinéphilen bekannt: In Gilda (Charles Vidor USA, 1946) zieht Rita Hayworth, während sie Put The Blame On Mame singt, ganz verführerisch ihre Handschuhe aus und wirft sie samt ihrer Kette ins Publikum. Daraufhin wird sie unterbrochen und von der Tanzfläche begleitet. Der Striptease ist somit zu Ende. Nicht allerdings für viele der Zuschauer unter der Franco-Diktatur; Als der Film 1947 in Spanien präsentiert wurde, gingen viele dieser bereits an die Zensur gewohnten Zuschauer davon aus, dass die pikanten Bilder einer nackten Hayworth nur aus der lokalen (spanischen) Version des Filmes weggeschnitten wurden. In den nachkommenden Monaten wurden sogar manipulierte Aktfotos mit dem Gesicht der Schauspielerin verkauft, die die angebliche Authentizität jenes Stripteases belegen sollten. Das Fabulieren und Spekulieren, welche in Reaktion gegen die nationalkatholische Zensur in Spanien entstand, ist für solche recht kreativen Versionen der Filmrezeption verantwortlich gewesen. Diese und spätere Beispiele dieses Phänomens (z.B. in den 1960er Jahren, als das Verbot einiger Filme des europäischen modern(istisch)en Kinos die Debatten um diese Produktionen keineswegs hinderte) werden in diesem Vortrag diskutiert und anhand von Texten aus der Filmfachpresse analysiert: Hauptsächlich aus den Filmzeitschriften Film Ideal – die einer formalistischen Linie folgte – und Nuestro Cine, die ihren Standpunkt auf ideologischen, vornehmlich marxistischen Kriterien gründete. Dabei entpuppen sich diese Spekulationen als ein Generator zahlreicher Diskurse in einer Filmkultur, die einerseits von internationalen Trends abgetrennt blieb, die andererseits aber auch von dieser Isolierung wusste und oft mit mehr Begeisterung als Geschick den Vorsprung anderer europäischer Filmkulturen (Frankreich und Italien) einzuholen versuchte.
Dietmar Kammerer (Marburg): Widersprüchliche
Welten. Die unmögliche Rekonstruktion des Plots
Abstract: -


19:00  Shuttlebus nach Offenbach

20:00  Podium: Karl Marx und die Kreativen
HfG, Offenbach
Moderation: Marc Ries (Offenbach)

Andrea Braidt (Wien)
Felix Ensslin (Stuttgart)
Juliane Rebentisch (Offenbach)
Hans-Ulrich Reck (Köln)


22:00 Shuttle-Bus zum Robert Johnson (Club)

22:30  IM FEUERSCHEIN. Spekulation, Bündnis und Bezahlung. Sound und Sense mit Monika Rinck und Benjamin Fehr
Robert Johnson (Club), Offenbach

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